In ERGENZINGEN darf der Film nicht in städtischen Gebäuden gezeigt werden
Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer
ZUR SACHE: Nächste Woche, am Samstag, 26. Januar 2018, zeigen die
Altenburger Vereine und der Bezirksgemeinderat in der städtischen Turn-und
Festhalle den Film "Kein schöner Land" (ab 19.00 Uhr, Eintritt frei).
Es geht um den Flächenfraß, um dessen Fortschreiten sich die Filmemacherin Sabine
Winkler große Sorgen macht. Nun durfte sie erleben, dass der Film in
Ergenzingen nicht gezeigt werden darf - jedenfalls nicht in einem städtischen
Gebäude. Das verbiete die Benutzungsordnung. So heißt es heute in der Südwestpresse.
"Alle Räume, die der Stadt gehören, dürfen nicht für politische
Veranstaltungen genutzt werden", interpretiert die Zeitung den Inhalt der
Bestimmung.
KOMMENTAR: Zuerst einmal ist das, was Sabine Winkler den Ergenzinger
zeigen wollte, keine politische Veranstaltung, sondern Kunst, Filmkunst. Und es
ist das große Privileg aller Kunst, dass sie sich zwar an Normen orientieren
kann, aber auch mit dem Ziel, diese zu verletzen oder zu überwinden. Fast
möchte man sagen: Erst das macht Kunst zur Kunst, die Auseinandersetzung mit
der Norm.
Unser heutiges Leben wird in einem Maße von Normen der
unterschiedlichsten Art und Autorität bestimmt, dass wir uns längst fragen
müssen, ob dies mit unseren Grundrechten überhaupt noch vereinbar ist - vor
allem mit dem Freiheitsbegriff. Unerträglich wird es, wenn der Begriff der
Politik, einer normsetzenden Gewalt, sich über die Kunst erhebt und versucht, diese
in ihre Verbots-Kästchen einzukerkern. Das ist ungeheuerlich.
Dabei haben wir zum zweiten noch gar nicht einmal den versteckten
und feigen Angriff auf die Meinungsfreiheit, einem der allerhöchsten Güter,
adressiert. Denn bei diesem Film handelt es sich um einen Meinungsbeitrag. Dass
die Inhalte ihre Meinung, ihre ganz persönliche Meinung darstellt, schickt die
Autorin ja geradezu als Botschaft vor ihren Film. In seiner einseitigen
Stellungsnahme gegen den Flächenfraß wurde er auch vom Publikum verstanden, so
werden seine Inhalte diskutiert. Damit erreicht der Film eine Qualität, die
weit über das Gezeigte und Gemeinte hinausgeht. Er konfrontiert die Menschen
mit einer Problematik, die in das Zentrum dieses Jahrhunderts zielt.
Es ist unsere eigene innere Zerrissenheit bei fast allen Themen,
die es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu meistern gilt. Noch nie hat es
soviele Verkehrsstaus gegeben wie im vergangenen Jahr, der Grund sei der Bau von
zu wenig Straßen, heißt es, und wir nicken zustimmend. Andererseits wissen wir,
dass mehr Straßen nur zu Lasten von mehr Flächenverbrauch geht. Das wollen wir
auch nicht. Und so schwanken wir innerlich zwischen den Widersprüchen hin und
her.
Seit dem 19. Jahrhundert, seit Friedrich List sozusagen, ist
es die Wirtschaft, die unser Leben bestimmt und unsere Entscheidungen
begründet. Es war die Schaffung gemeinsamer Normen, die der Reichsgründung 1871
vorausging und erst ermöglichte. Es war das Wirtschaftswunder, das nach 1945 in
überwältigendem Maße unsere junge Demokratie festigte. "Die Wirtschaft ist
unser Schicksal", sagte schon Walther Rathenau (1867-1922), Politiker,
Industrieller und Schriftsteller. Es war dann die 68er Generation, eine höchst
politische Generation, die dies erstmals in Frage stellte und versuchte durch
andere, gleichwertige Themen "die Gesellschaft" zu bewegen. Seitdem
leben wir mit dieser inneren Zerrissenheit zu allen Fragen, die unser Leben
betreffen. Und lauscht man den Philosophen und den großen Wirtschaftslehrmeistern
wie John Maynard Keynes oder auch Ludwig Erhard, dann wird man dort hören, dass
ihr großer Traum darin bestand, den Primat der Wirtschaft zu überwinden. Sie
wünschten sich gleichsam ein schöner Land.
Kein schöner Land ist es, wenn städtische Einrichtungen
einem nicht zur Seite stehen, wenn es darum geht, für genau dieses schöner Land zu
werben, ja, dies sogar behindern. Dann wird es übel, sehr übel. Es ist nicht so sehr das Verbot, das
Sabine Winkler durch Verlagerung der Vorführung in eine andere Halle
überwindet, es ist vielmehr das kleinkarierte Denken dahinter, das uns
erschrecken muss.
Es ist schön zu hören, dass am 26. Januar, wenn Sabine
Winkler ihren Film in Altenburg zeigt, mindestens zwei, wenn nicht sogar drei
oder vielleicht sogar alle fünf Kandidaten zur Wahl des Oberbürgermeisters nach
Altenburg kommen wollen, um hier den Film zu sehen. Ebenso haben auch Stadträte
ihr Kommen angekündigt.
Dieser Film will ganz bestimmt nicht die Gesellschaft
spalten, sondern er will, indem er sich ganz klar gegen weiteren Flächenfraß
ausspricht, auf die innere Zerrissenheit hinweisen, auf den Konflikt, den wir
bei diesen und vielen anderen Themen mit uns austragen müssen.
Eine Umfrage ergab jüngst, dass das Vertrauen der Bürger in
die Institutionen in den letzten Jahren immer weiter gesunken ist und wohl momentan
einen Tiefpunkt erreicht hat. Verbote wie das in Ergenzingen zeigen aber auch,
dass unsere Institutionen das Vertrauen in sich selbst und in uns verloren
haben, dass sie uns deshalb in eine Welt hineinzerren wollen, die unpolitisch
ist - und uns damit dessen beraubt, was uns Menschen auszeichnet, nämlich die
eigene Urteilskraft. Sie ist es, die uns zur Wahl gehen lässt, um den
wichtigsten Akt in einer Demokratie zu vollziehen, nämlich in dem Augenblick, in
dem wir der Souverän sind.
Wer immer den Film von Sabine Winkler gesehen hat, ist sehr
nachdenklich nach Hause gegangen. Wer so etwas schafft, der darf das, was er
tut, als Kunst bezeichnen. Ergenzingen hat sich bis auf die Knochen blamiert.
Ich bin froh, dass ich in Reutlingen lebe.
Bildertanz-Quelle:RV
7 Kommentare:
Hallo Raimund,
Wer weniger Flächen verbrauchen will muß halt mehr Stockwerke aufeinandersetzen aber Hochhäuser mögen die, die schon wohnen und in Reutlingen kein Hotel, Arbeitsplatz oder Arzt brauchen, auch nicht! Also, sollen doch die, die das brauchen wie früher auswandern?
Das beste gegen Flächenverbrauch sind nun mal höhere Gebäude.
Gruß
Michael Staiger
Gut, daß Ergenzingen eine Umgehungsstraße bekommen hat. So hat man mit dem Kaff nichts mehr zu tun.
Übrigens nimmt die deutsche Bevölkerung angeblich ab und es werden trotzdem immmer mehr Flächen zubetoniert.
Ich bin schon lange aus RT ausgewandert und bin über Horb nach Vöhringen gekommen, übrigens lauter als RT. Dort wollten auswertige Investoren in der schönsten Naturlandschaft, wo abends die Rehlein aus dem Wald kommen, eine Fischfarm (kein Witz) und einen Vergnügungspark (mit Achterbahn?) reinbetonieren. Mit einem heftigen Aufschrei der Einwohner konnte dieser Irrsinn abgeschmettert werden und man wählte auch einen neuen Bürgermeister.
Lieber Michael, ich weiß nicht, woher dieser Mythos kommt, dass Hochhäuser weniger Fläche benötigen. Es gibt dafür nur eine Erklärung - nämlich dann, wenn ich die Regeln verändere - wie zum Beispiel Stellflächen für Autos oder die Verschattungsproblematik. Zudem sind Hochhäuser unwirtschaftlicher. Nein, hier werden weltanschauliche Gesichtspunkte pseudorational verklärt. Es ist der Grundstückspreis, der Investoren dazu verleitet, auf wenig Fläche viel zu bauen. Von mir aus kann dies ja auch geschehen, dann aber auf der Basis von Regeln, die mit der Bevölkerung abgestimmt sind. Ich möchte nicht noch einmal das Argument anführen, dass in echten Großstädten die Verdichtung um das Zehnfache höher liegen kann als in Reutlingen - und dies meistern mit der Vorgabe: Keine Hochhäuser mehr.
Gut,daß Ergenzingen eine Umgehungsstraße bekommen hat! Nämlich deshalb um die Wohnqualität insgesamt zu erhöhen und die Anwohner an der alten B 14 zu entlasten. Davon haben alle was! Wenn aber das dazu führt, dass die Kernstadtoberen und umliegende Ortschaften und Gemeinden meinen man müsse dies rigoros für eigene Zwecke nutzen um Kohle zu machen und "die" Ergenzinger wieder belasten zu dürfen, sollen sie sich zum "Teufel" scheren! Und wer anonüm so dumm rumlabert, erst recht! Land ist vor allem eines, Grundlage und Versorgung und nicht vermehrbar......
Lieber Herr Raible, wer hat denn hier "dumm rumgelabert"?
Lieber Herr Vollmer,
-wissen Sie wie es ist 45 Jahre an einer der meistbefahrenen Bundesstraßen leben zu müssen?
-wissen Sie wie es ist bis zu 15 Min an der Ausfahrt zu stehen um auf die Straße einbiegen zu können?
-wissen Sie wie es ist, vor der Straße warten zu müssen bis Vater oder Mutter kommt um Sie über die Straße zu holen, wenn Sie aus dem Kindergarten oder aus der Grundschule kommen?
-wissen Sie wie es ist, jeden Tag und
Nacht bis zu 600 klappernde Container LKW-Fahrgestelle direkt am Schlafzimmerfenster vorbeifahren?
-wissen Sie wie es ist, die Abgasschwaden von zig fränzösischen Militär-LKW die dazu noch Beschleunigen auszuhalten?
-wissen Sie wie es ist, wenn Landwirte einen Teil ihrer Lebnensgrundlage aufgeben undd Fläche zur Verfügung stellen oder Pachtflächen verlieren damit eine Umgehungstraße gebaut werden kann?
-Wissen Sie wie es ist, wenn Sie in einer Bürgerversammlung fragen wann der gierige Flächenverbrauch für immer neue Gewerbe- und Neubauflächen aufhört und Sie zur Antwort bekommen 1 ha Gewerbegebiet 50 Arbeitsplätze, 1 ha Landwirtschaft null?
-wissen Sie wie es ist, wenn Landwirte unterienander ausmachen sollen wer als nächstes aufgeben muss weil die Fläche immer weniger wird?
-etc etc
Ich behaupte einfach mal, Sie wissen es nicht !
Im übrigen habe ich den BFE angeboten die Kosten für einen Alternativsaal zu übernehmen, damit dieser Film in Ergenzingen "auf jeden Fall" gezeigt werden kann! Im Übrigen wurde das Zeigen des Films nicht von ergenzingen verboten, sondern meines Wissens nach vom OB der Stadt Rottenburg persönlich.
- Ich habe mich nur gewehrt, dass einer anonym Ergenzingen als "Kaff" bezeichnet, dass muss sich niemand gefallen lassen! Und Ihnen rate ich niemanden als dumm rumlaberer zu betiteln ohne zu prüfen mit wem Sie es zu tun haben. Ist das solider Jurnalismus ?
ohne korrekturlesen gesendet, die Schreibfehler dürfen Sie behalten
Gute Nacht!
Mit "dumm rumlaberer" habe ich Sie zitiert. Und ich weiß auch nicht, warum ich von Ihnen in diese Wissen Sie-Ecke gestellt werde, wenn ich doch auf Ihrer Seite bin. Ich glaube,Sie greifen hier den falschen an - und anonym ist von dem, was ich schreibe, ja nun wirklich nichts. Vielleicht sollten Sie zuerst einmal das genau lesen, was Sie kritisieren,bevor Sie es kritisieren.
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