"Charley", sagt der Vollmer zu mir, "warum lästerst Du eigentlich immer so gegen die neue Stadthalle?" Mein Chef, inzwischen ziemlich erschöpft von 16 Bildertanz-Veranstaltungen, haut mit aller verbliebenen Kraft auf den Tisch. Einige Gäste in der Gönninger Rossberghalle schauen etwas pikiert zu uns herüber. Für eine Mehrzweckhalle ist die Akustik nicht schlecht, wenngleich auch nicht gerade überragend. Aber der Knall schallt doch durch den Saal - ohne Nachhall. Trocken und präzise.
Verschüchtert schaue ich meinem Chef in die Augen. Er soll sich doch nicht aufregen! Und schon will ich ihn besänftigen. Doch er setzt nach. "Weißt Du, Charley, ich möchte 2013 in der Stadthalle den Bildertanz aufführen. Wenn Du und die anderen immer dagegen wetterst, dann werden wir uns die Halle nie leisten können. Dann werden wir Strafpreise zahlen müssen. Wir haben keine Volksbank mehr, die alles bezahlt. Das Jubiläum ist dann zu Ende."
Ich weiß schon, was er meint. Seine Strategie heißt: "Lieber Rabatte statt Rabbatz." Wenn allerdings das stimmt, was sich die Experten untereinander erzählen, dann bekommt er von den Rabatten vielleicht mehr, als er sich heute erträumt. Doch der Vollmer lässt mich noch nicht zu Worte kommen. "Im übrigen - wenn Du diese Woche den GEA gelesen hättest, dann wüsstest Du, dass diese 'Halle für alle' mit der weltweit besten Akustik ausgestattet sein wird. Veranstalter werden sich die Finger danach lecken, in dieser Halle auftreten zu dürfen."
Ich mustere meinen Chef. "Glaubst Du alles, was im GEA steht, Boss?" - "Wem soll ich denn sonst glauben? Dir etwa und Deinen Schmähschriften?" Oh, ich merke schon, jetzt wird es mühsam. Wenn sich sogar mein Chef auf die Berichte im GEA bezieht, dann kämpft er bereits mit dem Mut der Verzweiflung, dann hat das Wunschdenken vollends über den Verstand gesiegt. Wie bei unseren Stadträten und ihrer neugewählten Oberbürgermeisterin.
"Chef", sage ich zu dem Vollmer, "jetzt höre mir einmal zu. Kürzlich habe ich mich mit einem echten Profi unterhalten..." Ich zögere, weil ich genau weiß, dass ich genau den falschen Ton getroffen habe. Denn indirekt habe ich damit zum Ausdruck gebracht, dass mein Chef alles ist bloß kein echter Profi. Aber das Intro ist nunmal versaut, und so mache ich denn einfach weiter. "Meister", schleime ich mich an ihn heran, denn diese Titulierung liebt er am meisten, "das mit der Akustik stimmt nicht so ganz, sagen die Experten. Sie ist voll und ganz ausgelegt auf Konzerte." - "Natürlich", antwortet mein Chef und blödelt: "Unsere Philharmonie braucht viel Harmonie." Ich gehe auf diesen Kalauer gar nicht erst ein, sondern setze meine Ausführungen fort. "Das Problem ist nur, dass das, was gut ist für die Philharmonie, ganz schlecht ist für alle Musik, die elektronisch verstärkt wird." Sein Gesicht wird plötzlich sehr lang, deshalb setze ich eins drauf und baue meinen eigenen Kalauer: "Das wird eine Halle voller Halle." Vollmer schnappt nach Luft. "Ist das wahr? Wer hat das gesagt?" - "Meister, ein Profi hat das gesagt, einer, der überall in der Welt herumkommt, nicht nur in Deinem Bildertanzland." - "Aber Experten können sich auch irren." - "Stimmt", pflichte ich ihm bei, "Laien aber noch viel mehr."
Wir befinden uns jetzt in dem Stadium einer Diskussion, wo jeder Satz mindestens ein Aber enthält. Und so entgegnet mir mein Chef: "Charley, aber eins will ich dir mal sagen. Unsere Stadträte - die meinst Du ja mit den Laien - haben sich vorher genau informieren lassen, wie das ist mit der Akustik. Von Experten übrigens." - "Mag ja sein, aber dann kam der Rotstift, glaube mir. Jede Halle wird immer doppelt so teuer wie man plant. Und das stimmt auch dann, wenn man diese These schon der ersten Kostenplanung zugrunde legt."
- "Papperlapapp, so etwas passiert nicht in Reutlingen." - "Richtig, genau das ist das Problem. Man wird solange herumsparen, bis der Plan mit den Zahlen übereinstimmt. Und am Ende kommt eine Halle heraus, die du gleich wieder abreißen kannst."
Mein Chef steht auf. Er hat genug. Aber Ihnen kann ich es ja verraten. Dieser Profi berichtete davon, dass eine Reihe von neuen Stadthallen, die er besucht hat und kennt, am Ende pleite waren, genauer gesagt die Betriebsgesellschaften. Der Grund: Die Veranstalter waren reihenweise abgesprungen, nachdem sie festgestellt hatten, dass jede Art von elektronisch verstärkter Musik im Saal in einem Hör-Horror endeten. Statt "Halle für alle" galt "Halle ist alle". Anschließend mussten die Stadtväter in einem fetten Nachtragshaushalt die Totalsanierung der Stadthalle beschließen. Aber das war ja dann ein völlig neuer Etat. Den ursprünglichen Ansatz - das konnte man den Bürgern mit mäßig schlechtem Gewissen sagen - hatte man eingehalten.
Ach, mein Chef kam dann doch noch zurück. "Und eins will ich Dir sagen", schnauzt er mich an, "die Akustik wird so gut sein, dass man gar keine Verstärker mehr braucht. Und damit auch keine Tontechniker, keine Experten, niemanden. Das spart viel Geld." Ich bin fast sprachlos. Mit letzter Kraft, denn ich war ja auch bei allen Bildertänzen dabei, antworte ich ihm leise und mit Bedacht. "In einem hast Du vollkommen recht, unsere Babsy wird man auch ohne Mikrophon verstehen..."
Und wenn Du, Meister, wirklich etwas von Politik verstehen würdest, denke ich noch, dann hättest Du doch stutzig werden müssen, als herauskam, dass niemand gegen unsere OB BB antreten wollte.
2 Kommentare:
Klasse Artikel! Danke Raimund.
Das hat Charley geschrieben. Ich würde mich doch niemals selbst in ein so schlechtes Licht stellen. :)
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