Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer
Dass Stuttgart irgendwie bei der Stadtplanung das heimliche
Vorbild Reutlingens sein könne, war kürzlich eine Mutmaßung, die wir hier auf
Facebook und im Blog in die Welt gesetzt haben. Heute fand das im Reutlinger
Generalanzeiger seine erste Bestätigung. Denn dort wurde von einer
Veranstaltung der Partei "Die Linke" berichtet, bei der zwei
prominente Stadträte aus Stuttgart, Hannes Rockenbauch und Luigi Pantisano, über
ihre Vision von einer "lebenswerten Stadt für alle" berichteten.
Fast könnte man meinen: autofrei wie vor hundert Jahren, aber einen solchen freien Platz gab es da gar nicht. Bildertanz-Quelle: Raimund Vollmer (2016) |
So
lautet der Titel eines Zielbeschlusses, dem sich Stuttgart im Juli 2017 auf der Basis
einer dünnen Mehrheit im Stadtrat verschrieben hat. Und etwas ähnliches schwebt nun
auch den Linken im Reutlinger Stadtrat vor. Bebildert wurde der Bericht mit
"gezeichnete(n) Visionen eines anderen Stuttgarts", wie es in der
Bildzeile heißt. Und siehe da: Es ist genau dieselbe architektonische Öde, wie
sie sich schon lange in der City unserer Landeshauptstadt abzeichnet und sich
auch ganz allmählich in unserer kleinen Großstadt einnistet. Der Unterschied zu
heute ist nur: Es ist eine Öde ohne
Autos, ohne Parkhäuser. Aber es sind immer noch dieselben Rasterfassaden. Die
Straßen sind nicht mehr geteert, sondern in einer sterilen Kälte gepflastert, über
die auch das schnurgerade gepflanzte Grün nicht hinwegtäuschen kann. Eine Stadt
ohne Seele, eine Stadt wie überall, eine Stadt, die alles ist, nur nicht lebenswert.
Es ist eine Stadt ohne Bürger. Den gibt es nicht mehr. Es gibt eigentlich nur
noch Einwohner. Und der wird durch seine Funktionen definiert - wie überhaupt
alles funktional gesehen wird. Plätze sind zum Verweilen da, nicht zum Leben.
Straßen sind zum Gehen und zum Radeln da, nicht zum Leben. Was mit den
Wohnungen geschehen, war - außer dass sie preiswert sein sollen - wenig zu
lesen in dem GEA-Bericht. Wahrscheinlich wurde auch nicht viel darüber
gesprochen. Stadtplaner, die beide Stuttgarter Stadträte von Berufswegen sind,
haben es sowieso nicht mit dem Leben.
- Wenn Stadtplaner meinen, dass die autogerechte Stadt
abgelöst werden soll durch die autofreie Stadt...
- Wenn Stadtplaner meinen, dass "Zufußgehende und
Radfahrende" vor allem das Straßenbild bestimmen sollen...
- Wenn Stadtplaner meinen, dass Taxi, Bus und Stadtbahn schließlich die
letzten verbleibenden innerörtlichen Mobilitätsprobleme lösen...
... dann scheint alles, was eine Stadt zu einer Stadt macht,
sich auf die Funktionen zu reduzieren. Wir sind nur noch Fußgänger, Radfahrer oder Fahrgäste. Eine solche Stadt braucht vielleicht
wirklich keine Autos mehr, aber sie könnte auch von Automaten bevölkert werden - von Robotern.
Steckdosen zum Aufladen wird es in einer solchen smarten Stadt an jeder Ecke
geben.
Allerdings scheinen die Stadtplaner auf dem Weg zur "Stadt
aus der Steckdose" uns Bürger doch noch zu benötigen. Denn immer dann,
folgt man der Sprachsetzung in dem GEA-Bericht, wenn es darum geht, die Ziele
einer komplett autofreien Stadt durchzusetzen, fällt der Begriff "Bürger".
"Mit Bürgerbegehren jagen" - so zitiert unsere Heimatzeitung Stuttgarts
Stadtrat Rockenbauch - will man die Politik. Wie kommt man an diese "breite
Bürgerunterstützung", wie sie offensichtlich in Stuttgart herrscht, fragte
sich und seine Kollegen aus der Landeshauptstadt der Reutlinger Stadtrat Thomas
Ziegler: "Wie habt ihr das gemacht?"
Eine gute Frage. Man brauche ein konkretes Projekt, war die
Antwort - wie zum Beispiel dieses ganz, ganz große Ziel: die autofreie Stadt. Ja,
und dann? Was dann?
Tja, da fühlte ich mich nach der Lektüre so verlassen wie die
Menschen auf den Zeichnungen, mit denen der GEA Anschaulichkeit vermitteln
möchte.
Bildertanz-Quelle: Den
Artikel des GEA finden Sie hier.
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