Donnerstag, 14. März 2019

Kein schöner Land in nächster Zeit?


"Truthähne stimmen auch nicht für Weihnachten."

Englisches Sprichwort

Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer


Heute widmet der altgegenwärtige Reutlinger Generalanzeiger eine Doppelseite dem Film "Kein schöner Land" von Sabine Winkler. Interviewt dazu wurden zwei Profis: Ein hoher Angestellter der Stadt und ein Professor. Und beide argumentieren auf der Basis ihrer formalen Autorität. Der eine, Stefan Dvorak, ist "Reutlingens oberster Stadtplaner" (GEA), der andere, Alfred Ruther-Mehlis, ist "Professor für Stadtplanung an der Hochschule Nürtingen-Geislingen" (GEA). Beide sind keine Naturplaner (was ja eigentlich ein Widerspruch in sich wäre).

Was hat man von "Stadtplanern" zu erwarten? Genau das, was dann im GEA zu lesen ist. Sie argumentieren für ihre Jobs. Beide werden für ihre Tätigkeiten mit  öffentlichen Mitteln bezahlt.

Eigentlich wären diese Befindlichkeiten keiner Erwähnung wert. Doch in dem Drama, das sich zwischen den Stadtplanern und der Autorin unterschwellig abspielt, hat es eine große Bedeutung. Sabine Winkler ist Amateurin, die ihren Film selbst finanziert hat. Das, was sie uns zeigt, ist ein reinrassiger Autorenfilm. Sie besitzt nichts anderes als ihre natürliche Autorität. Sie hat überhaupt keine planerische Exekutivmacht. Sie ist eine Bürgerin, die auch gar keinen Hehl daraus macht, dass das, was sie in ihrem Film zeigt, ihre einseitige, aber schnörkellos grundehrliche Meinung ist. Und die Menschen, die den Film sehen, sind bestürzt - vor allem über sich selbst. Denn sie werden mit ihren eigenen Widersprüchen konfrontiert, mit dem Riss, der durch jeden Bürger geht.

- Einerseits wollen wir die Annehmlichkeiten, die Funktionen, die Fürsorge einer Stadt genießen, die - um ihre Aufgaben erfüllen zu können, oftmals den "Flächenfraß" anwenden muss. Das ist die Aufgabe der Stadtplaner.

- Andererseits wollen wir uns unsere Umwelt erhalten, die ja eben nicht nur die Funktionen einer Stadt umschließt, sondern auch alle Grünflächen, die Landwirtschaft, das Leben der Tiere, die "freie Natur" an sich. Das ist auch die Aufgabe der Stadtplaner.


Sie kümmern sich also um beides, durch Kooperation mit anderen Gemeinden sogar mit regionaler Gestaltungskompetenz.

Die Zivilisation, für die in ihrer höchstentwickelten Form die Stadt steht, einerseits und die Natur andererseits kämpfen um dieselbe Ressource. 
- Die eine Seite aktiv, durch Planung und wissenschaftlich-rationale Begründung, 
- die andere Seite, die Natur, die sich ihre Freunde immer irgendwie zusammensuchen muss. 
Die Natur ist stets die Gebende und in Reservate (Parks, Biosphären) Verbannte. Die Stadt ist immer die Nehmende, die mit ihrem Totschlagargument "Wachstum, Wohlstand Wohnungen" sich stets auf der Siegerseite weiß - nur mühsam gebändigt durch eine "grüne" Politik, die aber auch im Grunde genommen bisher nichts anderes als Grenzwerte setzen konnte. Das allerdings gelingt ihr in einer so guten Inszenierung, dass sie in Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten stellen kann und Fahrverbote androhen kann.


Nun kommt eine Frau daher, die niemanden fragt, ob sie das darf oder nicht, und produziert aus eigener Urheberschaft, eigener Autorität, einen emotionalen Film. Und sie wendet dabei das einzige Argument, das einzige wirklich zündende Argument an, das wir im Umgang mit der Natur haben: Emotion. "Kein schöner Land" ist denn auch ein hoch emotionaler, authentischer  Film, in dem auch die Wissenschaft zu Worte kommt. Interessanterweise argumentiert sie in diesem Film letztlich ebenfalls emotional.

Es ist keineswegs eine plumpe Emotionalität, die da dramaturgisch geschickt in Szene gesetzt wird. Dieser Film ist nicht Agitprop, nicht Agitation und Propaganda. Er ist eine sehr sublime, mitunter durchaus suggestive Leidenschaft, die uns in diesem Film mit uns selbst konfrontiert. In diesem Film - so ist es jedenfalls mir ergangen - geht es allein um uns. Und schon deswegen muss man sich diesen Film ansehen. Vielleicht ist es sogar der einzige Grund.

Insofern gehen die beiden Planungs-Profis der Amateurin in die Falle. Sie versuchen, uns, den Bürgern, das Thema wieder wegzunehmen, indem sie auf die Kompetenzen und Verantwortungen ihrer Zunft hinweisen. Beide haben nicht begriffen, dass es Sabine Winkler allein darum geht, uns Bürgern klarzumachen, dass es um uns und nur um uns geht. "Wem gehört die Stadt?", zitiert der GEA in der Überschrift die rein rhetorisch gemeinte Frage des Stadtplaners Dvorak. Und aus allem, was er da äußert, spürt man, dass er sich eins eigentlich nicht vorstellen kann: Dass dies unsere eigene Agenda sei. Wir müssen die Frage beantworten, welchen Ideen wir die weitere Gestaltung unserer Lebensverhältnisse anvertrauen.

Eine Stadtplanung, die sich in der Nachkriegszeit vornehmlich auf Trennen und Teilen reduzierte, auf brutal durchgesetzte Verkehrsschneisen (demnächst gibt es die sogar für Fahrräder), auf "Fußgängerzonen", auf monotone Vorortsiedlungen, aus Busspuren, auf bunt zusammengewürfelte Gewerbegebiete, eine Stadtplanung, die sich eigentlich wenig um Harmonie kümmerte, die Funktionalität und Rationalität über alles stellte, die ihre Flächennutzungspläne so gestaltete, dass sie jederzeit - durchaus im Gestus anmaßenden Wissens - alle Optionen besaß. Dvorak behauptet zum Beispiel in seiner Kritik an Winkler-Film, dass ja einige der Flächen bereits in dem bestehenden Flächennutzungsplan enthalten seien. Ja und? Was ist das für ein Argument! Das einzige, was dies sagt, ist, dass die Optionen schon früher besetzt worden sind. Langfristig, über die Wahlperiode eines Stadtrates hinaus. An anderer Stelle hat Dvorak darauf hingewiesen, dass Flächennutzungspläne Laufzeiten von drei, vier oder gar fünf Wahlperioden haben. Und damit sind sie primär dem Gestaltungswissen der Behörden unterworfen, an den sich der Gestaltungswille des Stadtrates eigentlich nur anpassen muss.

Besonders hohl wird daher die Argumentation auf Seiten des Professors, wenn er gegenüber dem GEA erklärt, dass Sabine Winkler "nicht zwischen Stadtpolitik und Verwaltung" trennt. Jeder Stadtrat weiß, dass die Verwaltung ihre eigenen Ziele hat, die sie tunlichst nicht verrät - am wenigsten der momentanen Stadtpolitik, die dann nichts anderes ist als der Erfüllungsgehilfe der Verwaltung und deren kompetent vorgeführten Argumentation. 
Gerade umfassende Flächennutzungspläne sind die besten Tarnveranstaltungen für die heimlichen Langfristziele der Stadtverwaltung, die sich ja durchaus als eine eigene Macht versteht, als Exektivmacht. Zum anderen muss man sehen, dass der Stadtrat selbst Teil der Exekutive ist - so widersinnig sich das anhört. Aber die Gemeinderäte gehören nicht zur legislativen Gewalt. (Man könnte sich jetzt fragen, warum eigentlich nicht?)


Diese Autorität könnten aber wir Bürger an uns reißen. Dass wir das können, wurde bislang von der Verwaltung und auch nicht vom Herrn Professor kommuniziert oder vom GEA direkt darauf hingewiesen. Auf dem Beteiligungsprotal des Landes Baden-Württemberg heißt es:

"Seit dem 1. Dezember 2015 können Bürgerinnen und Bürger zum Aufstellungsbeschluss ein Bürgerbegehren durchführen oder Gemeinderäte einen Bürgerentscheid ansetzen. Wird statt einem Aufstellungsbeschluss gleich die Auslegung beschlossen, was rechtlich möglich ist, kann auch zum Auslegungsbeschluss ein Bürgerentscheid beantragt werden."

WAS STEHT DA? Gemeinderäte können im Umfeld eines Flächennutzungsplans einen Bürgerentscheid ansetzen! Da kann man nur sagen: Sie sollten es unbedingt tun. Damit sie wissen, wie wir, die Amateure, denken. Die eine Seite, die Profis, haben wir lange genug wurschteln lassen. Wir wissen, dass sie hoch hinaus will. Der Flächenfraß wird neuerdings in die Luft verlagert.

Stadtentwicklung sei "ein hochdemokratischer Prozess in der Stadtgesellschaft", wird Dvorak zitiert, offenbar in der indirekter Rede widergegebenen Ansicht, dass Verwaltung und Politik möglichst den Interessen aller Rechnung tragen müssen. Das sagt uns: Am Ende soll alles wieder bei den Profis landen.

Okay, Sabine Winkler aber hat uns deutlich darauf hingewiesen, dass die Flächennutzung zu wichtig ist,um sie allein den Profis zu überlassen. Sie hat unser Interesse geweckt - das von uns Bürgern, von uns Amateuren.


Bildertanz-Quelle:RT-Atlas

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Daher also der Terminus "Stimmvieh"?