Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer
Der GEA nahm den neuen Oberbürgermeister beim eigenen Wort |
Gestern war sein Tag. Gestern war auch unser Tag. Unser
neuer Oberbürgermeister ist im Amt. Vereidigt vom ältesten Ratsmitglied, der
sich über diese Aufgabe so gefreut hatte, dass er vor lauter Lampenfieber die
ganze Nacht zuvor nicht geschlafen hatte. Vor so vielen Leuten hatte der Mann
in den acht Jahrzehnten seines Lebens noch nie gesprochen. Und es war der
kleine Versprecher, den sein OBfer prompt nachsprach, der jedem zeigte: wir
sind wieder wir. Wir sind nicht perfekt, aber wir haben Qualität.
Die beiden Hauptdarsteller in diesem Augenblick waren Gemeinderat
Knut Hochleitner und dessen früherer Kollege Thomas Keck. Denn er ist nun nicht
mehr Stadtrat, sondern unser Oberbürgermeister. Seine erste Sitzung war in der
Stadthalle Reutlingen.
Von all dem komödiantischen und bombastischen Glamour, durch
den wir noch am Montag bei der Verabschiedung von Oberbürgermeisterin Barbara
Bosch vier Stunden lang beeindruckt werden sollten, war an diesem Freitagabend
nichts, aber auch gar nichts übriggeblieben. Alles war eine Nummer kleiner -
und feiner.
Daran schien sich auch die Erste Bürgermeisterin, Ulrike
Hotz, erst noch gewöhnen zu müssen. Während sie am Montag noch völlig
fehlerfrei die Begrüßung zelebrierte, war dieses Mal die Zahl der Versprecher schon
auffällig. Aber es machte sie unendlich sympathischer. Man möchte ein wenig boshaft hinzufügen: Es ist in Reutlingen
wieder erlaubt, Fehler zu machen.
Das Bläserensemble der Württembergischen Philharmonie zeigte,
was es konnte, edel war es - und gut. Irgendwie war es erfasst von derselben Stimmung,
wie sie auch die Bürger im Saal erfasst hatte. An diesem Abend herrschte Freude
statt Spaß. Da war nichts aufgesetzt, nichts gestelzt. Da war von Thun und
Phrasen nichts zu spüren.
Die ganze Würde des Augenblicks zeigte sich in der Ansprache
von Gabriele Gaiser (CDU), die ohne sich anzubiedern, ohne Effekthascherei uns
als das wahrnahm, was wir in einer Stadtgesellschaft nun einmal sind: Bürger.
Wir sind nicht Zuschauer, nicht Konsumenten, nicht
Einwohner, die sich einer feudal gefärbten "Nemokratie" ausgesetzt fühlen, einer
Herrschaft des Niemands, sondern wahrgenommen werden als Menschen in
Verantwortung. Es war wieder unsere Stadt. Jeder, mit dem ich sprach, war
beeindruckt von dieser Rede, die unterschwellig zum Ausdruck brachte: wir ruhen
in uns selbst. Wir müssen nicht die Besten sein, wir müssen uns nichts
beweisen. Wir wollen ganz einfach nur unser Schicksal meistern. Wahrscheinlich
ahnt sie, dass nach der Gipfelstürmerei der vergangenen 24 Jahre nun die Mühen
der Täler auf uns alle warten.
Übergehen wir die etwas seltsame Rede des
Regierungspräsidenten, der irgendwie durchschimmern ließ, dass es noch
mächtigere Institutionen gibt als eine sich selbstverwaltende Kommune. Da
stemmte sich - wie so oft in unserem Land - die formale Autorität über die natürliche,
die Ernannten über die Erwählten. Wir kennen das. In Deutschland steht die Dritte
Person über der Ersten.
Und dann kam endlich der Auftritt unseres Oberbürgermeisters,
unserer Ersten Person. Er, der fortan die Sitzungen des Stadtparlamentes zu
leiten hat, aus dessen Mitte er kommt, viele der Entscheidungen mitgetragen
hat, die das bisherige Bild der Stadt, ihr Image, mitgeprägt hat, muss nun als
Chef der 2500köpfigen Verwaltung dieses Reutlingen gestalten - in der Methodik
ebenso wie in der Thematik, in den Wegen ebenso wie in den Zielen.
Er wird kein OB der permanenten guten Laune sein.
Nachdenklichkeit wird ihn mehr umtreiben. Und er wird unangenehme Entscheidungen
treffen müssen. Eitel Sonnenschein ist mit gestern zu Ende. Und indem er an die
Feuersbrunst von 1726 erinnerte, stellte er Reutlingen nicht nur in einen
historischen Kontext, sondern erinnerte daran, dass es das Schicksal nicht
immer gut meinte mit unserer Stadt. Reutlingen war immer in der Defensive. Aber
diese Stadt und ihre Bürger haben sich immer tapfer gewehrt. Sicherlich:
Angriff ist die beste Verteidigung, das war irgendwie der Stil von Barbara
Bosch. Und die Offensive hat sie auch perfekt beherrscht. Da verdient sie
uneingeschränkten Respekt. Vielleicht hat Reutlingen ein solches Temperament in
den vergangenen 16 Jahren auch gebraucht. Sie hat vieles anders gemacht - und uns
geholfen, zu uns selbst zurückzufinden - indem sie uns demonstriert hat, was
wir nicht wollen. Das ist vielleicht ihre Tragik.
Unser neuer OB, der uns gestern sehr deutlich machte, dass
er einer von uns ist, dass diese Stadt sein Leben ist und auch mit seinem Leben
führen möchte, wird sich nicht durch spektakuläre Bauten profilieren können.
Die Veränderungen, die die Stadt und wir Bürger zu meistern haben, finden eher
im Verborgenen statt, aber sie werden massiv sein.
Vielleicht brauchen wir nach 16 Jahren Matriarchat ein bisschen
Väterlichkeit. Das soll aber nicht heißen, dass wir die Offensivkraft, wie sie
uns Frau Bosch vorgemacht hat, ganz vergessen dürfen. Die müssen wir jederzeit
abrufen können. Auch und gerade gegen die dunklen Seiten der Macht. Am 26. Mai
wird dies unsere ureigene Aufgabe sein. Bei den Kommunalwahlen.
Ja, wir sind wieder Reutlingen - indem wir das wahren, was
wir werden.
Bildertanz-Quelle:Anmerkung. Leider sind alle meine Aufzeichnungen über den gestrigen Tag verlorengegangen. Ich habe momentan keine Bilder von gestern.
5 Kommentare:
Zum Glück ist diese Weibermisswirtschaft beendet
Muss er sich nicht gendergerecht Oberbürger*Innenmeister nennen
Lieber Hans Maierlin, eigentlich handelt es sich sprach um das grammatikalische Geschlecht. Und das hat nichts mit Sexus zu tun. Im Lateinischen heißt es ja auch bei den Grammatikregeln: Genus, Numerus und Casus und nicht Sexus, Numerus und Casus... (Ich finde auch den Begriff Frau Oberbürgermeisterin ziemlich doppelt gemoppelt.)
Man sagt ja auch Herr Oberbürgermeister – ist sonst ein bisschen sehr straff. Wie einfach Hotz statt Frau Hotz.
Mit der Oberbürger*Innenmeisterin wollte ich nur die derzeit galoppierende Verunglimpfung unserer Schriftsprache aufs Korn nehmen. Man könnte auch die Schreibweise Bläser*Innenensemble fordern. Nur wie man das dann gendergerecht ausspricht, ohne die Männer zu vernachlässigen, ist mir noch schleierhaft...
Das wird noch ein Problem bei Autor*Innnen-Lesungen
Ein Aufruf zum Widerstand von Monika Maron, Wolf Schneider, Walter Krämer, Josef Kraus
Die sogenannte gendergerechte Sprache beruht erstens auf einem Generalirrtum, erzeugt zweitens eine Fülle lächerlicher Sprachgebilde und ist drittens konsequent gar nicht durchzuhalten. Und viertens ist sie auch kein Beitrag zur Besserstellung der Frau in der Gesellschaft.
Der Generalirrtum: Zwischen dem natürlichen und dem grammatischen Geschlecht bestehe ein fester Zusammenhang. Er besteht absolut nicht. Der Löwe, die Giraffe, das Pferd. Und keinen stört es, dass alles Weibliche sich seit 1000 Jahren von dem Wort „das Weib“ ableitet.
Die lächerlichen Sprachgebilde: Die Radfahrenden, die Fahrzeugführenden sind schon in die Straßenverkehrsordnung vorgedrungen, die Studierenden haben die Universitäten erobert, die Arbeitnehmenden viele Betriebe. Der Große Duden treibt die Gendergerechtigkeit inzwischen so weit, dass er Luftpiratinnen als eigenes Stichwort verzeichnet und Idiotinnen auch. Und dazu kommt in jüngster Zeit als weitere Verrenkung noch der seltsame Gender-Stern.
Nicht durchzuhalten: Wie kommt der Bürgermeister dazu, sich bei den Wählerinnen und Wählern zu bedanken – ohne einzusehen, dass er sich natürlich „Bürgerinnen- und Bürgermeister“ nennen müsste? Wie lange können wir noch auf ein Einwohnerinnen- und Einwohnermeldeamt verzichten? Wie ertragen wir es, in der Fernsehwerbung täglich dutzendfach zu hören, wir sollten uns über Risiken und Nebenwirkungen bei unserm Arzt oder Apotheker informieren? Warum fehlt im Duden das Stichwort „Christinnentum“ – da er doch die Christin vom Christen unterscheidet?
https://vds-ev.de/gegenwartsdeutsch/gendersprache/gendersprache-unterschriften/schluss-mit-dem-gender-unfug/
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