Freitag, 30. Juni 2017

Hotel Harmonie: Die Luxusherberge in der Oberen Wilhelmstraße...


... sah im Jahre 1904 noch so aus. Und ein anderes Foto (HIER) zeigt es in den dreißiger, vierziger Jahren. Doch um ein Bild vom Inneren zu ergattern, müssen wir 50 Jahre und zwei Weltkriege später in eine Meisterfeier des SSV Reutlingen schauen. Das Hotel gibt es schon lange nicht mehr. (Wir haben HIER noch ein Bilddokument aus dem Jahr 1974) Unsere Experten werden wissen, wann es abgerissen wurde. Die Speisekarte  des Hotels soll - so wird erzählt - zu den besten in Reutlingen gehört haben.



Bildertanz-Quelle: Wundertüte Helmut Akermann (50er Jahre Fotos) und Sammlung Fritz Haux
Erstveröffentlichung: 29.6.2013

Sonntag, 25. Juni 2017

Gestern im Technologiepark Tübingen-Reutlingen: Wo 1600 Menschen an der Zukunft arbeiten...

 ... braucht man manchmal einen weiten Blick durch enge Gänge...
... oder in die weite Ferne 
 Hier entsteht Zukunft in 75 Firmen der unterschiedlichsten Größenordnung...
 Hier zeigt sich die Zukunft...
Hier erklärt sich die Zukunft...
Hier erfährt sich Zukunft...
Hier sieht man der Zukunft in Auge...
Hier sind die Fenster in die Zukunft...
Manchmal sind die Fenster auch geschlossen, damit die Zukunft sich ganz auf die Zukunft konzentriert...
 So wird man begrüßt (übrigens mit einem Schreibfehler "Herzlich Willkommen" ist falsch, es muss "Herzlich willkommen" heißen)
 Er sucht nach einem einzigen Tropfen im Bodensee, um daraus Zukunft zu gewinnen...
Sie waren gestern der Zukunft auf der Spur: die Gäste des Technologieparks
Am Ende geht es immer um Menschenleben im Technologiepark
Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer

Freitag, 23. Juni 2017

1947: Erinnerungen an den Marshall-Plan

70 Jahre, nachdem der amerikanische Außenminister George C. Marshall den nach ihm benannten Marshall-Plan vorstellte, ist dies eine Gelegenheit, einmal darzustellen, was eigentlich damals die Umstände waren, die die Amerikaner dazu bewogen, nicht nur Deutschland, sondern auch ganz Europa zu helfen. Der Artikel hier entstand 2016, als ich versuchte, herauszufinden, wie die Welt aussah, bevor meine Generation, die Generation der Baby-Boomer, auf die Welt kam. Und natürlich wollte ich die Welt verstehen, in der viele jener Zeitzeugen aufwuchsen, die wir in den letzten Jahren mit der Kamera interviewt haben. "Ortsgeschichte trifft Zeitgeschichte" ist ja auch eines der Motive hinter dem Bildertanz.  (Raimund Vollmer)




Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer/Stadtarchiv

Donnerstag, 22. Juni 2017

Die City Trees, die Reutlingen retten sollen...






Der Reutlinger General-Anzeiger titelte mit einiger Zurückhaltung: "Lederstraße: Pflanzenwände sollen die Luft reinigen". Es geht um zwei Stellwände auf der Mittelinsel der Lederstraße in der Nähe der Messstation des Landes, die den Umweltdreck aus der Luft herausfiltern sollen. In RT ist Stickstoffdioxid das Problem, nicht der Feinstaub, heißt es. Sie sollen sechs Monate lang hier stehen, also vor dem Winter werden sie wieder abgebaut und möglicherweise woanders stationiert. Auch in anderen Teststädten scheint es so zu sein, dass mit dem Winter die Stellwände wieder verschwinden. Aber gerade dann seien sie doch besonders wichtig, heißt es in Medienberichten außerhalb des Schwabenlandes. Mit 28.000 Euro plus 7.000 Euro Installationskosten pro Exemplar gehören die Quadratbäume im Vergleich zu dem, was andere Städte bezahlen, nicht zu den preiswertesten Angeboten. Ob die Stellwände, die sich in unser Rechteck-Reutlingen wunderbar einpassen, sich vor dem alten Feuerwehrmagazin besonders wohlfühlen, ist fraglich- Auf jeden Fall versperren sie die Aussicht auf eines der historischen Gebäude, die nun wirklich auf behutsame Weise in eine neue Funktion überführt wurden.
Hier nun ein paar Zitate, aus anderen Städten. 

Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) in NRW, Standort Schuir, steht den Mooswänden kritisch gegenüber. „Es gibt bisher keinen wissenschaftlichen Nachweis dafür, dass die Pflanzen und Moose Feinstaub und Stickstoffdioxid filtern können“, wird dort die Sprecherin Birgit Kaiser de Garcia zitiert. Sie sagt, dass sich die Forschungsergebnisse von Green City Solutions nur auf Labortests berufen. (WAZ)
Das Regierungspräsidium Tübingen hat im Februar die Wirksamkeit eines „City Trees“ als „leicht positiv“ beschrieben, sagt das Schwäbische Tagblatt, das über die Installation der Wunderbäume in unserer Nachbarstadt berichtet. "Das Umweltbundesamt hat zu verstehen gegeben, dass es nicht viel von der Methode hält. Skeptiker bezweifeln, dass es überhaupt einen messbaren Nutzen gibt." So kommentiert dies die Frankfurter Neue Presse.
Die Urteile sind also nicht ganz so positiv, wie man auf der Basis erster Meldungen meinen möchte. Unterschiedlich ist auch der Preis:
 25.000 Euro in Castrop-Rauxel (Ruhr-Nachrichten). in Essen (WAZ) und in Frankfurt, 10.000 Euro in Hannover (Hannoversche Allgemeine Zeitung), dafür 30.000 in Tübingen.








Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer

Mittwoch, 21. Juni 2017

Thomas, guck mal - Katharinenstraße...

 ... noch ganz die alte...
... ganz schön löchrig...
... ziemlich  platt
So bleibt's nicht...
Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer (21. Juni 2017)

Sonntag, 18. Juni 2017

Der lange Steg 2011

Ein Jahr später hatte man ihn ein sattes Stück kürzer gemacht... Bildertanz-Quelle: Raimund Vollmer
Erstveröffentlichung am 8. März 2014

Freitag, 16. Juni 2017

In welcher Stadt wollen wir leben?




Reutlingen 2017: FASSungslos
Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer

Wer moderne Architektur kritisiert, gilt als unmodern. Dabei ist es die Architektur, die kritisiert wird, nicht die Moderne.

Schon die Überschrift verhieß nichts Gutes: "Vom aufhaltsamen Niedergang der Stadt" war hier in der "Stuttgarter Zeitung" zu lesen. Dann kam es dicke. Die Kritik war massiv. Von einem "Beiseiteschieben der sozialen Bindung des Kapitals" war die Rede, von "eine die Wirtschaft hofierende Stadtverwaltung" und von der "Ratlosigkeit einer verwirrten Architektengeneration". Überall herrschte der "Eindruck einer unwirtlichen, zerrissenen Stadt". Das Ergebnis: "Auch der neutralste Beobachter gerät in Zorn". Aber es ging nicht um Reutlingen.

Stuttgart 2017: Im Westen nichts Neues - junge Menschen zwischen alten Mauern


Es ist das Jahr 1975. Der ganzseitige Artikel des Bauhistorikers Frank Werner beschäftigt sich mit Stuttgart, aber seine Kritik träfe auch auf viele andere Städte der Nachkriegszeit zu.[1] Auch auf Reutlingen. Respekt vor der Geschichte, Achtung vor dem Leben, Anerkennung von Werten - das war in den ersten dreißig Jahren nach Kriegsende nicht die große Stärke der Stadtplanung. "Unstadt" nennt Wagner die nach 53 Luftangriffen zerbombte Landeshauptstadt, ein bitteres Wort, eine harte Zeit des Wiederaufbaus. 40.000 Gebäude sind zerstört, zwei Drittel der Gebäude in der Innenstadt vernichtet. Was noch übrigblieb, sollte auch noch verschwinden. Die Ruinen des Neuen Schlosses standen 1952 zur Disposition. Doch der Feudalbau wurde gerettet. Nicht dagegen das alte Rathaus mit seinem neugotischen Turm. Das war Kitsch. Stattdessen bekam Stuttgart 1956 eine "amerikanische Autofabrik", wie der Volksmund damals das bis heute nicht besonders verehrte Rathaus nannte. Vielleicht wäre noch viel mehr gefallen. Vergeblich hatte der erste Baureferent der Stadt, Eugen Mertz, gefordert: "Wir wollen dort, wo es um die städtebauliche Mitte, um das Herz und Gesicht unserer Stadt geht, mit besonderem Bedacht planen und bauen und wollen versuchen, möglichst viel vom Geist und Gefüge der alten Stadt in die neue hinüberzuretten." Ein frommer Gedanke, dem sich der Oberbürgermeister der Stadt, Arnulf Klett, nicht anschloss. Ähnlich ging es in vielen anderen Städten. Dem Oberbürgermeister der Stadt Reutlingen, von 1945 bis 1973 im Amt, Oskar Kalbfell, wird der Spruch nachgesagt, der Krieg habe eigentlich viel zu wenige Häuser zerstört. Die Moderne war alles, die Vergangenheit sollte verschwinden.
Zum Glück gab es dann ab 1971 ein Landesdenkmalschutzgesetz. Von da an durfte alles besser und konnte nichts mehr schlechter werden. 
Stuttgart 2017: Am Marienplatz - alle im selben Alter

Ob diese Behauptung stimmt, darüber lässt sich natürlich trefflich streiten -  vor allem zwischen Modernisten und Traditionalisten, die sich in der Nachkriegszeit nicht nur in Stuttgart unversöhnlich gegenüberstehen. In Hamburg, das seine erhaltenen Vorkriegsbauten in der Altstadt rigoros vor dem Abriss geschützt hatte, gab es bereits 1951 Pläne, die alte Hansestadt mit einer 135 Kilometer langen, mal mehrstöckig, mal unterirdischen Stadtautobahn zu durchziehen. Ja, der Begriff "Stadtautobahn" war in den 50er Jahren von dem Hamburger Bausenator Otto Sill geprägt worden. Dagegen wetterte 1958 der Erste Bürgermeister Max Brauer. Menschliche Siedlungen würden unter diesen "amerikanischen Scheußlichkeiten" begraben.[2] Das Auto würde "das Leben in der Stadt erst unmöglich und dann unerträglich machen". Ein erbitterter Streit wurde darüber geführt. Leider ging es dabei weniger um die Sache, sondern mehr um die Macht. [3] Und 1963/64 waren dann die Pläne sogar auf 440 Kilometer "Stadtautobahn" erweitert worden. Hintergrund war natürlich die völlige Überlastung der Innenstädte durch den Autoverkehr. Düsseldorf baute sich quer durch die Stadt eine filigrane Hochstraße, "Tausendfüßler genannt, der sogar in die  Denkmalliste aufgenommen wurde. 2013 wurde er dennoch beseitigt - trotz Bürgerproteste. Hätte man stattdessen 2013 eine solche Hochstraße geplant, die Bürgerproteste wären wohl kaum geringer gewesen. Stadtplanung ist immer kontrovers. Eine Stadt lebt nun mal zwischen Alt und Neu. Jede Entscheidung wirkt wie eine Naturgewalt. 
Stuttgart 2017: Alle Menschen sind jung - und in 50 Jahren sind sie alle alt. Gemeinsam.
Manches hat sich auch in Stuttgart vor der Abrissbirne retten können - wie zum Beispiel die Markthalle, die OB Klett unbedingt opfern wollte. Doch sie steht noch heute und erfreut die Menschen. In ihr findet sich auf engstem Raum alles wieder, was eine Stadt am Leben hält, was ihr Leben ist: die Vielfalt. Sie allein ist der Maßstab. 


Lyon 2017: So lässt es sich leben


Noch leben unsere Städte, sind trotz immenser Umweltbelastungen sogar lebendiger denn je. Das, was 1971 der Hamburger Stern-Journalist Ulrich Schippke in seinem Buch "Die 7 Weltwunder von morgen" für das Jahr 2000 vorhersagte, hat sich nicht unbedingt bewahrheitet. "Die Stadt ist giftig, die Stadt mordet, die Stadt wird von Autos bewohnt", schreibt er, ohne auch nur zu ahnen, dass nicht die Stadt, sondern er, er ganz persönlich, ein Mordopfer wird. Das war 1977, vor vierzig Jahren.[4]
In seinem visionär bebilderten Buch zeichnet der Journalist das Bild einer "unmenschlichen Stadt", die uns unweigerlich bevorstünde, wenn nicht zwei "amerikanische Wissenschaftler einen revolutionären Entschluss gefasst" hätten. Sie wollten in den nächsten 30 Jahren eine "Stadt der Vernunft" bauen - einen neuen Typus, der in der Lage sein würde, tatsächlich jene 90 Prozent der Menschheit aufzufangen, die dann in Städten leben würden. Ansonsten würden Monsterstädte entstehen, die von Genf bis Liverpool reichen und 200 Millionen Menschen in ein "Megapolis", einer "total verstädterten Landschaft" zusammenpferchen würden. Eine Stadt wie Stuttgart oder auch das kleine Reutlingen würde in diesem Megapolis komplett versinken - nicht nur die Bahnschienen von Paris nach Budapest. 
Lyon 2017: Einöde, eintönig - Wohnfabriken
Gegen diese Horrorvision setzten die amerikanischen Architekten Vernal M. Tyler und Carl Asiala die Vorstellung von einer gigantischen, durchgeplanten und durchgestylten Wohnmaschine. Wir, die wir die Zukunft des Jahres 2000 bereits seit bald zwei Jahrzehnten hinter uns haben, können nur froh sein, dass es ganz anders gekommen ist. 
Berlin 2017: Hochwohnen im Grünen
Das vielgescholtene Projekt "Stuttgart 21" wirkt gegenüber den Visionen vor 40 Jahren geradezu idyllisch und romantisch. Im Wettstreit zwischen Modernisten und Traditionalisten könnte man sagen: bei Stuttgart 21 haben sich die Traditionalisten durchgesetzt, sonst wäre nicht nur längst der Bonatz-Bau komplett verschwunden, alles wäre weg. Der Architekt Paul Bonatz (1877-1956) zählte übrigens damals zu den Konservativen beim Wiederaufbau der Stadt. Setzen wir noch einen Schuss Selbstironie drauf und sagen: Gut, dass es im Ländle Grün-Schwarz gibt, wobei Schwarz-Grün auch okay wäre. Denn noch nie waren Traditionalisten und Modernisten einander so nah. Ehrlich gesagt: ich kann manchmal den einen von dem anderen nicht unterscheiden. 

Lyon 2017: Ein Wirbelwind der Architektur: das neue Museum


Gut, die Stadt der Zukunft war 1971 umweltfreundlich gedacht, aber es gab keine Einzelhäuser mehr. Keine Jugendstilfassaden, keine Bauhaus-Siedlung, keine Postmoderne, kein Miteinander der Stile, keine Vielfalt. Stattdessen stereotype Wohntürme gewaltigen Ausmaßes, die allerdings mit einem Luxus und einem Komfort ausgestattet sein würden, mit dessen Steuerung Amazons Sprachmaschine "Alexa" hoffnungslos überfordert wäre. "Smarter Cities", wie es heute modisch heißt, wäre realisiert. Überhaupt würde nicht nur jede Detailplanung aus dem Computer kommen, sondern das gesamte System wäre elektronisch zu einem einzigen organischen Ganzen harmonisch zusammengewachsen. Die total vernetzte Gleichförmigkeit, der Triumph einer komplett standardisierten und normierten Welt. Alles wäre so, wie wir es bestimmt nicht wollten. 
Lyon 2017: Die Wucht der Moderne kann durchcaus schwungwoll sein
Nämlich so: Die Gebäude bestehen aus gewaltigen, ringförmig angelegten Türmen, die über Röhren miteinander verbunden sind. Durch sie fließt der Verkehr über mehrere Etagen. In dieser Rohrpost hat natürlich der Verbrennungsmotor nichts mehr zu suchen. 160 Meter Durchmesser haben diese Wolkenkratzer mit ihren mindestens 100 Stockwerken. 250.000 Menschen würden in einem einzigen dieser Komplexe leben können. Drei solcher Riesenröhren im Kessel - "Superstuttgart 21" wäre fertig. Die Bevölkerung des gesamten Kreises Reutlingen könnte in einem einzigen Stadtturm untergebracht werden. 
Berlin 2017: Wohnen am Alexanderplatz
Wollten wir in einer solchen Stadt leben? Niemand. Nicht einmal hoch oben im Penthouse.
Die Gigantomanie dieser Vision einer zum Himmel hoch verdichteten Stadt, die keiner will, hat aber in den letzten Jahren in gewisser Weise doch Freunde bekommen. Die Versuchung, in die Höhe zu bauen und alle Systeme umzugestalten, ist ganz einfach da, und sie ist verlockend. Alle größeren Städte denken über Wohnhochhäuser nach. Nicht neue Bürotürme entstehen, es sind Wohnstalagmiten. Aus einem einfachen Grund: Die jungen und mittelalten Menschen treibt es von den Vororten, wo sie aufgewachsen sind, zurück in die Städte ihrer Eltern und Großeltern. Urbanes Wohnen ist seit zwei Jahrzehnten ein Trend, der den Politikern schon aufzeigt, in welcher Stadt die Menschen leben möchten. Wohnhochhäuser scheinen da eine schnelle, rationelle und platzsparende Lösung zu sein, um Wohnraum zu schaffen. Die Menschen kommen aber auch hierher, weil sie glauben, dass hier die Jobs kreiert werden, in denen Menschen zu Menschen kommen. Hier entstehen die vielen Dienstleistungen der unterschiedlichsten Art. Anders formuliert: Es ist die Vielfalt, wie sie nur eine Stadt bietet, die den Städten neue Impulse geben und die Menschen anlockt. 
Lyon 2017: Panorama einer Großstadt
Aber diese Wohnhochhäuser mit ihren kalten, glatten Fassaden, mit ihrer Monotonie und ihren öden Zwischengrünflächen widersprechen andererseits genau dieser Vielfalt. Sie entsprechen nicht dem Bild vom urbanen Wohnen, das die jungen Menschen vor Augen haben. Sie schwärmen zum Beispiel für die alten, durchaus mächtigen Wohnstadthäuser im Westen Stuttgart. In den siebziger Jahren gehörten diese eher zum sozialen Brennpunkt als zu urbaner Wohlhabenheit. Doch es waren und sind vor allem Stadthäuser - Teil eines Milieus. 
Lyon 2017: Eine Brücke im kühnen Bogen über die Rhone. Dahinter die Trostlosigkeit der Wohnsilos.
Es ist schön zu sehen, wie Architekten zurück zu Kreativität und Menschlichkeit finden, wenn sie alte Häuser renovieren oder neue errichten. Leider sind die Grundstückspreise jenseits aller Wirtschaftlichkeit. Und die Gentrifizierung dieser Quartiere wirft uns zurück auf die Frage: Möchten wir wirklich in einer solchen Stadt leben? 
Reutlingen 2017: Katharinenstraße - Ohne Worte

Leben wir hier das voraus, was der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Merton Miller meinte, als er mal prophezeite: "In 200 Jahren werden wir alle reich sein"? In diesen Quartieren sind nicht nur alle Menschen schon heute ziemlich "reich", sonst könnten sie da nicht wohnen, sondern sind auch gleich - alt. Ja, sie werden sogar gemeinsam alt. 
Reutlingen 2017: Im Hinterhof des Rathauses
Sagen wir es einmal ein wenig ketzerisch: die Vielfalt wird momentan gewahrt durch die Gebäude, durch das Miteinander von Jung und Alt. Es ist aber nicht das Miteinander der Menschen damit gemeint, sondern allein der Häuser. Das kann nicht sein. Wer mit den Bürgern in diesen Vierteln spricht, spürt, dass ihnen bei der Gentrifizierung nicht ganz wohl dabei ist. Sie möchten das Neue, das Unerwartete, das Überraschende. Sie möchten das Leben in all seinen Läufen. So aber besteht die Gefahr, dass alle dasselbe tun, dasselbe sagen, dasselbe mögen. Im selben Alter sind. Im selben Rhythmus altern. Langweilig. Öde.
Selbst Politiker, vor allem solche mit Format, wollen nicht immer nur ihre eigene Meinung hören. 
Prag 2014: die alte Stadt, die neue - mir wird's ein allegorischer Bereich (Baudelaire)
Die Architektur ist jene Kunst, die das engste Verhältnis zur Macht hat. Wer aber hat die Macht? Die Politiker, sagen wir. Stimmt das noch? Ist das in zehn, zwanzig Jahren auch noch so? Natürlich sagen die Politiker gerne, dass der Wähler die Macht habe, vergessen das aber sehr schnell im Alltag. Politiker arbeiten in wichtigen Institutionen wie dem Gemeinderat, dem Landtag, Bundestag oder in Ministerien. Ihr Tun wird geschmückt durch große, wichtige Gebäuden. Mitunter sind sie sogar schön. Manchmal wirken diese teuren Bauten entrückt, gehen sie auf Distanz zum Wähler. Das ist sehr verführerisch. Es gibt wohl keinen Politiker, der sich da nicht selbst imponiert bei so viel baulicher Erbauung. Man nimmt sich wichtiger, als man ist. 

Reutlingen 2017: Am Lindenbrunnen - Vierstöckig und dann noch das Dachgeschoss
Eine Stadt definiert sich nicht mehr länger durch diese Macht- und Prachtbauten. Deren Charisma veralltäglicht sich, vor allem sind diese Paläste unnahbar. Eine Stadt definiert sich nach meiner Meinung allein durch das Leben. Das ist die wahre Macht, nicht die herrlichste, sondern die ehrlichste. Leben bedeutet Vielfalt. Das ist es, was die Menschen suchen. In einer solchen Stadt wollen wir leben. Und deshalb streben wir ja auch zu ihr. Dabei ist es egal, ob Klein- oder Großstadt.
Blicken wir zum Beispiel in unsere Landeshauptstadt, auf die wir ja auch genau so stolz sein wollen wie die Bayern auf München, die Westfalen und Rheinländer auf ihr Düsseldorf, die Sachsen auf ihr Dresden - und die Hamburger und Bremer auf sich selbst. Frank Werner beschreibt in seinem Artikel das Stuttgart von 1900: "Die Schlossanlagen erstrecken sich bis zum Neckar, im Westen entstehen die neuen bürgerlichen Großwohnhausquartiere, im Osten werden die für Stuttgart so typischen 'Berglehnestraßen' (...) mit ihren intimen Kreuzungsplätzen und prächtiger Bebauung angelegt". So kannten 1975 noch die Älteren ihre Stadt, und sie haben sie ganz bestimmt geliebt. Ich glaube, dass wir die Stadt, in der wir gerne leben möchten, genau so würdevoll beschreiben möchten. Aber es fällt uns schwer.
Wir werden unserer Gefühle beraubt. Das ist die größte aller Bausünden.  
Stuttgart 2017:Wie das Land so das Hier.

[1] Stuttgarter Zeitung, 26. Juli 1975, Frank Werner: "Vom aufhaltsamen Niedergang der Stadt"
[2] Hamburger Abendblatt, 26. März 2016, Oliver Schirg: "Die irre Vision von einer Hamburger Stadtautobahn"
[3] Der Spiegel, 29. Oktober 1958: "Hambirg - Streit im Senat"
[4] Ulrich Schippke, Gütersloh 1971, "Die sieben Weltwunder von  morgen", Seite 110 f"

Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer