Donnerstag, 4. Februar 2016

Reutlingen, die Stadt, die nur noch ein "Habenichts" ist...

Ein Kommentar von Raimund Vollmer

Das ist verdammt arrogant, Herr Professor!
Als jetzt der Stuttgarter Verfassungsrechtler Christofer Lenz sein Gutachten zum Reutlinger Auskreisungsbegehren vorlegte, hat er - so das Zitat im Reutlinger General-Anzeiger und in der Südwestpresse - die Stadt einen "rechtlichen Habenichts" genannt. Denkt man diesen Ansatz zu Ende, dann muss man sich fragen, auf welcher verfassungsrechtlichen Grundlage die kommunale Gebiets- und Verwaltungsreform der siebziger Jahre stattgefunden hat?
Das Denkmodell des Gutachtens, das der Landkreis unter der Führung des Landrats Thomas Reumann beim Professor aus Stuttgart in Auftrag gegeben hat, basiert auf der Annahme, dass das grundgesetzlich garantierte Recht auf Selbstverwaltung kein "Angriffsmittel" sei, man könne daraus "kein Recht auf mehr" ableiten.
Mein lieber Herr Professor! Was war dann die kommunale Gebiets- und Verwaltungsreform? Das war ein Angriffsmittel par excellence auf die Existenz von Tausenden von Kommunen in Deutschland. Zu diesem Angriffsmittel gehörte sogar als ultima ratio die Zwangseingemeindung, die sich dabei über plebiszitäre Voten hinwegsetze. "Aus den Gemeinden Pliezhausen und Rübgarten wird die neue Gemeinde Pliezhausen gebildet", heißt es zum Beispiel lapidar in dem Abschlussgesetz 1976 in Baden-Württemberg. Dass dem ein massiver Widerstand der Gemeinde Rübgarten vorausging, ist übrigens im sonst so allwissenden Internet nicht recherchierbar. "Rechtliche Habenichtse" waren damals die Gemeinden, die eingemeindet werden sollten. Die Demütigungen sind noch längst nicht überwunden. Fragt nach in Rommelsbach, das sich mit aller Macht gegen die Eingemeindung wehrte und dessen Bürgermeister stolz sich weigerte, selbst seine Unterschrift unter den Vertrag zu setzen. Das überließ er seinem Stellvertreter.
Wie erbärmlich war das in einem Land, das seine Existenz 1952 einer plebiszitären Entscheidung zu verdanken hat, die es sich sogar in den siebziger Jahren nochmals vom Bürger hat bestätigen lassen! 

Lieber Herr Professor, wenn Sie da nicht alte Wunden aufreißen? 
Aber auch aus erweiterter historischer Sicht betrachtet ist dieses Gutachten in seiner Inszenierung nichts anderes als der plumpe Versuch, die Gegenseite zu demütigen.
Die Stadt Reutlingen hat ihren Status dem Staufer-Kaiser Friedrich II. zu verdanken. So erzählen es uns mehr oder minder direkt die Geschichtsbücher, auch wenn da die Urkundenlage nicht vollends befriedigt. Tatsache ist, dass der Kaiser, der aus Sizilien stammte und wahrscheinlich kein Wort Deutsch beherrschte,  damals die Städte brauchte, um ein Gegengewicht zu den Herzögen zu haben. Denn deren Macht, so bekamen es auch die Nachfolger zu spüren, war weitaus größer als zum Beispiel in Frankreich. Sie waren es, die die Lehen vergaben, über die Grafschaften herrschten, die indes selbst keine Lehen vergeben durften.
Reichsstädte wie Reutlingen waren - wie der Begriff sagt - reichsunmittelbar. Sie standen in der Nomenklatur des Mittelalters über der Grafschaft, die - man möchte sie vergleichen mit einer Kreisverwaltung - nicht direkt dem Kaiser oder König unterstanden, sondern dem Herzog. Sie waren mediatisiert, Reichsstädte hingegen waren frei. Der Herzog, mochte er noch so mächtig sein, hatte hier nichts zu sagen.
Aus der Geschichte der Stadt wissen wir, dass dies zumindest Herzog Ulrich vor bald 500 Jahren nicht daran gehindert hat, sehr aggressiv seine Hand nach dieser Stadt auszustrecken und sie zu besetzen. 
Es war ein nicht ganz fairer Deal im Umfeld der napoleonischen Kriege, der Reutlingen 1802 den Status der freien Reichsstadt wegnahm und nach Württemberg eingliederte. Das wurde 1806, also vor 210 Jahren, Königreich, und Reutlingen war nur noch Oberamt - eine schwere Schmach für diese stolze Stadt. Sie war württembergisch geworden - in den Worten des Herrn Professors war sie "ein rechtlicher Habenichts".
Wie tief dieser Fall ist, mag man ermessen, dass in der Nomenklatur des Mittelalters dem Begriff Staat etwa das Wort Land entsprach. Das Reich war der Verbund vieler "Länder", vieler Staaten. Die historische Bedeutung des Wortes "Land" schimmert wohl auch durch, wenn der Chef einer Kreisverwaltung Landrat genannt wird und seine Behörde - in Baden-Württemberg zumindest - Landratsamt. Auch die Tatsache, dass dieser Landrat hierzulande nicht direkt gewählt wird, sondern vom Kreistag bestimmt wird, macht ihn mehr zu einem Staatsmeister als zu einem Bürgermeister. Der Landrat ist institutionell viel stärker obrigkeitlich eingebunden als zum Beispiel die Position des Oberbürgermeisters, dessen Herrschaft auf der unmittelbaren Zustimmung durch die Beherrschten basiert. Der Oberbürgermeister operiert mit weitaus mehr natürlicher Autorität als der Landrat, der seine Stellung eher einer rein formalen Autorität zu verdanken hat.
Vor diesem Hintergrund mutet die Inszenierung des Gutachtens schon seltsam an. 
"Rechtliche Habenichtse" ist eine ziemlich vernichtende Aussage. Sie stammt nicht von Thomas Reumann, dem Landrat. Es ist die Aussage eines Professors, eines Gutachters.
Der darf das sagen, weil er nicht das Sagen hat.
Übrigens: Reutlingen hat den Antrag auf Ausgliederung gestellt. Auf der Basis eines Beschlusses seines Gemeinderates. Mehr nicht. Sie hat nicht verlangt, dass Land und Kreis einen Vertrag unterschreiben, der die Ausgliederung regelt. Das gehört zum weiteren Prozedere. So war es bei den Eingemeindungen und Neuregelungen während der Gebiets- und Verwaltungsreform auch.Zuerst kam die Entscheidung der Gemeinde und dann begannen die Verhandlungen. Am Ende stand ein Vertrag. 

Ziel der Inszenierung dieses Gutachtens war es einzig und allein, die Stadt zu demütigen. Aber das reicht nicht, das schafft nur böses Blut. Und souverän ist etwas anderes.
Raimund Vollmer

Bildertanz-Quelle:

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Wenn Reutlingen das Landvolk nicht nötig hat-
auf nach Metzingen!