DAS RATHAUS IST GESCHLOSSEN
Roboter haben unsere Verwaltungsgebäude besetzt / Und wer vertritt uns?
Zuerst einmal die gute Nachricht: das Rathaus steht auch in
25 Jahren noch. Nach wie vor dürfen wir die filigrane Betonfertigbauweise der
Verwaltungsgebäude bewundern. Und immer noch können wir vor dem sich über
unsere Köpfe hinweg auf seinen weißen Stelzen stolz erhebenden Ratssaal stehen
und die Kühnheit der Bauherrn bestaunen. Gut, dass es den Denkmalschutz gibt,
der dafür gesorgt hat, dass wir Bürger niemals mit der Abrissbirne drohen
konnten.
Das Rathaus bleibt. Basta. Für immer & ewig.
Dann kommt aber die schlechte Nachricht: Im Rathaus ist
kein Mensch mehr. Und uns Bürgern ist der Zutritt zu diesem vom Zerfall bedrohten
Gebäude längst für alle Zeiten untersagt. Aus Sicherheitsgründen.
Trotzdem ist das Rathaus voll funktionsfähig. Denn die Rolle
der Beamten und öffentlich Bediensteten haben Roboter übernommen - ohne
Pensionsanspruch und andere sozialen Errungenschaften. Denn es sind Maschinen -
24 Stunden lang im Einsatz, an sieben Tagen in der Woche.
Wenn wir durch die Fensterscheiben des Foyers oder auf den
gläsernen Tunnel zwischen Rathaus und Ratssaal schauen, dann sehen wir, wie die
sehr menschenähnlich gestalteten Roboter hin und her wandern, diensteifrig bis
in die letzte Schraube hinein. Sie tragen sogar Akten, aber mehr zu unserer Beruhigung
als aus Notwendigkeit. Denn alles ist längst elektronisch.
Die Roboter wären
auch schon längst verschwunden, wenn es nicht den Denkmalschutz gäbe. Der hat
nämlich unsere blechernen Freunde (in Wirklichkeit sind sie alle aus Plastik,
wegen der Gewichtsprobleme) unter Artenschutz gestellt.
So dient unser Rathaus nicht nur als ein hocheffizientes
Zentrum der Bürgerbetreuung, sondern auch zugleich als ein Museum - und manche
sagen sogar - als Theater.
Wir haben das vollautomatische Rathaus.
Nun wird sich mancher fragen: Wo bleibt da der Bürger?
Es war etwa um das Jahr 2025 herum, dass die Roboter ins
Rathaus einzogen. Sie besetzten die Schreibtische und Flure. Sie entstaubten
die Akten (Staub wirkt für sie wie Sand im Getriebe) und entmufften die Talare.
Was aber sollte mit den Bürgern geschehen, die täglich zu Hunderten über die
Seufzerbrücke hereinkamen?
Eine berühmte Künstlerin aus unserer Stadt hatte eine
geniale Idee. Sie schlug vor, ehemalige Stadträte und Stadträtinnen,
Bürgermeister und Oberbürgermeisterinnen als Vorbild für die Gestaltung der
Roboter zu nehmen. So kamen rund 100 Figuren in die Auswahl.
Wenn ich jetzt als Bürger ein Begehr habe - zum Beispiel
einen neuen Pass brauche oder eine Baugenehmigung benötige, dann suche ich mir
einen der Roboter aus, der im Rathaus dann meine Sache vertritt. Diese
menschgewordenen Maschinen sind endlich echte Volksvertreter (mit Betonung auf
Vertreter). Das klappt vorzüglich. Bei Wind & Wetter stehen die
Galionsfiguren unserer Geschichte unter dem Dach des Ratssaals und warten auf
den nächsten Auftrag. Den können wir übrigens über unsere Smartphones senden -
und uns sogar einen Lieblingsabgeordneten aussuchen. Und während wir warten, können wir uns im Alexandre von Robbies Coffies servieren lassen.
Die Roboter KlickKluck &
BlogBuck sind besonders begehrt, weil sie mit ihrer gedrungenen Figur und ihren
alten Bärten den schlanken, glattpolierten Beamten-Androiden besonders viel Angst einjagen. Aber
auch Roboterin Hotz-Spot, die immer einen Aktenordner unter dem Arm wurfbereit hält,
ist eine mächtige Waffe im Kampf gegen die Bürokratie. (Roboter sind ja auch
nur Menschen.)
Da bleibt nur noch die Frage nach den tatsächlichen
Stadträten. Wer vertritt tatsächlich unsere Interessen? Haben wir - ehrlich
gesagt - auf diese Frage wirklich je eine Antwort bekommen?
Text und Bilder: Raimund Vollmer
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