Mittwoch, 2. Mai 2018

DER STADTKREIS UND DIE WEISSEN LÜGEN


Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer
 

Wenn Bürokraten über sich selbst urteilen, dann sind die Weißen Lügen einprogrammiert, also all das, was unter den Tisch fällt. Zum Beispiel jetzt, zu einem Zeitpunkt, bei dem eine Entscheidung über den Wunsch unserer Oberbürgermeisterin ansteht, Reutlingen in einen eigenen Stadtkreis zu überführen,haben die Weißen Lügen wieder Hochkonjunktur. Denn schon sind wir mitten in einem Geflecht fiktiver Berechnungen, in denen Zahlen vortäuschen sollen, was an echten Beweisen fehlt. 
Vielleicht hilft uns da die Geschichte ein wenig über diese Fabulier- und Nebulierkunst hinweg.

Als in den siebziger Jahren bundesweit, also nicht nur bei uns, die Verwaltungs- und Gebietsreform durchgezogen wurde, waren die Rationalisierungseffekte ein sehr gewichtiges Argument. Das galt besonders für die Personalkosten. Arbeit hat nun einmal seit Beginn der Industriellen Revolution vor 250 Jahren die Tendenz, teurer zu werden. Und so versprach man sich durch Zentralisierung einen Gegentrend, der da hieß "Einsparungen". Doch das Gegenteil trat ein. Immer mehr Bedienstete belasteten bei steigenden Gehältern die städtischen Haushalte. Und da man diese Reformen flächendeckend anlegte, gab es eigentlich keine Chance, die Effekte zu vergleichen - zwischen Regionen, die so blieben, wie sie waren, und solchen, die sich der Reform stellen mussten. Denn überall wurde unsere Welt umgestellt.

Jetzt wird gegen die Stadtkreisgründung, die erste nach der Gebiets- und Verwaltungsreform, angemerkt, dass das teurer werden würde, also keine Rationalisierungseffekte zu erwarten seien. Die bestehende Wirtschaftlichkeit ist demnach höher als eine zukünftige. So wird vorgerechnet, wohlwissend, dass man dies nie beweisen muss, solange es so bleibt, wie es ist. Da wirft niemand einen Schatten auf die Weißen Lügen.
Es sei denn, der Sonderfall würde eintreten und Reutlingen sich tatsächlich in einen eigenen Stadtkreis hinein begeben (dürfen). Dann wäre es plötzlich möglich, arbeitspreisbereinigt, zwei Situationen miteinander zu vergleichen: vorher und nachher. Die Angst, dass das Ergebnis genau umgekehrt sei, nämlich, dass mehr Selbständigkeit mehr Kostenersparnis ermöglicht, muss in der Hierarchie ganz, ganz tief sitzen. Denn das wäre ein Aufruf an andere Städte, es ebenfalls mit einem eigenen Stadtkreis zu versuchen.

Es würde ein ziemlicher Paukenschlag sein, wenn Reutlingen im Anschluss an eine Stadtkreisgründung beweisen könnte, dass Selbständigkeit sparsamer ist als föderale Hierarchisierung. 
Hinter der ganzen Gebiets- und Verwaltungsreform stünde dann ein großes Fragezeichen. Ein Sonderfall könnte eine völlig neue Marschrichtung ausgeben. Plötzlich müssten sich alle kommunalen Ämter neu rechtfertigen. Vor uns Bürgern und für uns Bürger.

Leider ist keine Konstellation denkbar, in der ein unabhängiger Gutachter diese Betrachtungen anstellen könnte. Denn wer soll ihn bezahlen, so, dass er tatsächlich zu einem objektiven Ergebnis käme? Gutachter sind keine Ehrenamtler, die ihren eigenen Aufwand selbst bezahlen und niemals anderen in Rechnung stellen.  Profitieren tun davon nur die Profis, die die ehrenamtliche Arbeit andere immer ihrem Produktivitätskonto gutschreiben können - und als manipulative Masse je nach Gutdünken einsetzen.
Nebenbei: der Wert unbezahlter, abgabenfreier Arbeit - so eine Schätzung - überwiegt den Anteil bezahlter und versteuerter Arbeit in Deutschland deutlich. Wahre Rationalisierungseffekte bringen allein wir, die Bürger, durch unsere Selbstlosigkeit, aber die bringt andererseits keine Steuern und Abgaben. 
Eigentlich wäre es angebracht, uns die Entscheidung zu überlassen, wie und in welchen Kreisen wir regiert werden wollen. Dann sind wir auch dafür verantwortlich, dass die Zahlen stimmen. Vielleicht wird dann auch die Arbeit der Ehrenamtler eingerechnet, um die tatsächliche Leistung eines Gemeinwesens zu beziffern. 

Bildertanz-Quelle: Sammlung RV (Stadtführung 2012)

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