Vor 200 Jahren waren die Bürger der alten, aber seit 1802
nun nicht mehr Freien Reichsstadt Reutlingen ihrer alten Gemäuer überdrüssig. Die
Wehranlage mit Stadtgraben und Stadtmauern hatte schon lange ihre Bedeutung verloren.
Der Große Brand von 1726 hatte diese einstmals so stolzen Gewerke auch nicht
schöner gemacht, aber sie waren noch weithin sichtbar und charaktervoll. Aber
die Menschen hatten die Nase voll vom Mittelalter. Und so rückten die Bürger
bei Nacht und Nebel der Stadtmauer zu Leibe. Die Steine der Bauten, die man
nicht zu brauchen vermeint, werden weggetragen und an anderer Stelle für
Neubauten genutzt. Reutlingen verändert
sich radikal. Der Ledergraben wird zugeschüttet, wichtige Wahrzeichen der Stadt,
das Alb- und das Untere Tor verschwinden bis 1834.
Nur einige Reste der Zwingermauer sind heute erhalten. Sie
war zwischen halbrunden Türmen eingespannt, die durch einen unterirdischen Gang
miteinander verbunden waren. Dieser Gang soll unter die Häuser der Mauerstraße
geführt und seinen Anfang am Albtorplatz gehabt haben. Dieser Gang, der eine
Höhe von 1,60 Meter hatte, wurde unterbrochen durch sogenannte Brunnenstuben.
Das Mauerwerk diente also nicht nur militärischen Zwecken, sondern auch der
Wasserversorgung. Solche ein Brunnenstube soll es am Gartentor gegeben haben. Was
immer noch von diesem Gang erhalten sein mag, für uns Normalsterbliche sind
diese Stücke nicht zugänglich. Auf jeden Fall wurde vor 200 Jahren ganz schön
Raubbau an den Mauern betrieben.
Jahre später kamen die Reutlinger zur Besinnung - und so
wurde zum Beispiel das Tübinger Tor vor dem Abriss gerettet. Dennoch kam es -
obwohl bei Strafe verboten - immer wieder zu Diebstählen von Steinen. Die
Reutlinger hatten das Recycling entdeckt - und sich um eine Touristenattraktion
gebracht, die heute jedem Vergleich mit Tübingen oder vielleicht sogar
Rothenburg ob der Tauber standgehalten hätte.
Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer
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