Mittwoch, 16. Mai 2018

Reutlingen - ein Sonntagsstaat für die Sonntagsstadt

 Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer
Das neue Vier-Sterne-Hotel leuchtet golden -und wirkt so filigran, wie auch einmal die Stadthalle aussehen sollte - als Modell, aber dann ein dunkler Kasten wurde.
Erinnerungen an die Zukunft - Max Dudler konstruiert momentan gerne in diesem Rasterstil. Hier ein Entwurf für Antwerpen.


Heute veröffentlichte unser Generalanzeiger eine Luftbildcollage mit der Stadthalle und dem neuen Viersternehotel, das sich neben dem Amüsementtempel erheben darf. "Hui", denkste beim näheren Studium des Bildes, "da steht ja wieder die Listhalle". Und die schnurgeraden Schnurbäume haben auch schon ihre stramme Haltung eingenommen, die damit wohl Vorbild sein sollen für uns Bürger im Bürgerpark. Und dann guckst Du ein wenig in den Dudler-Kasten (Homepage) und entdeckst auf der Homepage des Schweizer Architekten, dass das, was er uns als Hochhaushotel erbauen will, bereits erprobte Mode bei ihm ist (und bei vielen anderen auch). Dass er in dieser klinisch sauberen Umgebung, über die auch nicht ein Hauch von Feinstaub wirbelt, solch eine Schmuddelecke wie die Listhalle toleriert, zeigt mir indes, dass der Architekt Sinn für Geschichte hat - so wie es seine sonst schnell vergänglichen Sprüche auf der Homepage uns verkünden. Diese Rasterfassaden, die nun auch das neue Hotel bestücken und beglücken, sind wirklich der letzte Schrei, den wir nun auch noch ein Leben lang aushalten müssen.

Natürlich ist daran nichts mehr natürlich, aber ob dieses Ensemble wirklich identitätsstiftend sein wird wie angeblich die Stadthalle (so in einer Laudatio), da werden die Bürger wahrscheinlich sehr unterschiedlicher Meinung sein. Dudler polarisiert, wobei ich zugeben muss, dass ich selbst immer wieder hin und hergerissen bin zwischen Staunen und Grausen. Staunen würde ich, wenn ich als Fremder in diese Stadt käme: "Wow", um es in klarem Integrations-Deutsch auszudrücken.  Grausen tut's mich, wenn ich es mit der alltäglichen Lebenswelt in unserer Stadt verbinde. 
Wir können doch nicht jeden Tag Sonntag haben. Da war mir die Listhalle lieber und das alte Parkhotel am Listplatz auch.

Aber vielleicht ist es tatsächlich das Ziel unserer Stadtverwaltung, Reutlingen in einen permanenten Sonntagsstaat zu kleiden, aus Reutlingen eine Sonntagsstadt zu machen. Und so summe ich ein Liedlein vor mich her, das der gute Franz-Josef Degenhardt in den sechziger Jahren komponierte und "Deutscher Sonntag" nannte: "Hütchen, Schühchen, Täschchen passend, ihre Männer unterfassend, die sie heimlich heimwärts zieh'n, damit sie nicht in Kneipen flieh'n..."

Eh, in welche Kneipen? 
Natürlich sollst Du im Hotel bleiben, das Arrangement aus Halle und Hotel am besten gar nicht verlassen.
 
Bildertanz-Quelle: Büro Max Dudler

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Wie so oft - mit spitzer Feder genau getroffen.

Anonym hat gesagt…

Wenn dieser Kasten dann steht , bauen wir doch schnell noch so einen Rasterkasten , gegenüber hin . Wir brauchen doch etwas über das wir uns in zwanzig Jahren schämen können . Postmodern und menschenleer wird das Areal sein , ohne Seele .

Anonym hat gesagt…

Schon wieder ein Hotel an der Hauptstraße? So was ging doch schon mal schief. Obwohl, heute ist es ja richtig cool möglichst viel Lärm zu machen, dann müßten die Hotelgäste das ja auch aushalten. Vielleicht haben die ja selbst eine Harley oder einen Mustang GT.

Anonym hat gesagt…

Das kannst du nur als Neubau vermieten und nachher für soziale Zwecke nehmen. Würde mit Altersheim und Krankenhäusle harmonieren. Alles an einem Ort.