"Auf eine lebendige Diskussion" mit den
Reutlingern freut sich unsere Oberbürgermeisterin, die uns zu einer
Bürgerversammlung in den großen Saal der Stadthalle einlädt. Am 9. Juli 2015,
Beginn: 20.00 Uhr. Und damit wir uns vorbereiten können, veröffentlichen wir
hier die "Beschlussvorlage über die Antragsstellung zur Gründung eines
Stadtkreises", über die der Stadtrat jetzt zu entscheiden hat.
Die Auskreisung, die Bürgerversammlung und der Bildertanz
Kommentar von Raimund Vollmer
Es ist ein durchaus lesenswertes Papier, diese Beschlussfassung, die natürlich alle
"Argumente" (so der Untertitel der Broschüre) für die Gründung
enthält. Wenn aus der Bürgerversammlung nicht nur eine Bürgerbefragung, wie sie
diskutiert wird, sondern ein Bürgerentscheid werden würde, wäre die ganze
Aktion geradezu vorbildlich. Denn dann würde in der ganzen Stadt
leidenschaftlich über unsere Zukunft diskutiert - mit nicht nur repräsentativen
Ergebnissen, die ja bei einer bloßen Befragung keineswegs in geheimer Wahl erzielt würden. Eine Bürgerentscheid wäre - der Name sagt es - eine Entscheidung, die eine direkte Identifikation bedeutet. Im Unterschied zu Stuttgart 21 (oder dem griechischen Referendum) wäre
das Ja ein Ja und das Nein ein Nein, es wäre ohne jeden der Manipulation verdächtigen
Einschlag. Es wäre herrlich.
Es würde aber sogar noch etwas ganz anderes dabei
herauskommen. Bei einem Ja für die Gründung eines Stadtkreises wäre auch
entschieden, dass sich Reutlingen von Altenburg bis Betzingen, von Ohmenhausen
bis Gönningen, von Sondelfingen bis Bronnweiler als eine einzige Stadt definiert.
Dieser Bildertanz, der seit zehn Jahren die Entwicklung unserer Stadt immer
wieder aus dem Blickwinkel der Dörfer betrachtet hat, der sich seit 2009
im Internet täglich bemüht, die Identität der Dörfer mit sich selbst zu stützen, musste in
den letzten drei Jahren immer häufiger feststellen, dass dieser Zusammenhalt von
immer weniger Leuten gepflegt wird. Das Dorf scheitert nicht an fehlenden Investitionen oder mangelhaften Infrastrukturen, das Dorf scheitert an zu geringer Identifikation. Es dient nicht mehr dem Zusammenhalt, sondern - wie die Stadt - der Zerstreuung. Und auch da geht das Angebot über Würstchen und Bier kaum hinaus.
Das haben wir immer stärker feststellen müssen. Zugleich haben wir bemerkt, dass das Interesse für die Stadt an sich gestiegen
ist. Und das hat nicht etwa damit, dass die Zerstreuung, die eine Stadt wie Reutlingen bietet, besonders attraktiv ist. Da ist vieles eher sehr verbesserungswürdig. Nein, die Menschen wollen die Impulse einer Stadt, sie wollen etwas für Herz und Hirn.
Wir erreichen über Facebook, wo wir jetzt seit zwei Jahren aktiv sind, zwischen
10.000 und 25.000 Bürger pro Woche. Das ist eine Verdoppelung und Vervierfachung gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. Dabei haben wir noch nie auch nur einen einzigen
Pfennig in die Bewerbung dieser Seite investiert. Wir haben auch keine
"Gefällt mir"-Schaltungen "gekauft". Wir haben eine allein
auf unsere Inhalte basierende Öffentlichkeit. Wir werden auch von nichts und
niemandem finanziell unterstützt. Was wir hier also auf ziemlich neutralem
Hintergrund feststellen, ist, dass Reutlingen als Stadt zum wichtigsten Identifikationsgeber avanciert. Wir bilden und dabei durchaus etwas darauf ein, dass wir mit unseren Bildern aus Gegenwart und Geschichte etwas dazu beigetragen haben. Wir sehen, in der Kritik ebenso wie im Lob, identifizieren sich die Bürger mit ihrer Stadt. Die Bürger - so meinen wir zu spüren -
wollen ein selbstbewusstes und selbstgewisses Reutlingen.
Gestern saßen Werner Früh, Wolf-Rüdiger Gassman und ich zu
einem Glas Bier in der Altenburger Sportgaststätte zusammen. Wir haben unsere
Eindrücke und Erfahrungen ausgetauscht. Dabei waren wir uns einig, dass im
Unterschied zu anderen Facebook-Clubs und -Groups bei uns in den Kommentaren
ein sehr gepflegter Ton herrscht. Darauf waren wir besonders stolz, dass hinter
uns Leute stehen, die nicht andere verunglimpfen oder Hasstiraden loswerden. Es
geht sicherlich schon einmal rauh und ruppig zu, auch uns gegenüber, aber stets unterlegt mit einer
Herzlichkeit und Würde, die uns sehr, sehr freut. Unsere Leser möchten stolz sein auf
ihre Stadt. Deshalb gehen sie kritisch mit ihr um. Wir fragten uns allerdings,
wo die Stadträte und Bezirksgemeinderäte sind, die sich in unsere Diskussionen
einschalten und mitmachen. Da ist die Stadtverwaltung (vor allem Katrin Korth) rühriger.
Wir haben oft den Eindruck, dass die offizielle Szene nur
Seitensteher ist. Wir meinen, dass dies eine Haltung ist, die keine Zukunft hat. Vielleicht
haben die Vertreter sogar Angst, zum Beispiel durch einen Bürgerentscheid (keine Bürgerbefragung, das
ist zu larifari) an Autorität einzubüßen. Vielleicht nehmen sie uns aber auch
gar nicht ernst, wollen uns totschweigen. Das ist uns (offiziell) relativ egal.
Inoffiziell ärgert uns das. Nicht etwa aus Eitelkeit, die spielt auch eine
Rolle, sondern weil die Räte die Riesenchance verpassen, mit uns in einen fröhlichen
und erfrischenden Dialog zu kommen. Wir wollen ja von ihnen lernen, so wie sie
von uns vieles erfahren können, was uns bewegt.
Kardinal Richelieu hat einmal gesagt: "Minderheiten
haben die Tendenz zu wachsen." Wir vom Bildertanz können diese These nur
bestätigen. Schon deshalb machen wir fröhlich weiter.
DER KOMPLETTE TEXT DER BESCHLUSSFASSUNG,
über den unsere Stadträte am 23. Juli entscheiden werden,
Bildertanz-Quelle:
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