Donnerstag, 23. Juli 2020

Ist Thomas Keck der Obereinwohnermeister?



Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer

Bürger, schaut auf diese Stadt! Sie gehört Euch!!!

Heute gibt es in der öffentlichen Sitzung des Reutlinger Gemeinderates wieder eine „Einwohnerfragestunde“ – natürlich zu Beginn, wenn alles, was dann anschließend gesagt wird, noch nicht gesagt wurde und von den Einwohnern nicht kommentiert oder auch nur hinterfragt werden kann. Dass die Einwohnerfragestunde den Beginn einer Sitzung markiert, ist eine Entscheidung des Gemeinderates, nicht eine der Gemeindeordnung. Man könnte sie also auch an jeder anderen Stelle der Tagesordnung positionieren. Nun ist es auch so, dass die Fragen der Einwohner zuerst einmal ausschließlich vom Sitzungsleiter, also in der Regel vom Oberbürgermeister beantwortet werden, der sich allerdings des kompetenten Rates aus seinen Ämtern oder des Rates bedienen darf. Aber unmittelbarer Fragestundenchef ist der Oberbürgermeister, in den Teilorten ist es dann der Bezirksbürgermeister.

Wer aber ist Einwohner? Die Antwort ist ebenso knapp wie umfassend: Jeder, der hier wohnt. Jeder. Also kann jeder seine Fragen stellen. Auch unregistrierte Bewohner, die gar nicht beim Einwohnermeldeamt eingetragen sind, aber einen festen Haupt- oder Wohnsitz hier vorweisen können, sind Einwohner. Sie alle können nun ihre Fragen zu Beginn einer Sitzung stellen.

Von all diesen Menschen ist Thomas Keck nun der Oberbürgermeister? Müsste er nicht richtigerweise Obereinwohnermeister heißen – vor allen Dingen in einer Zeit, in der man den Begriffen jegliche diskriminierende Färbung nehmen möchte?

Bürger ist, wer hier seit mindestens drei Monaten seinen Hauptwohnsitz hat. Das mal ganz pauschal. Also ist Keck nur Oberbürgermeister von diesen Einwohnern. Es gibt aber auch die im Grunde genommen sehr sympathische, noch von den griechischen Philosophen abgeleiteten Definition, dass der Bürger ist, der sich aktiv am Gemeinschaftsleben beteiligt. Das ist die Idee vom Bürger, die im Prinzip jeder von uns in sich trägt. Das heißt: jeder, der in der sogenannten „Einwohnerfragestunde“ seine Stimme erhebt und sich daran hält, dass keine persönlichen, sondern nur gemeinschaftlich wichtige Fragen gestellt werden dürfen, ist demnach automatisch und in diesem Augenblick Bürger dieser Stadt.

Man könnte also die sogenannte Einwohnerfragestunde ganz einfach Bürgerfragestunde nennen, die dann auch vom Oberbürgermeister gemeistert wird. Warum tut man das nicht?

Der Einwohner definiert sich aus seiner Passivität heraus, der Bürger aus seiner Aktivität. Letzteres ist doch das, was man sich in einer Demokratie mit aller Inbrunst wünscht. Unser Gemeinschaftsleben würde ohne die Bürger oder das, was man „bürgerschaftliches Engagement“ nennt, zusammenbrechen. Gerade in den Zeiten von Corona ist uns dies doch sehr massiv vor Augen geführt worden.

Wir brauchen uns – als Bürger, nicht als Einwohner. Ohne Frage. Irgendwie hat man den Eindruck, dass die Exekutive, die ja letztlich alle Macht in dieser Stadt auf sich vereint, den Bürger auf Abstand halten möchte – als Einwohner. Das zeigt sich auch, wenn die Stadt zu einer Einwohnerversammlung einlädt. Da schimmert bei mir im Worthorizont eher der Begriff vom Untertanen als der vom Bürger auf.

Ich bin mir absolut sicher, dass Thomas Keck nie auf den Gedanken käme, sich selbst als Einwohner dieser Stadt zu bezeichnen. Ich würde ihn immer als Bürger sehen. Er ist – und darauf ist er stolz – Bürger dieser Stadt, deren Bürger (nicht deren Einwohner) ihn zum Oberbürgermeister gewählt haben, aber nicht zum Obereinwohnermeister. Das würde mir sehr nach „Oberstadtdirektor“, nach reinem Verwaltungschef klingen, aber nicht nach einer Integrationsfigur, die nur ein Oberbürgermeister sein kann.

Wer bei den Kommunalwahlen zur Urne geht, ist über alle Definitionen hinweg Bürger dieser Stadt – und das gilt aber auch für alle, die die Courage haben, zu Beginn einer Sitzung, wenn alle Redewasser noch kalt sind, seine Stimme mit Fragen zu dieser Stadt zu erheben.

Ich persönlich bewundere diese Menschen, die sich sehr oft aus eigener, natürlicher Autorität heraus dieses Instruments der Gemeindeordnung bedienen. Für mich sind das echte Bürger, die von ihrem Oberbürgermeister Rede und Antwort verlangen.

Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer (2020)

1 Kommentar:

Dr. Gender hat gesagt…

Ist er auch ein Obereinwohnerinnenmeister???