Nachdem wir uns dieser Tage mit dem Thema "Planung" versus "Erfindung, Entwicklung" auseinandergesetzt haben, schreibt uns einer der eifrigsten Bildertanz-Beobachter u.a. folgende Zeilen mit der Erlaubnis, sie hier zu veröffentlichen. Das tun wir sehr gerne, wobei wir darauf hinweisen, dass wir überhaupt nicht der Meinung sind, dass die Planung tatsächlich der Entwicklung vorauseilen solle - im Gegenteil. "Anmaßung von Wissen" nannte dies einmal der Nobelpreisträger Friedrich von Hajek, der allerdings nicht nur deswegen in bestimmten Kreisen als "neoliberal" verschrieen ist. Aber das ist eine ganz andere Diskussion. Hier nun der Beitrag von Hermann Rieker, einem waschechten Reutlinger:
»... Nun etwas zur Planung. Es ist gut, dass Sie das Problem aufgreifen. Ich
für meinen Teil präferiere aber eher eine Verwaltung, die "reagierend"
auf Veränderungen und Anforderungen planerisch tätig wird, denn eine
Verwaltung, die "agierend" also Planungen und Weichenstellungen auf
vermutete Veränderungen hin (insbesondere von Think-tanks oder von
Fachexperten prognostizierte Entwicklungen) entsprechende Aktivitäten
entfaltet. Das ging und geht in den allermeisten Fällen schief zu Lasten
der Steuerzahler. Konkret: eine Planung, die der Entwicklung
vorauseilt, ist sehr risikobehaftet, weil sie auf Annahmen und nur zum
geringen Teil auf Fakten beruht.
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Sieht ziemlich geplant aus: Obere Wässere... |
Sehr
interessant sind Ihre Ausführungen - so verstehe ich es zumindest - was
den Strukturwandel angeht. Der war in der Stärke und der Konsequenz
nicht vorhersehbar. Es war die Stärke der D-Mark, die der
Textilindustrie das Leben schwer machte. Hinzu kam, dass in den 70er
Jahren die Lohnkosten kräftig in die Höhe gingen. Viele Unternehmen
mussten davor kapitulieren. Es war im Endeffekt billiger in Ländern mit
niedrigerem Lohnniveau produzieren zu lassen und Fertiggüter
einzuführen. Die Aufwertungen haben die Kostensteigerungen noch
verstärkt. Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Steuereinnahmen
waren für Reutlingen noch moderat.
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Wartet noch darauf, dass sich die Planung erfüllt: Parkplatz in der Oberen Wässere |
In
den letzten 15 - 20 Jahren hat sich ein weiterer struktureller Wandel
ereignet, der insbesondere von Forschungseinrichtungen und Hochschulen
getragen wurde. Gentechnik, Mikroelektronik, die Grundlagenforschung in
diesen Bereichen hat letztlich Schritt für Schritt
die "Produktionsreife" und "Marktreife" erreicht, d. h. sie konnten nun
zu erschwinglichen Preisen auf den Markt dringen . Seien es
Technologiefabriken (wo gab es die in Reutlingen?), start-ups (wo gab es
die in Reutlingen) die Pioniere für die Umsetzung ihrer Ideen
benötigten, hatten in Reutlingen keine Lobby, obwohl es doch einige
Lehrstände ehemaliger Firmen gab. Ein solches Mikroklima, also ein
spill-over, das gab es in Tübingen, diese Stadt profitiert ganz enorm.
Das kann man an der Entwicklung des Gewerbesteueraufkommens ganz gut
erkennen. In Reutlingen herrschte seit Jahrzehnten eine große
Behäbigkeit, es gab Wachstum, Arbeitsplätze und sprudelnde
Steuerquellen. Dadurch, dass Reutlingen den Strukturwandel verschlafen
hat, keine Entwicklungsmöglichkeiten z.B. für Hochschulabsolventen im
naturwissenschaftlichen Bereichen angeboten hat, ist die Stadt gegenüber
Tübingen zurückgefallen. Ich kann auch nicht erkennen, dass das in der
Reutlinger Verwaltung angekommen ist. Warum auch, es gibt doch die
Auskreisung, man plant immer noch mit der Abrissbirne der Stadt ein
modernes Gesicht zu geben. Man baut zwar für die Tonne, aber was
geschieht für die urbane Qualität?«
Hermann Rieker
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Alles geplant? Auf jeden Fall frisch gepflastert und bepflanzt - der Nikolaiplatz |
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Einst war es Friedrich List, der eine Niederlegung der Stadtbefestigung forderte - einiges wurde gerettet und durch Neubauten umplant. |
Bildertanz-Quelle:RV (Fotos und Bildtexte)
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