Mittwoch, 5. Februar 2020

Das traurige Beispiel Pfullingen


1959: »Die Macht hat die Tendenz, sich zu verabsolutieren, sich von ihrem Inhalt zu lösen und sich selbst zum Wert zu machen.«

Günter Eich (1907-1972), deutscher Lyriker, in seiner Büchnerpreisrede 1959




Ein unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer

Nichts hat sich seit der Rede des berühmten deutschen Lyrikers geändert - wie wir beim Blick auf das Rathaus in Pfullingen sehen können. Da ist ein Bürgermeister, der alle Macht auf sich vereint sieht, und da ist ein Gemeinderat, der sich nicht zu dessen Erfüllungsgehilfen herabsetzen lassen will. Mit gutem Grund: Der Rat ist von den Bürgern gewählt worden mit dem Ziel, vor allem die Stadtverwaltung zu kontrollieren und zu helfen, die Politik der Stadt mitzugestalten. Aber da gibt es auch noch den Bürgermeister, der ebenfalls direkt gewählt wurde und zugleich Chef der Verwaltung ist, die zu kontrollieren der Gemeinderat aufgerufen ist. Der Pfullinger Bürgermeister  fühlt sich für alles zuständig. Er reißt die totale Kontrolle an sich, aber offenbar nicht die Verantwortung. Kontrolle ist die Basis seiner Macht. 


Schon haben wir den Salat. 

In Pfullingen meint der Bürgermeister, dass er der Chef des Ganzen sei - er leitet die Sitzungen des Gemeinderates und herrscht über die Verwaltung. Und wenn er klug ist, was eine der herausragenden Tugenden eines Bürgermeisters sein sollte, dann überstrapaziert er niemals seine Position. Denn dann kann es sein, dass es nicht mehr um die Inhalte geht, sondern um Macht als Eigenwert.

Genau das ist momentan in Pfullingen eingetreten - mit  dem Ergebnis, dass die Bürger ihm nun das Vertrauen entziehen. Jedenfalls muss man so die Unruhe in dieser doch sonst so beschaulichen Stadt interpretieren. 
 

Ein Bürgermeister besitzt wie der Gemeinderat eine formale Autorität, die beiden durch die Gesetze und Gemeindeordnung zugesichert wird. Was die Protagonisten selbst mitbringen müssen, ist die natürliche Autorität - das, was sie an Ideen, an Persönlichkeit, an Geisteshaltungen, an Ethos in die Entscheidungsfindungen einbringen. Und das führt, wenn gelebt, meistens dazu, dass eine Gemeinde sehr lebendig wirkt und auch ist, ganz bestimmt auch eine motivierte Verwaltung besitzt und selbst ein Bademeister seinem Job gerne nachgeht, nach bestem Wissen und Gewissen.

In meiner Anfangszeit als Journalist durfte ich einmal das 1000jährige Bestehen einer Stadt begleiten. Und auf der Titelseite der Beilage zum Jubiläum waren der Oberbürgermeister, ein Fußballspieler (Jupp Heynkes) und ein hoher Kirchenvertreter verewigt. Tödlich beleidigt war der Stadtdirektor, der Chef der Verwaltung, der nicht dazu gehörte. Er fühlte sich herabgesetzt. In Baden-Württemberg wäre dieser Faux-pas niemals passiert. Denn dort war seit eh und je der Chef der Verwaltung auch der Chef des Parlamentes. In Nordrhein-Westfalen, wo ich meinen Beruf erlernte, war das nach dem Krieg nicht so. Es war britische Besatzungszone, es herrschten britische Gepflogenheiten. Ich persönlich fand diese Teilung sehr, sehr gut, weil es auch formal die Grenzen der Macht sichtbar werden ließ. Der Bürgermeister war Chef des Parlamentes, der Stadtdirektor Chef der Verwaltung. Eine klare Trennung. Den Kommunen ging es gut, niemand kam auf dumme Gedanken. So war das jedenfalls in meiner Wahrnehmung.


Klar: In einem solchen Gefüge ist der Stadtdirektor nicht so wichtig wie der Bürgermeister - jedenfalls im Ansehen der Bevölkerung, aber auch formal: der erste Mann in der Stadt war der Bürgermeister. Hier in Baden-Württemberg belegt er in einer Person die erste und die zweite Person, wobei er wahrscheinlich die Verwaltung an die erste Stelle rücken möchte. Jedenfalls kommt es einem in Pfullingen so vor.

In Reutlingen sah das auch mal viele Jahre so aus. Die Verwaltung bestimmte das, zu dem die Räte zustimmen sollten. Das ist anders geworden, so mein Eindruck. Hier versteht sich inzwischen der Oberbürgermeister eher als Integrator, was zeigt, wie sehr es auf die natürliche Autorität ankommt.

Ein guter Bürgermeister sollte auf seine Integrität achten. Das ist die einzige Macht, die er wirklich besitzt. Sie ist ihm Inhalt und Selbstwert. Die Bürger reden dann mit Achtung von ihm - auch in den "sozialen Medien". 

P.S. Man sollte als Politiker eins nie vergessen: Auch Macht ist eine Energie, die sich verbraucht. 
Bildertanz-Quelle:RV

6 Kommentare:

BW hat gesagt…

Sehr gute Einschätzung, herzlichen Dank Raimund Vollmer!

Anonym hat gesagt…

Wenn wir schon Gebote aufstellen: Jeder Mensch – und nicht nur Bürger*innenmeister*innen – sollte auf seine Integrität achten! Oder?

Anonym hat gesagt…

Sehr deutlich Stellung bezogen....und nicht neutral....bekommt Ihr wirklich alles mit? Können Sie aus eigener Erfahrung sprechen? Es sollte niemand Dreck am Stecken haben und vergangenes nicht aufdecken wollen....wenn dann... ja dann.... es ist doch kindisch zur Presse zu rennen.... und wer war der erste? Ja wer lieber Raimund Vollmer!? Schon mal nachgedacht oder nur mitgemacht? Schade....

Anonym hat gesagt…

Hallo abendlicher Anonymus,

auch Kommentare sollten hier im www in ganzen Sätzen erfolgen, damit auch "Nichteingewihte" eine Chace haben zu verstehen, was gemeint ist.
"Kindisch" find ich die Pünktlesreihen.

Gruß
Michael Staiger
Lichtenstein

Raimund Vollmer hat gesagt…

UND WIE ICH DAS MITGEMACHT HABE!!! Das mal nur als Anmerkung zu jenem Kommentar, der mich fragt, ob ich dies aus eigener Erfahrung mitgemacht habe. Es ist fürchterlich, es tut allen Beteiligten weh.

Anonym hat gesagt…

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