Freitag, 28. Oktober 2016

Prüfet die Anfänge! Wie hierzulande die Zukunft geplant wird...



Es geht um ein Gewerbegebiet zwischen Altenburg und Kirchentellinsfurt, es geht um alles oder nichts! Gestern im Gemeinderat von Kirchentellinsfurt

Ein Feature von Raimund Vollmer, der hier Partei ist

Der Kollege schaute voller Respekt und durchaus mit einem Schuss Neid in den Ratssaal der Gemeinde Kirchentellinsfurt. "Wie bei Arturs Runde", staunte er in die Tafel-Ellipse, die sich fast über die gesamte Länge des hochgiebligen Dachgeschosses des Rathauses ausbreitete. In der Tat - das Ambiente imponierte. Hier am Tisch war jeder wichtig - und gestern abend ganz besonders.
Der Schreiber dieser Zeilen, also ich, gehörte wie der Kollege zu einer Abordnung von  sieben Altenburgern, die am äußersten Rande des Saales auf einer langen Bank saßen und dem Gremium voller Spannung zuschauten und zuhörten. Irgendwie kleingehalten fühlte man sich auf dieser Bank, die einen mit ihren schrägsteil emporragenden Dachwand zu einem Gartenzwerg schrumpfen ließ. Ja, wie einer der sieben Zwerge kam man sich vor - vielleicht auch deshalb, weil da gestern eine große Sache über den Ratstisch hin und her gezogen wurde: Verhandelt wurde die Erweiterung des bestehenden Industriegebietes zwischen Altenburg und Kirchentellinsfurt um rund 15 Hektar. 
Nein, nein - darum ging es nicht. Eigentlich ging es nur darum zu prüfen, ob man prüfen soll, was vielleicht mal genutzt wird, wenn ein Bebauungsplan erstellt worden ist, der als Voraussetzung einen Flächennutzungsplan benötigt, der dann für dreißig bis vierzig Jahre gilt. Also, um es präzise zu formulieren: Gestern ging es um Nichts. Aber wenn man dieses winzige Prüf-Nichts, um das gestern gekämpft wurde, nicht in die Welt setzte, dann wäre auf Dauer alles verloren.
So argumentierte die eine Seite, vor allem vertreten vom Bürgermeister von Kirchentellinsfurt. Er hatte die kompetentesten Fachleute an seiner Seite, die ihn äußerst eloquent unterstützten. "Wir wissen nichts", hatte der Bürgermeister gesagt und darauf verwiesen, dass erst zukünftige Gremien, ja, Generationen, darüber entscheiden würden, was denn tatsächlich mit dem Gewerbegebiet geschehen werde. Es ging also wirklich um nichts, wobei man ehrlicherweise zugeben muss, dass dieses Nichts mehr war als  gar nichts. Denn es sollte dieses Nichts geprüft werden, ob nicht doch etwas darin steckte.
"Wer prüft, baut auch", verweigerte sich die andere Seite, die von dem Prüfantrag gar nichts hielt. Für sie war eine Prüfung bereits der Einstieg in den Einstieg. Der Wortführer der Neinsager saß genau gegenüber, an der anderen stumpfspitzigen Seite des Ellipsentisches. Hinter sich und neben sich nur die kahlen Wand mit der Saaltür, während der Bürgermeister auf seiner Seite eine Fensterfront hinter sich weiß - und den Hochaltar einer Leinwand, die allein ihm und seinen Experten gehörte. Perfekt inszeniert. Und doch war alles so durchsichtig, dass man sich auf seiner langen Bank ein wenig fremdschämte. Das alles hätte man auch charmanter machen können. Durch die Kreide hörte man doch die Stimme des Wolfes hindurch.
Und wir, wir die Bürger aus Altenburg, kamen uns denn auch vor wie die sieben Geißlein. Wir wurden mit Haut und Haar verschlungen.
Dass wir an diesem Abend nichts zu sagen haben würden, war uns, die wir im Zuschauerraum vor allem den Bezirksgemeinderat von Altenburg repräsentierten, natürlich bewusst. Das war sogar irgendwie sehr, sehr angenehm. Denn wer nichts zu sagen hat, kann viel, viel aufmerksamer zuhören. Aber dass wir auch außerhalb des Kirchentellinsfurter Ratsaals, auf unserem eigenen Turf nichts zu sagen hätten, das zu hören, das tat weh - vor allem, wenn es einer sagt, der selbst bis vor gar nicht so langer Zeit selbst Bezirksgemeinderat, also Ortschaftsrat, war. Um uns. um Altenburg, ging es nicht, sondern um eine "wirklich große Stadt" (das hat er wirklich gesagt!) ging es. Es ging um Reutlingen. Deren Gemeinderat hat das Sagen, er allein war auf derselben Augenhöhe wie der von Kirchentellinsfurt.
Wir, die wir aus dem kleinen Örtchen Altenburg kamen, fühlten uns auf unserer langen Bank, auf die wir uns in diesem emporragenden Ratssaal abgeschoben sahen, um weitere zehn Zentimeter geschrumpft. Wir sind zwar die allerengsten Nachbarn des Gewerbegebietes, waren aber doch so unbedeutend, dass wir uns, um uns zu retten, am besten im Uhrenkasten verstecken sollten. Andernfalls würden wir ganz einfach verschlungen.
Nun wissen wir ja alle, wie das Märchen ausging und der Wolf am Ende nur Steine in seinem Bauch hatte, aber gestern ging es nicht um das Ende, sondern um den Anfang.
Und der heißt Flächennutzungsplan. Das sei der "vorbereitende Bauleitplan", heißt es auf der Homepage des Nachbarschaftsverbandes Reutlingen-Tübingen, deren Vorsitzende momentan die Oberbürgermeisterin von Reutlingen ist. "Bauleitplan" - für die Altenburger ist das ein Zauberwort, denn in den Verträgen, die vor langer Zeit die Errichtung des Gewerbegebietes erst möglich gemacht hatten, steht sinngemäß drin, dass ohne die Zustimmung durch den Bezirksgemeinderat von Altenburg eigentlich gar nichts entschieden werden darf. Und diese Geißlein haben 2015 ihr Veto eingelegt. Einstimmig. Und das muss nun mehrstimmig und machtvoll übertrumpft werden - durch die Stimmen von echten Gemeinderäten, von Leuten, die wirklich etwas zu sagen haben.
Das macht man mit einer Raffinesse, die einem schon Respekt abverlangt Die Gemeinderäte, die wirklich etwas zu sagen haben, entscheiden momentan nicht darüber, ob das Gewerbegebiet in einen zukünftigen "vorbereitenden Bauleitplan" aufgenommen soll, sondern nur darüber, ob es überhaupt aufgenommen werden könnte. Man untertunnelt also den "vorbereitenden Bauleitplan". Clever.
Damit nicht genug, man verbindet diesen Tunnel mit dem Ganzen. Wenn diese Prüfung nicht gestattet wird, dann kann das potenzielle Gewerbegebiet auch nicht Teil des Flächennutzungsplans werden. Dann ist die Zukunft schon im Keim erstickt. Und zwar für die nächsten vier Jahrzehnte. Denn so alt ist bald der alte Flächennutzungsplan. Er stammt aus dem Jahr 1979.
So wurde gestern ein Druck aufgebaut, bei dem zu keinem Zeitpunkt eine Rechtsvorschrift genannt wurde, die all diese Schritte begründete - auch nicht die Laufzeit eines Flächennutzungsplans. Kein einziger Paragraph wurde genannt, der die Legitimität dieses Planes wenigstens ansatzweise umriss. Und man fragte sich, ob der Nachbarschaftsverband, der da gestern mit am Tisch saß, nicht hätte diese Vorab-Prüfung schon längst durchführen lassen müssen - aus eigenem Selbstverständnis heraus. Schon wegen der Selbstachtung. Immerhin sind doch seit 2014 renommierte Gutachter eingeschaltet, die das alles nicht zum ersten Mal machen.
Von denen war aber keiner mal bei uns im Altenburger Bezirksgemeinderat. Wären sie vorbeigekommen, hätten wir ihnen erklärt, warum das - nach welchen Kriterien auch immer -  vorausgewählte Gewerbegebiet ziemlich untauglich ist. Den Rat hätten sie von uns, den Zwergen aus dem Altenburgerland, kostenlos bekommen.Es wäre ein sehr, sehr ehrlicher Rat gewesen.
Gut. Es kann sein, dass das den Prüfauftrag gefährdet hätte. Seit gestern haben ihn die Gutachter sicher. Denn der Gemeinderat von Kirchentellinsfurt stimmte mehrheitlich dafür. 

Die Zukunft der Gutachter ist gesichert. Wer braucht da noch Bezirksgemeinderäte?  
 

Bildertanz-Quelle:R.V.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…


Hallo Herr Vollmer,

ich wollte Ihnen schon lange einmal einen Kommentar einstellen hinsichtlich Ihre schönen Ausführungen der Verschachtelung Reutlingens durch die Bauten der letzten Jahre. Dann wollte ich Ihnen schreiben, dass Sie Ihren "Mitbildtänzer" Werner Früh informieren sollten, dass die Toilettenanlage auf dem Marktplatz (heute längs verschwunden) Ende der 20er Jahre erstellt wurde. Aber meine Sorge war, dass Sie sich um das Stadtbild sorgen und ich Sie mit Toiletten und deren Entstehung belästige. Und jetzt das anrüchige Vorgehen der Verwaltungen Reutlingens und von Kirchentellinsfurt hinsichtlich der Erweiterung des Gewerbegebietes mittels einer mehr oder weniger offenen "Salamitaktik" ein Veto des Bezirksgemeinderates Altenburgs ins Leere "laufen" zu lassen. Nehmen Sie sich einfach die Vorgehensweise der Wallonie oder der Region Brüssel bei der CETA als Vorbild. Manchmal muss man so handeln, dass der Schwanz mit dem Hund wedelt und der Hund schmerzhaft Erfahrungen macht. Nur so lernt man.

Ihr H. R.

Werner Früh hat gesagt…

Vielen Dank lieber H.R. für die Infos zur Toilettenanlage auf dem Marktplatz. Ist auch bekannt, in welchem Jahr diese wieder verfüllt worden ist? Da gehen die Meinungen jahrzehnteweit auseinander. Ich tippe gefühlsmäßig mal auf Ende der 70er Jahre, so dass die öffentliche Toiletten so ca. 50 Jahre lang vorhanden waren

Anonym hat gesagt…


Lieber Herr Früh,

ich kann Ihnen nicht sagen wann die Anlage verfüllt wurde, ich meine aber, dass mit der Neuanlage des Marktplatzes im Zuge der Fußgängerzone der Kiosk verlegt und die Toilettenanlage verfüllt wurde. Die Jahreszahl war vermutlich 1980 (da war der Wochenmarkt in der Wilhelmstraße und teilweise um die Marienkirche) und ich einige Wochen im Westerwald.

Grüße H. R.