Kommentar: Die Gewaltentrennung ist das Urprinzip des demokratischen Rechtsstaats - wichtiger noch als das Recht zu wählen. Nur deshalb ist der Bürger bereit, auf sein eigenes Gewaltmonopol zu verzichten und es auf den Staat zu vereinigen. "Alle Gewalt geht vom Volke aus", heißt es in jeder guten Verfassung. Das ist der Urvertrag: Der Staat bekommt das Gewaltmonopol unter der Bedingung, dass er die Gewalten anschließend trennt (wirklich trennt und nicht etwa nur teilt) in Legislative, Exekutive und Jurisdirektion. Ein Staat, der diese strikte Trennung verletzt, verliert seine Legitimation und seine Legalität. So haben wir es in der Schule gelernt (und lernen es hoffentlich auch noch immer so).
Doch seit vielen Jahren erleben wir eine schleichende Entwertung des Prinzips der Gewaltentrennung. Nicht nur in einem Parlament, das es immer wieder duldet, dass Fraktionszwang auf die Abgeordneten ausgeübt wird, um zum Beispiel Regierungswillen zu sanktionieren. Nicht nur in der Vorbereitung von Gesetzestexten, die zuvor von Beamten (Exekutive) formuliert wurden - schlimmer noch: Inzwischen werden Rechtsanwaltkanzleien mit dem Entwurf von Gesetzestexten beauftragt. Nicht nur, dass die Finanzbehörden auf Weisung des Bundesfinanzministeriums Urteile der obersten Gerichtsbarkeiten ignorieren. Nicht nur, dass die Parlamente ihre eigenen Gesetze mißachten. Nicht nur. Nicht nur... Denn die Zahl der Verstöße gegen die Prinzipien der Gewaltentrennung ließe sich beliebig forsetzen. Bis auf Landes-, Kreis- und Kommunalebene.
Was aber heute Aufmacher auf Seite 1 der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ist und im Feuilleton ausführlich dargestellt wird, hat eine ganz neue Qualität, die wirklich die Grundfesten unserer Demokratie zerstört. Unter willentlicher Mißachtung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar 2008 haben Ermittlungsbehörden des deutschen Staates unter Ausnutzung perfidester Täuschungsmanöver einen sogenannten "Staatstrojaner" eingesetzt, mit dem nicht nur Computer von Privatleuten gehackt und ausgehorcht werden können, sondern auch auf einfache Art und Weise manipuliert werden können - bis dahin, dass sogar falsche Beweismittel einem Verdächtigen elektronisch unterschoben werden können.
Aus der Privatwirtschaft kennen wir Fälle, in denen eines Tages die Kriminalpolizei im Büro zum Beispiel eines Journalisten erscheint mit einem Durchsuchungsbefehl in der Hand, der auch das Durchforsten von dessen Computer umfasst. Der Vorwurf: der Pressemann habe Kinderpornos im Netz heruntergeladen. Man wird tatsächlich fündig. Der Journalist ist fassungslos. Tags drauf wird ihm gekündigt. Der verdächtige Journalist, ein Angestellter, ist 57 Jahre alt. Er wehrt sich mit allen Mitteln - und bekommt schließlich recht. Offensichtlich hat ihn sein Arbeitgeber angezeigt und wohl auch die Beweismittel untergeschoben - mit dem Ziel, sich eines Risikos zu entledigen. Denn der Kollege war nun in einem Alter, in dem er zu einem Gesundheitsrisiko für den Verlag zu werden schien. Dafür außerdem zu teuer. Und so weiter.
Dass der Ruf dieses Kollegen geschäftlich und privat komplett ruiniert war, interessierte den Arbeitgeber nicht.
Was aber sollte der Mann tun, wenn der Staat selbst ihm solche Beweismittel unterschiebt - nur weil er vielleicht eine Meinung vertritt, die den Behörden nicht gefällt oder fragwürdiges Verhalten staatlicher Stellen aufdeckt? Man möchte gar nicht weiterdenken. Denn da tun sich uns unvorstellbare Abgründe auf, die alles mit sich reißen - vor allem den Rechtsstaat und den Glauben an ihn.
Dieser Übermacht der Exekutive, die keinerlei Rücksicht mehr auf die Gewaltentrennung nimmt, Gesetze und Urteile wissentlich und willentlich missachtet, kann niemand mehr mit rechtlichen Mitteln Einhalt gebieten. Es wäre das Ende der Demokratie.
Aufgedeckt hat den "Staatstrojaner" der Chaos Computer Club, eine Nicht-Regierungs-Organisation, unterstützt von den Medien. Ist das die Zukunft der Gewaltentrennung?
Raimund Vollmer
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