Dienstag, 13. November 2018

Thomas Keck und die Bürgerstadt


Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer

Nur vor der Geschichte geht Thomas Keck in die Knie
Er ist verbrannt, bevor er sich überhaupt präsentiert hat. Und er kann jetzt gar nicht mehr anders, als den Kampf gegen seinen parteiinternen Freund anzutreten. Philipp Riethmüller, 36 Jahre jung und damit fast 20 Jahre jünger als sein Gegner Thomas Keck (55). Beide gehören zur SPD, der Partei, die sich nicht nur überall schwertut, sondern es sich auch noch obendrein schwermacht.

Mit der Unterstützung der parteilosen Barbara Bosch als Kandidatin und späteren Oberbürgermeisterin erlebte sie ihre letzten großen Triumphe in Reutlingen. Acht Sitze hatte die SPD bei der letzten Kommunalwahl 2014 ergattert, in der davor waren es neun Sitze, so auch 2004, 1999 und 1994. Prozentual lavierte diese große alte Partei immer zwischen 20 und 21 Prozent. Sehr stabil, wohl auch aufgrund der sehr treuen Wähler in dem ohnehin eher sozialdemokratisch grundgestimmten Reutlingen, auch wenn die CDU in den letzten Jahrzehnten stets die meisten Wähler auf sich zog. So der erste Schein.

Dennoch hat es zwischen 1984 und 2014, der letzten Kommunalwahl, einen dramatischen Wandel gegeben, auf den beide Parteien nun eine Antwort suchen. Beide Parteien waren einstmals die Schwergewichte. Beide haben aber seit den achtziger Jahren massiv an Zustimmung verloren:

- Die CDU fast zwölf Prozentpunkte, sie hatte 1984 40,3 Prozent der Wähler hinter sich.

- Die SPD gab acht Prozentpunkte im Vergleich zu 1984 ab. Da hatte sie 28,1 Prozent der Stimmen.

Seit der letzten Kommunalwahl stellen diese beiden Volksparteien zusammen nicht einmal mehr die Hälfte aller Mandate. Und 2014 gab es noch nicht die AfD, die mit Sicherheit beim derzeitigen, gefühlten Stand der Wählermeinung allen Parteien den ein oder anderen Sitz wegnehmen wird.

Im Vorlauf der nächsten Kommunalwahlen im Mai 2019 sucht Reutlingen in direkter Wahl einen neuen Oberbürgermeister. Die CDU schickte - vorausahnend, dass Weihnachtszeit, Winter und Fasching das Zeitfenster sehr klein halten würden - als erste Partei einen Kandidaten ins Rennen: Dr. Christian Schneider, irgendwie ein Merz-Typ, der versuchen wird, alle Themen auf Bierdeckelformat zu reduzieren. Ein reinrassiger CDU-Mann, der möglicherweise zu sehr die wirtschaftspolitischen Themen adressiert und sie in vielleicht etwas angestaubten Kategorien einordnet.

Die SPD wollte nun - mit ein paar Wochen Rückstand - ihren Kandidaten präsentieren, eben diesen jungen Philipp Riethmüller, Assistent der mächtigen Baubürgermeisterin Ulrike Hotz. Es gibt nicht wenige Stimmen, die sagen, dass Frau Hotz seitdem sehr viel moderater in ihrem Führungsstil geworden sei. Vor allem aber wird die SPD in ihm die neue Generation, die, die seit "1984" herangewachsen ist, gesehen haben. Er sei jemand, der für die Digitalisierung stünde, der aktuellen Chiffre für alles Moderne, wozu auch die unter Barbara Bosch und Ulrike Hotz sehr bewusst angegangene Stadtentwicklung gehört.

Weitere Kandidaten werden nun in den nächsten Tagen folgen - und wir werden sehen, wohin sich die Wählermeinung wendet. Jeder hat so seinen Liebling - irgendwie wäre es schon ein offenes Rennen geworden.  

Jetzt platzt Thomas Keck mit seiner Nachricht dazwischen, dass er sich ebenfalls für das Amt des Oberbürgermeisters interessiert. Er besitzt das, was vielleicht sonst keiner der anderen Kandidaten in diesem hohen Maße aufweisen kann: Er hat die Sympathie der Menschen - in allen Schichten, in allen Bezirken, auf allen Ebenen der Politik. Diese Sympathie kann man nicht wegdigitalisieren, auch nicht weg argumentieren. Das ist ein emotionaler Faktor, nach dem die Bürger meiner Meinung nach (es gibt dafür keine Statistik) regelrecht gieren.

Für viele Wähler waren die letzten Jahre eine Zeit schleichender Entfremdung zwischen dem, was die Zentralstadt tat, und dem, wonach sich die Bürger sehnten. Natürlich ist dies nur ein persönlicher Eindruck, aber in den bald 15 Jahren "Bildertanz" hat sich dieser Eindruck immer wieder bestätigt.

Keck will nun ein Mitgliedervotum. Er will, dass die Basis entscheidet. So ist ja auch seine Politik als Stadtrat und als Bezirksbürgermeister: nah an den Menschen, souverän gegenüber den Institutionen.

Wenn in den vergangenen Wochen immer wieder in kleinen Zirkeln der Name Keck als möglicher OB-Kandidat fiel, gab es einige, die sagten: Stimmt alles, er wäre ein OB zum Anpacken, aber kann er auch zupacken? Kann er eine große Verwaltung managen? Diese Frage richtet sich indes an alle Kandidaten, egal, wer da noch kommen mag.

Eigentlich ist diese Frage nicht ganz fair. Denn sie wird in hohem Maße dadurch beantwortet, wer dem zukünftigen OB als Dezernent beigeordnet ist. Da muss der Oberbürgermeister der kommenden Wahl mit den Persönlichkeiten zusammenarbeiten, die während der Bosch-Ära nicht vom Wähler, sondern vom Stadtrat zur Seite gestellt wurden. Werden sie bleiben? Werden ihre Verträge erneuert? Wie werden sie mit ihrem künftigen "Boss" umgehen? Wer kann am besten eine solche "Elefantenrunde" managen? Wie setzt sich der Stadtrat im kommenden Jahr zusammen? Mit wie viel Opposition hat der Chef zu rechnen? Wie wird sich überhaupt die politische Kultur in unserer Stadt weiterentwickeln?

Es sind - nach meiner Auffassung - weniger technische, auch nicht verwaltungstechnische Fragen, die die nächste Wahlperiode bestimmen werden. Alle Themen, die jetzt schon auf dem Tisch sind, werden uns auch in den kommenden Jahren beschäftigen, sogar sehr intensiv. Doch auf dem Weg zu Lösungen wird entscheidend sein, wie sie herbeigeführt werden. Nicht nur in der vermeintlich sachlichen Art, wie sie Experten meinen uns vorzugeben, sondern auch in der emotionalen Befindlichkeit von uns, den Regierten. Wir brauchen keine Expertenstadt, wir brauchen eine Bürgerstadt.

Vielleicht haben wir zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte die Chance, dies aus unserem Reutlingen zu machen: eine Bürgerstadt. Wer in Betzingen lebt, weiß, dass Keck zumindest dies schon einmal für dieses einstige Industriedorf geschafft hat. Er hat dieses Zugehörigkeitsgefühl, diesen stillen Stolz auf alles, wie es ist und wird, nicht erzeugt, das müssen wir schon selbst tun, aber er hat es intensiv unterstützt. Nicht umsonst bewundern ihn deswegen die anderen Bezirksbürgermeister. Er hat den strategischen Wettbewerbsvorteil, dass er seine Fähigkeit als Integrator vor Ort bereits bewiesen hat. Das soll nicht heißen, dass die anderen das nicht auch können. Aber diese Integrationsaufgabe ist unser Thema, nicht die Digitalisierung. Und Wohnungspolitik, dem brennendsten Problem unserer Zeit (momentan!), sollten wir jemanden, der sich von Berufswegen damit beschäftigt, auch zutrauen.

Die SPD ist sehr gut damit beraten, ganz schnell ein Mitgliedervotum herbeizuführen. In acht Jahren ist ein Philipp Riethmüller in dem Alter, um dieses mehr auf Weisheit als auf Wissen basierende Amt wunderbar zu erfüllen. Ich bin mir sicher, ein Thomas Keck als OB (was ja noch lange nicht entschieden ist) würde alles tun, um einen möglichen Nachfolger bestens auf das wirklich schwierige Amt vorzubereiten.

Natürlich ist all dies nur meine ganz persönliche Meinung - als Bürger dieser bei aller Kritik faszinierenden Stadt auf ihrem Weg ins und durchs 21. Jahrhundert. 

Bildertanz-Quelle: Raimund Vollmer

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Thomas Keck wäre der richtige, bürgernahe OB für Reutlingen. Eine Idealbesetzung. Bitte nicht die Marionette der Hotz, das wäre fatal

Anonym hat gesagt…

Keck - auch dieser liberale Kommentar eines Parteiischen :-)

Anonym hat gesagt…

Müssen BürgermeiserInnen Silberrücken sein? Ich meine nicht

Anonym hat gesagt…

Keck wird von dieser Kommission als "nicht jung genug" empfunden. Seit wann ist das Alter ein Kriterium für die Qualifikation eines OB Postens? Lustig, dass diese Aussage aus einem Kreis kommt, dem mit dem gut 70-jährigen Herrn Treutlein ein recht bemoostes Haupt angehört