Samstag, 31. Oktober 2009

Die Rückkehr der Pleti-Ritter

Anlässlich des 60jährigen Bestehens der Frankfurter Allgemeinen Zeitung


„Charley“, sagt der Vollmer zu mir, und sein breites Grinsen lässt nichts Gutes erwarten. Tatsächlich – seine nächsten Worte sind ganz einfach ein Hammer. „Bist du eigentlich korrupt?“ Die Frage haut mich um. Ich bin völlig konsterniert. Aber ich reagiere sofort und schließe das Browserfenster mit meiner Lieblingsseite „Pressekonditionen.de“. Es ist die Seite, in der wir Journalisten permanent den „brutalst möglichen Presserabatten“ (FAZ) ausgesetzt sind. „Natürlich nicht“, antworte ich meinem Boss, und mein Scheinheiligenschein umleuchtet artig mein schütteres Kopfhaar. „Ich war auch noch nie in Brasilien“, erkläre ich rasch. „Ich habe auch nicht die Absicht, eine Gewerkschaft zu gründen.“
Vollmer nickt nachdenklich. „Dann kannst du doch besten Gewissens über dieses Thema schreiben“, dreht sich um und verschwindet in seinem Büro. Er braucht es gar nicht mehr zu sagen, ich weiß auch so, dass ich nun genau eine Stunde Zeit habe.
Warum kommt er damit ausgerechnet zu mir? Will er mir eine Falle stellen? Kein anderer Beruf war einst den Bestechungsversuchen so sehr ausgesetzt wie wir Journalisten. Man musste ja nur unsere Eitelkeit bedienen. Wann wurde ich zuletzt eingeladen, ein Vorwort oder einen anderen Beitrag für eine Firmenzeitschrift zu schreiben? Mon dieu, das ist Jahre her. Betrübt muss ich feststellen, dass mein Marktwert wohl deutlich gesunken ist. Wann wurde ich das letzte Mal zu einer Pressereise ins Ausland eingeladen? Auch da bin ich seit Jahren völlig sauber. Ich muss einsehen: Eigentlich interessiert sich kein PR-Chef mehr für mich. Oder sind sie durch die vielen Affären so verschreckt, dass sie sich gar nicht mehr trauen, uns auf Firmenkosten einzuladen?
Fast möchte ich es glauben. Denn die Alternative ist ganz einfach zu deprimierend. Je weniger man versucht, dich zu umgarnen, desto unwichtiger bist du. Die Weihnachtsgeschenke sind in den letzten Jahren auch sehr mager ausgefallen. An deinen Geburtstag erinnert sich ebenfalls kaum jemand. Du bist ganz einfach eine Null. Muss ich mir das wirklich bieten lassen?
Nein. Eindeutig nein. Ich brauche jetzt dringend einen Befreiungsschlag, am besten auf Kosten anderer. Korruption ist eine derart primitive Form der Wertschätzung, dass eigentlich nur schwache Menschen darauf hereinfallen, also Leute mit großem Ego und kleinem Charakter. Wo findet man die am ehesten? Natürlich in den Managementetagen. Die Zeitungen verkünden es doch nahezu täglich.
Gut, dass wir uns die Welt so einfach erklären können. Die da oben gehören zur dunklen Seite der Macht, wir aber sind die zwar armen, aber guten Pleti-Ritter. Wir decken alles auf – mit brutalst möglicher Aufklärung. Kein Wunder, dass man uns meidet und unseren Geburtstag vergisst. Schon wird wieder ein Schuh daraus: Die da oben haben so abgehoben, dass sie sich noch nicht einmal mehr dafür interessieren, was wir schreiben. Sie machen sowieso das, was sie wollen.
Früher war alles anders. Da galt die gesamte „Management-Attention“ uns, den Journalisten. Wir dankten es, indem wir den Entscheidungsträgern genau sagten, was sie zu tun hatten. Wir machten die Strategien, die wir den Vorständen auf gemeinsamen Pressefahrten ausführlich erläuterten. Solange die Manager unseren Vorgaben folgten, lief alles bestens.
Doch dann entdeckten die Chefs das Marketing. Sie erklärten uns, dass wir künftig an diese Abteilung zu berichten hätten, ebenso wie die PR-Chefs. Von diesen nachgeordneten Stäben bekämen wir auch fortan alle Informationen, die wir nur noch zu veröffentlichen brauchen. Endlich konnten die Manager selbst entscheiden. Sie waren uns los.
Wir rächten uns fürchterlich. Zuerst ließen wir die Börsenblase platzen. Dann stürzten wir die Bosse von einer Baisse in die nächste. Diese konterten, indem sie immer mehr Leute entließen und sich selbst dafür mit üppigen Gehaltssteigerungen belohnten. Sie zeigten uns, wie wenig sie uns brauchten. Die Konjunktur war ihnen völlig egal. Doch wir waren noch lange nicht mit unserem Latein am Ende. Wir holten den Boom zurück und starteten gleichzeitig eine Aufklärungskampagne gegen Korruption.
Inwzischen weiß jeder im Land, wem wir den Aufschwung zu verdanken hatten. Uns, den Journalisten, den wahren Saubermännern der Globalisierung.
Und wer uns nicht glaubt, den bestrafen wir mit einer Wirtschafts- und Finanzkrise.
Quod erat demonstrandum.

Keine Kommentare: