Sonntag, 11. Juli 2010

1957: Reutlingen mit den Augen eines Schwärmers

»Für jeden Besucher der Stadt Reutlingen, der ihr zum ersten Mal begegnet, um hinter das Geheimnis ihrer Einmaligkeit zu gelangen, das Wesen ihrer unverlierbaren Individualität zu erlauschen, gilt die merkwürdige Erfahrung: Die Stadt am Fuße der schwäbischen Alb ist nicht von ihrer Kernsubstanz von innen nach außen gewachsen, sondern zu gleicher Zeit in der umgekehrten Richtung. Auf einer nicht direkt in das Auge springenden Linie begegnen sich die äußeren Erscheinungsformen dieses seltsam anmutenden Wachstumsprozesses. Und das Erstaunliche ist: Von welcher Seite auch eine von draußen vollzogene Begegnung stattfinden möge, man spürt an keiner Stelle einen Bruch, chaotisch Willkürliches oder wirr Zusammenhangloses. Man fühlt das organisch Geformte aus den einzelnen zugewachsenen Schichten, als ob eine einzige Künstlerhand alles allein in einem genialen Zug gestaltet hätte. Es ist auch keine gewaltsame Veränderung des seit je vorhandenen Landschaftsbildes festzustellen. Stadt und unmittelbare Umgebung bilden ein ganzes der Landschaft als ein in sich selber ruhendes und ausgeformtes Bild.«
Aus "Schönes, lebendiges Reutlingen", 1957, Herausgeber Eugen Lachnmann, Text: Erich Graf
Bildertanz-Quelle: Charlotte Hartstein-Weidlich