Sonntag, 4. Oktober 2015

Ausstellung 2016: Erinnerungen an die Ur-Zelle

In diese "zelle" geht jeder gern
(Die Zelle wurde 1968 eröffnet. D.Red.)

Alles, was das Flair einer Großstadt ausmacht, Reutlingen hat es nicht. Bis jetzt.
Doch jetzt hat die "zelle" ihre Pforten geöffnet.
Nun wird Reutlingen durch die "zelle" keine Großstadt. Doch an der Eröffnung hatte man das Gefühl, eher in München als in Reutlingen zu sein.
Was ist die "zelle"?
Erstens ein eingetragener Verein. Dann ein Raum, in dem Kunstausstellungen stattfinden, Vorträge und Gespräche gehalten werden sollen.
Hier soll niemand das Gebotene passiv auf sich wirken lassen. Er soll aktiviert werden. Jeder soll mitarbeiten. Und sei es nur durch ein Gespräch, das neue Aspekte eröffnet.
Eine Zelle ist, wenn man nicht an die im Gefängnis denkt, etwas sehr Lebendiges. Etwas, was sich weiterbildet. Etwas, was sich durch Teilung vervielfältigt. Und das dürfte der tiefere Sinn gewesen sein, diesen Namen für eine Galerie zu wählen. Hier sollen Impulse gegeben werden, die nach außen wirken. Impulse, die nicht nur die Auseinandersetzung mit Werken der zeitgenössischen Kunst anregen und fördern, sondern auch verständlich machen wollen. Neue Möglichkeiten, um sich mit der veränderten Umwelt auseinanderzusetzen, sollen hier geschaffen werden.
Die geladenen Gäste waren sachverständig. Bei Eröffnungen ist das so. Aber das ist nicht das Ziel. Hier sollen Menschen, die sich bisher nicht um moderne Kunst gekümmert haben, zum Beispiel auch Verständnis bekommen für die zur Zeit ausgestellten Arbeiten von Dodo Löser, Ermute Freimann, Otto Engbarth und Sigi Zahn.
"Unsere Aufgabe ist in der ersten Zeit das Missionieren. Wir wollen den Leuten zeigen, dass es noch mehr gibt als Fernsehen und Filzpantoffel."
Der Verein ist politisch und konfessionell ungebunden und will sich neutral verhalten.
Man merkte es am Eröffnungsabend.
In Diskussionen, die nicht nur die ausgestellten Bilder betrafen, fanden sich so ziemlich alle politischen Richtungen zu einem Streitgespräch im Nebenzimmer ein.
Jung-SPD-Kandidat Otfried Garbe b
lickte um sich und meinte: "Das Keller-Establishment trifft sich in der zelle."
Was FDP-Kluck zum Ausspruch animierte: "Wer noch der SPD vertraut, dem hat man das Gehirn geklaut."
Kalauer gewiss. Doch daran knüpften sich längere Diskussionen, an denen sich auch Leute beteiligten, die sonst recht apolitisch sind.
Auseinandersetzen bringt immer Gewinn.
Bei der großen Lethargie vieler bin ich etwas skeptisch über den weiteren Verlauf der "zelle".
Skeptisch schon, aber hoffnungsvoll.

Aus: Willy Mexico, 1970.: "z.B.: Reutlingen"
Bildertanz-Quelle: Sammlung Bildlertanz



 

Keine Kommentare: