Donnerstag, 10. Juni 2021

Wertstoff Stadt - Reutlingen zwischen Steuern und Gebühren


Eine unbotmäßige Betrachtung von Raimund Vollmer

Besuch auf dem Reutlinger Wertstoffhof. Warum der so heißt, weiß ich jetzt. Als ich vor Jahren dort meinen Müll hinbrachte, kostete das – jedenfalls in meiner Erinnerung – sieben Euro. Letztes Jahr waren es, definitiv, 14 Euro. Jetzt waren für eine Kofferraumladung leerer Aktenordner 17 Euro fällig. Ein Anstieg um mehr als 20 Prozent innerhalb eines Jahres. Wer so seine Gebühren erhöhen kann, muss nicht an der Steuerschraube drehen. Man macht einfach aus Müll einen Wertstoff, und schon steigt der Preis. Wetten, dass der 20-Euro-Schein bereits geplant ist, wovon natürlich der Stadtrat nichts weiß, aber sich denken kann.

Das Gute ist, die nächste Erhöhung läge dann unter 20 Prozent.

Eigentlich – so liest man als unbedarfter Bürger in der Kommunalen Abgabenordnung – sollen die Gebühren lediglich dazu dienen, die Kosten zu decken und einen kleinen Gewinn abzuwerfen. Allerdings dürfen sie auch steigen, wenn sie einen erzieherischen Effekt haben sollen. Und beim Abfall ist das ja immer der Fall. Wir sollen erzogen werden. Das ist die große Marschrichtung. Da kam auch die Pandemie zur rechten Zeit. Sie erteilte uns fast täglich neue Lektionen in Sachen Belehrbarkeit. Nun sehen wir, dass es überall so ist. Falschparker und andere Verkehrssünder werden z.B. aus pädagogischen Gründen strengere Strafen auferlegt. Überhaupt sind Gebühren der große Renner, weil Steuererhöhungen nicht mehr in die Zeit passen. Dagegen kann man sich als Ehrenamtsträger publikumswirksam wehren und als Helden feiern lassen. Neue Geldquellen, die den Mangel an Einnahmen lindern, lassen sich zudem noch viele entdecken und in einem diskreten  Erhöhungszyklus verstecken. Unsere Behörden treffen da auf sehr einsichtige Abgeordnete und Stadträte.

Wir Bürger können uns kaum wehren – eigentlich nur durch Flucht in die Illegalität wie wilde Müllkippen. Dass das, was wirklich wertvoll ist wie zum Beispiel Papier (oder auch Grünzeug), sogar kostenlos oder zu deutlich niedrigeren Konditionen entgegengenommen wird, zeigt nur die Verlogenheit des Begriffs „Wertstoff“. Reine Reklame. Je wertvoller, desto billiger.

Doch schieben wir all das mal an die Seite. Mit unserem schlechten Gewissen haben die Behörden ohnehin immer leichtes Spiel. Viel nachdenklicher sollten uns jenseits der pädagogischen Absichten die tatsächlichen Veränderungen im Verhältnis von Verwaltung und Bürger machen.

Steuererhöhungen, wie sie der Stadtrat nun bei den Haushaltsplanungen mehrheitlich ablehnte, definieren im Prinzip ein unmittelbares Verhältnis zwischen dem Steuerstaat und dem Steuerbürger. Ob Grundstück oder Gewerbe – am Ende muss der Staat dem Eigentümer genau und speziell belegen und berechnen, warum er diese oder jene Geldsumme verlangt. Es ist letztlich ein individuelles Verhältnis zum Beispiel zwischen einem Unternehmer und dem Staat. Derartige Erhöhungen, die z.B. jeder Geschäftsinhaber sehr persönlich nimmt, sind kein gutes Thema im Wahlkampf. Deshalb sind Vermögenssteuern auch nicht populär. Die Forderung danach ist reine Sozialhygiene. Gut fürs Schaufenster des Schreckens, der nie eintritt.

Besser wäre es doch, wenn alle Zahlungen anonym erfolgen. Wer ich bin, musste ich dem Mitarbeiter am Wertstoffhof nicht erklären. Er wollte nur wissen, ob ich bezahlt habe. (Vor einem Jahr gab es diese Kontrolle an der Abladestelle noch nicht). Er sagte mir dann, zu welchem Container ich meine Ordner hinbringen darf. Wunderbar.

So sollte es immer sein. Was ich nutze, muss ich bezahlen, wobei die Nutzung nichts mehr mit mir selbst als Subjekt zu tun hat, nur noch der Verbrauch. Das Verhältnis zwischen uns und unseren Institutionen wird reduziert auf einen Zahlungsvorgang – für all das, was wir nutzen und der Allgemeinheit gehört: das Wasser (trinken), die Luft (atmen), die Erde (wohnen, ernten, bewegen), das Feuer (heizen). Das sind die vier Grundelemente des Lebens, über die der Staat das Obereigentum besitzt und für die er seine Kassenhäuschen einrichtet.

Was er mit dem Geld macht, sollte uns schon interessieren. Natürlich erzählt er uns von seinen großen Zielen wie Umweltschutz, die er dann kleinlich verwaltet und durchtrickst. Was er uns aber nicht sagt, ist, was er, der Staat oder auch die Stadt, uns kostet. Wie hoch ist der Anteil am Gesamtaufwand, den Staat und Stadt dafür brauchen, dass es sie überhaupt gibt. Was kostet uns eigentlich deren reine Selbstbehauptung, wie teuer ist unser Gemeinwesen, ohne dass es auch nur ein winziges Stückchen für die Allgemeinheit leistet? Könnte man ja mal fragen. Zehn Prozent, zwanzig Prozent, dreißig Prozent?

Es ist lange her, dass die Europäische Zentralbank mal danach fragte. Das Ergebnis war erschreckend. Die Länder mit der niedrigsten Staatsquote waren auch am effizientesten. Deutschland gehörte nicht dazu. Das war 2003. Und heute?

Vielleicht sollten wir besser nicht fragen. Wäre in diesen Zeiten doch sehr, sehr unbotmäßig. Auch die Behörden brauchen ihre Masken – und seien sie aus Wertstoff.

 

Bildertanz-Quelle:Dimitri Drofitsch