Mittwoch, 21. Oktober 2015

Reutlingen: Der Krieg, die Zerstörung, der Wiederaufbau (2)


Bildertanz-Quelle: Geschichts- und Heimatverein Lichtenstein
(Erstmals erschienen im Bildertanz-Blog am 23. Januar 2011)

Während auf der Seite 1 (Beitrag von gestern) noch ein moderner Spachstil, ohne Pathos, geradeaus gerichtet, für sich selbststehend in der GEA-Beilage von 1953 gepflegt wurde, lässt offensichtlich ein ganz anderer Autor auf Seite 2 die Muskeln spielen. Der Stil wirkt altmodisch, schleimtrompeterisch. Da heißt es nicht Sport, sondern noch altväterlich Leibesertüchtigung. Da hat man den Eindruck, dass die ganze Welt auf Reutlingen schaut. Man ahnt, dass da ein städtischer Beamter geschrieben hat - so sehr lobt sich die Stadt und lässt sich loben. Andererseits passte solch ein Stil durchaus noch in eine Zeit, in der jeder um ein neues Selbstverständnis rang, in der die Menschen zu verdrängen versuchten, dass ihr Land eine Dekade zuvor größtes Unheil über die Welt gebracht hatte. 
LESEPROBE (1):
Aus Trümmern neu entstanden
»In jenem Frühjahr 1945 hätte wohl kein Reutlinger zu ahnen gewagt, dass unsere Stadt acht Jahre später großzügiger und moderner wieder aufgebaut sein würde. Ganze Straßenzüge, ganze Stadtteile waren in Trümmer und Asche gesunken, viele Häuser waren total zerbombt, manches Geschäftshaus war von der Bildfläche verschwunden. Wer damals über die Trümmer kletterte, die die Straßen versperrten, wer die Bombentrichter sah, die umgepflügten Straßen, den packte das Grauen. Jahrzehnte würden vergehen, ehe diese Schäden beseitigt seien. Das war die Meinung allgemein. Und doch gelang der Wiederaufbau in erstaunlich wenigen Jahren. Reutlingen zeigt fast keine von Bomben gerissene Lücke mehr. Was auf dem Gebiet des Wohnungsbaus in unserer Stadt geleistet wurde, gilt im ganzen Bundesgebiet als vorbildlich, aber im sozialen Wohnungsbau im besonderen sind in Reutlingen Wege eingeschlagen worden, die zu großartigen Erfolgen führten. Reutlingen, die mittlere Industriestadt am Fuße der Achalm, hat sich durch seinen großzügig geplanten und mit Elan vorangetriebenen Aufbau im Bundesgebiet und weit darüber hinaus einen Namen geschaffen, der mit Respekt genannt wird. Und doch blieb der Aufbau nicht nur auf die Schaffung neuen Wohnraumes beschränkt. Man war bemüht, die für die Vertriebenen und Umsiedler notwendigen Arbeitsplätze zu beschaffen, ging der Schulraumnot zu Leibe, baute neue Straßen und gab für Straßeninstandsetzungen große Summen aus. Im Zuge der Errichtung einer Sammelkläranlage wurde die Kanalisation verbessert, die wirtschaftlichen Unternehmen der Stadt wurden modernisiert, aber auch die Leibesertüchtigung wurde gefördert, und neben einem im Entstehen begriffenen Stadion ist eine neue Turnhalle erstanden. Die kulturellen Einrichtungen der Stadt erfuhren eine dankenswerte Förderung. So hat Reutlingen seit 1945 auf allen Gebieten einen Aufbau zu verzeichnen, der erstaunlich ist. Was Leistungswille zustande bringt, wenn die Verwaltung die Initiative ergreift, das zeigt deutlich das Reutlinger Beispiel. Alle Bürger sind an diesem Erfolg beteiligt, der rühmlich in die Geschichte unserer Stadt eingehen wird.«
Weniger pathetisch geht es dann weiter mit einer Auflistung der Zerstörung. LESEPROBE (2):
»Wie sah es in unserer Stadt aus, als der Krieg über das Land hinweggebraust war, als drei schwere Luftangriffe einen großen Teil der Häuser und der Fabriken zertrümmert und eingeäschert haben. Ein Bild der Zerstörung bot sich dem Auge. Die Karlstraße wie umgepflügt und Ruinen am Karlsplatz, in der Wilhelmstraße, in der Federseestraße. Der Marktplatz von Trümmern bedeckt, verschwunden das schöne Rathaus, verschwunden die das Stadtbild prägenden Geschäftsbauten. Die Nikolaikirche war ausgebrannt, die Ebenezer Kapelle vernichtet, schwere Schäden in der Gustav-Werner-Straße, in der Tübinger Vorstadt, in der Georgenstraße. Bomben hatten die Albstraße getroffen, die Bismarckstraße, die Listhalle bestand nur noch aus Ruinen, ebenfalls die große Turnhalle. Und dann das Bahnhofsgelände! Bombentrichter reihte sich an Bombentrichter, die Gleisanlagen waren zerschlagen, verbogene Schienen ragten in die Luft. 516 Gebäude waren in unserer Stadt total zerstört, darunter 1050 Wohnungen. Von 100 Gebäuden hatten nur 53 keine Schäden davongetragen. Nicht zu reden von den zerschlagenen Fensterscheiben, den zertrümmerten Schaufenstern, die notdürftig mit Draht oder Pappe geflickt wurden.«

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