... war bei uns alltäglich. Denn wir hatten zwei Klassenkameraden, die völlig verrückt waren nach allem, was Straßenbahn anbelangte - und zwar bis in die 13. Klasse hinein. Aus Papier hatten sie in mühsamer Eigenarbeit und nach eigenen Vorlagen Straßenbahnen maßstabgerecht nachgebaut. Sie erstellten Fahrpläne, inszenierten im Kunstunterricht Sonnenuntergänge hinter Straßenbahnen, sie hatten sogar die einzelnen Linien auf Namen von Klassenkameraden getauft - vor allem aber fuhren sie während des Unterrichts Straßenbahn.
Ein paar Bleistifte und Plakadöschen, die auf ihrem Schreibpult ein dem Armaturenbrett nachempfundenes Arrangement darstellten, dienten dazu, den Führerstand einer Straßenbahn zu simulieren. Während die übrigen Schüler über eine Übersetzung brüteten, konnte es sein, dass es plötzlich durch die Stille tönte: "Oststraße" oder "Uhlandstraße". Wir hatten uns daran gewöhnt - und da die beiden, bis auf Sport, zwei hervorragende Schüler waren, konnten auch die Lehrer nicht viel sagen.
Eines Tages, wir hatten gerade Latein, sollte ein Klassenkamerad einen Text übersetzen. Wie bereits gestern berichtet, hieß unser aus der Pensionierung zurückgerufener Lehrer aufgrund seines doch schon sehr fortgeschrittenen Alters mit Spitznamen Opi. Und wir neigten dazu, unsere mangelhaften Lateinkenntnisse durch intensive Benutzung von Übersetzungshilfen wie dem Pons auf unlautere Weise zu kompensieren. So schummelte sich auch dieser Klassenkamerad mithilfe des Pons durch den Text. Er machte das sehr geschickt, stotterte hin und wieder, stammelte etwas, fand aber immer die richtige Spur. Dank Pons.
Plötzlich aber war der Pons zu Ende. Der Kamerad war völlig aufgeschmissen. Denn er hatte von dem, was er da auf Latein gelesen hatte, kein Wort verstanden. Er verstummte. Und in diesem Augenblick dröhnte eine Stimme aus der simulierten Straßenbahn: "Endstation".
Ich weiß nicht mehr, was danach geschah...
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