Über Brunnen, Stadt und Heimat
Eine Betrachtung von Katrin Korth
Vor einigen Jahren musste ich einen Brunnen zuschütten: ein Wasserspiel
aus den 1950er Jahren. Fontänen und Beleuchtung waren schon lange dem
Vandalismus zum Opfer gefallen, das einstmals blaue, nun verblichene leere Brunnenbecken
fristete über Jahre ein trauriges Dasein. Der Standort? Direkt vor dem Bahnhof.
Was für ein Willkommensgruß! Die städtische Grünflächenabteilung, die ich
seinerzeit geleitet habe, hätte den Brunnen gern saniert. Wir rechneten und
prüften, machten Pläne und Vorschläge. Doch bürgermeisterliches Desinteresse
(Zitat: „Schüttet das Sch…ding zu“), zögerliche Stadträte, die die
Sanierungskosten nicht wahrhaben wollte („Ihr habt das doch teuer gerechnet, das
geht billiger“), und der eisige Wind kahlschlagender großstädtischer Stadtentwicklungspläne
fegten über den Brunnen hinweg. Danach fegte über meine Kollegen und mich ein Sturm
öffentlicher Empörung, waren wir doch diejenigen, die im Rampenlicht standen und
das Brunnenbecken zugeschüttet hatten. Örtliche Zeitung und Bildertanz, ein
abgeklärt kluger und mitunter romantisch verklärender Bilderblog, kommentierten
das Geschehen bissig. Über Wochen entrüsteten sich Bürgerinnen und Bürger.
Was kaum jemand auf dem Schirm hatte: viele Menschen fühlten
sich mit dem Brunnen verbunden. Sonntägliche Spaziergänge in Kindheit und
Jugend, später der schnelle Blick aus dem Auto, Willkommens- und Abschiedsbild
bei Reisen mit der Bahn – der Brunnen als seelisches Erinnerungsstück einer
Stadt und Symbol für die Aufbruchsstimmung der 1950er Jahre, als alles besser und
vieles schnell vergessen werden sollte. Der
Brunnen, nach dem Zuschütten wurde es offensichtlich, war ein Stück Heimat.
Der Begriff Heimat wird aktuell inflationär verwendet, hat
es sogar in den Titel eines Bundeministeriums geschafft. Doch was ist Heimat
wirklich? Als Begriff gewann Heimat erst mit der Industrialisierung und der
rasanten Urbanisierung im 19. Jahrhundert an Bedeutung. Und bis heute hat er immer
dann Konjunktur, wenn sich die gesellschaftlichen Verhältnisse rasant verändern:
durch Wachstum, Ein- und Auswanderungswellen, Globalisierung, Digitalisierung. Heimat
wird dann zum kulturellen Sehnsuchtsort.
Doch über die kulturelle Deutung von Heimat als Gefühl hinaus
wird der Begriff zunehmend auch politisch besetzt, als fühlbares Gegenstück zur
modernen, schnellen und kalten Gesellschaft. Die Süddeutsche schrieb am 2.
Januar 2018 dazu: „Heimat ist also
größer als die Familie und kleiner als das Vaterland. Damit beschreibt sie
eine Sphäre von "Gemeinschaft" vor dem Abstraktum der modernen
"Gesellschaft"“ und weiter „"Heimat" wird so zu einer
eigentümlich vorpolitischen Sphäre, die mit allerlei Gefühls- und
Erinnerungswerten aufgeladen wird.“ (Gustav Seibt: Was ist Heimat? Ein gutes Gefühl. In Süddeutsche Zeitung
02.01.2018)
Und hier findet sich der Anknüpfungspunkt zu den Brunnen: Brunnen
waren und sind Symbole städtischen Lebens, Ausdruck der Verfasstheit einer
Stadt, auch Zeichensetzungen - der Mächtigen wie auch der Bürger. Als gebaute Objekte
sind sie Zeitzeugen des Erinnerns an vergangene Zeit. Sie sind emotionale
Ankerpunkte im Stadtgrundriss, Brunnenplätze sind Orte des städtischen
Miteinanders – und zwar des tatsächlichen, nicht nur des verordneten oder
herbeigeredeten Miteinanders.
Brunnen sind natürlich noch viel mehr: das Spiel des Wassers
erfreut und erfrischt. Und gibt es etwas Schöneres, als am Brunnen zu sitzen
und zu entspannen? Oder Kindern beim Toben im Wasser zuzusehen? Wasser spricht
alle Sinne an und wie kaum ein anderes Stadtelement erzeugen Brunnen kleine
glückliche Momente im hektischen Alltag.
Das ist der Grund, warum sich Menschen empören, wenn Brunnen
nicht funktionieren oder stillgelegt werden. Das ist der Grund, warum sich
Menschen einsetzen für Erhalt, Pflege und Sanierung vorhandener oder auch den
Bau neuer Brunnen.
Beispiele gibt es reichlich: z.B. Die Europäische
Brunnengesellschaft in Karlsruhe. Beharrlich holt sie vergessene Brunnen und ihre
Geschichten ans Licht der Öffentlichkeit, saniert Brunnen und organisiert
Ausstellungen. In Stuttgart gibt es die Stiftung Stuttgarter Brünnele. In
einigen Städten gibt es Patenschaften. Magdeburg hat vor einigen Jahren ein
Brunnensponsoring ins Leben gerufen. Abgesehen von einigen wenigen Hauptbrunnen
laufen die Wasserspiele nur, wenn sich Sponsoren für den Betrieb finden. Dieses
Jahr kamen 40.000 Euro zusammen. Auch ich sponsere dort für den Betrieb eines
Brunnens, zusammen mit meiner Schwester und ihren Nachbarn finanzieren wir den historischen
Brunnen im Möllenvogteigarten im Domviertel. Man kann das auch durchaus
kritisch sehen. Brunnen sind schließlich eine städtische Aufgabe, so wie Rasen mähen,
Mülleimer leeren, Spielplätze pflegen. Doch ich spende nicht, weil die Stadt
diese Aufgabe nicht übernehmen könnte. Eine Stadt, die das Geld für ihre
Brunnen nicht aufbringen kann, kann ohnehin alles andere auch vergessen. Ich
spende, weil ich dankbar bin, weil es meine Geburtsstadt ist und ich mich so
verbunden fühle. Ich spende, weil ich so etwas zurückgeben kann von dem, was
mir die Stadt gegeben hat. Ganz in Anlehnung an Pippi Langstrumpf: Warte nicht
darauf, dass die Menschen dich anlächeln. Zeige Ihnen, wie es geht! -Warte nicht drauf, dass die Stadt etwas für
dich tut, sondern tue selbst etwas. Denn Brunnen sind offensichtlich ein Stück
Heimat.
Vor kurzem habe ich ein interessantes Beispiel in Pirna
entdeckt. Bei Bauarbeiten wurde 2016 ein Wasserspeicher aus dem 13. Jahrhundert
freigelegt. Die Stadtverwaltung schuf Tatsachen ließ ihn verfüllen. Dabei gibt
es eine Initiative (Pirnaer Brunnen), die über 10.000 Euro Spenden gesammelt
hat, um den Schacht sichtbar und erlebbar zu machen. Es folgte eine nun schon 2
Jahre währende kommunalpolitische Diskussion, immer noch nicht abgeschlossen, die
vor allem eines zeigt: das Thema ist emotional besetzt und sollte von den
Städten nicht auf die leichte Schulter genommen werden.
Eine Stadtplanung und Stadtpolitik, die ihre Brunnen
vergisst, macht etwas falsch. Das sage ich nicht, weil Brunnen mein Spezialthema
sind. Das sage ich, weil es eben nicht nur um das Bauen von immer neuen, wie
auch immer gestalteten Wohnhäusern geht oder um Straßen, Schulen, Kindergärten,
Gewerbegebiete, sondern auch um das Erzeugen von unverwechselbarer
Stadtidentität, also um Heimat. Das geht nur über ein Stadtbild, welches Abwechslung
bietet und individuell ist, über einen Stadtgrundriss, der im Maßstab angepasst
ist und der Menschen verbindet und zusammenführt. Das geht nur über eine Stadt,
die auf der emotionalen Ebene positiv anspricht.
Brunnen und ihre Plätze stehen für dieses Positive: in ihnen
mischen sich Baukunst und emotionales Erleben, Politik und Gemeinschaft,
Ästhetik, Tradition und soziales Miteinander – und das schafft Heimat. Manchmal
wird das, wie beim Listplatzbrunnen in Reutlingen, erst klar, wenn etwas nicht
mehr da ist. Denn was Heimat wirklich bedeutet, erfährt man vor allem im
Verlust.
Nachtrag
Letztes Jahr wollte ich eine Initiative für die Reaktivierung
des Listbrunnens gründen und habe Mitstreiterinnen und Mitstreiter gesucht. Das
hat ziemlich Wellen geschlagen: die Reaktionen auf FB reichten von Begeisterung
und „JA, ICH BIN DABEI“ bis hin zu „WOFÜR EIGENTLICH BÜRGERENGAGEMENT,WENN DIE
STADT DAS GELD AN ANDERER STELLE ZUM FENSTER RAUSWIRFT“ oder „DIE BEI DER STADT
SOLLEN ERST EINMAL IHRE HAUSAUFGABEN MACHEN; DANN ENGAGIEREN WIR BÜRGER UNS
VIELLEICHT AUCH“. Interessant auch die Reaktionen einiger Stadträte, die
erhebliche Vorbehalte hatten nach dem Motto: Bürgerengagement ja, aber bitte in
geregelten, kontrollierten Bahnen.
So wird das natürlich irgendwie nichts mit dem Brunnen,
stetig sind nur die Klagelieder regelmäßig in den Posts. Es bleibt
festzuhalten: Eine Stadt hat die Brunnen, die sie verdient.
Verweise:
Bildertanz Reutlingen: rv-bildertanz.blogspot.com/
Süddeutsche Zeitung vom 02.01.2018 http://www.sueddeutsche.de/kultur/sz-serie-was-ist-heimat-ein-gutes-gefuehl-1.3802786)
Pirnaer Brunnen: https://www.facebook.com/PirnaerBrunnen/
Stiftung Stuttgarter Brunnen: www.stiftung-stuttgarter-bruennele.de/
7 Kommentare:
Sehr Schön geachrieben !Danke dafür !
"Es ist zu spät, Brunnen zu graben, wenn der Durst brennt".
(Titus Maccius Plautus (um 250-184), röm. Komödiendichter).
Daran sollte sich auch Frau Koth halten. Was jetzt noch kommt, ist "Nachtreten" und einer Frau Dr. nicht würdig.
Auch wenn das "Umfeld" in diesem kleinen Video erfunden ist, habe ich trotzdem den Brunnen vor dem Bahnhof noch so in Erinnerung, wie ich ihn vor 55 Jahren erleben durfte.
Lieber Dr. Alumagnet, vielleicht kann man - auch als Dr. - nicht jede Wahrheit in sich verbuddeln. Und was den Berufsethos (Doktorgrad) anbelangt, so mancher Berufs- oder Standesethos hat schon verdammt viel Unheil angerichtet. Reutlingen möchte von offizieller Seite gerne als Großstadt gesehen werden, dann darf sie sich auch nicht wundern, wenn sie so behandelt wird.
Guten Tag Dr. Alumagnet ( ein hübsch klingender Name im Übrigen). Wie kommen Sie darauf, dass das „Nachtreten“ sei? Es geht um den Umgang mit Brunnen und mit dem, was Menschen mit bestimmten Brunnen verbindet. Und das hat wohl irgendetwas mit Heimat zu tun. Es sollte eine Stadtgesellschaft einschließlich der Stadtpolitik doch eigentlich freuen, wenn sich Ihre Bürgerinnen und Bürger interessieren. Und für dieses Interesse gibt es verschiedene Beispiele. Das habe ich aufgezeigt. Nachtreten ist etwas anderes. Das große Interesse an diesem Beitrag zeigt das. Und das ist dann einer Frau Dr., die sich mit Brunnen auskennt, sehr wohl würdig, denn ich zeige Möglichkeiten auf. Schade und nicht würdig, wenn Sie das als „Nachtreten“ empfinden.
Der Brunnen, das Parkhotel und die Skulptur des nackten Mädchens mit dem Rehkitz am alten Platz war für mich das Zentrum von Reutlingen.
Böse Mächte haben alles zerstört. Mein Herz blutet und ich habe Reutlingen verlassen. Dank Bilertanz habe ich jetzt schöne Fotos als Erinnerung und bin dafür unendlich dankbar.
C.F.
Ja, Frau Korth,
im "großstädtle" Reutlingen ist manches faul, ja ich meine sogar, daß es ganz ordentlich manchmal stinkt. Seit Jahren wird ein Stadtbild verhotzt pardon verhunzt, einige regen sich auf, andere, wie z.B. der Gemeinderat, der manches verhindert könnte, nehmen nichts, aber auch gar nichts wahr. Einiges haben Sie ja in Reutlingen gut gemanagen können (Oberamteistraße, die Straßenbeläge um die Marienkirche, zur Überraschung vieler termin- und fristgerecht). Leider waren Sie von der Dezernatsspitze nicht wohl gelitten, Sie mussten gehen, aber Sie waren nicht die erste, sondern, wenn ich richtig informiert bin, wohl die vierte, die auf dieser Position das Weite suchen musste. Leider hatten Sie den Brunnen zuzuschütten. Ich finde es sehr schade und ich vermisse ihn immer noch, ein Relikt aus den 50er Jahren, es hat aber der Anlage ein gewisses Flair gegeben. Allerdings waren früher Brunnen und die Anlage sehr gepflegt, das war eine der Visitenkarten von Reutlingen. Vielleicht meint die Stadtverwaltungsspitze eine Großstadt vom Range Reutlingens benötigt so etwas nicht. Dann sei´s halt so.
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