Donnerstag, 27. Juni 2019

Der Neckar: Die Zähmung des "wilden Flusses"


Das ist nicht der Neckar, was wir da in Altenburg und anderswo sehen...
Wenn der Neckar seine Arme ausweitet... (bei Altenburg, Richtung Kfurt)

     
Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer


Zwischen Kirchentellinsfurt und Mittelstadt soll der Neckar stückchenweise wieder renaturalisiert werden. Altenburg ist nächstes Jahr dran. 600.000 Euro für sechs Monate Arbeit sind bereits fest budgetiert.

Bis zum 17. Jahrhundert mäanderte der Neckar durch unser Tal. 100 Meter nach links, 100 Meter nach rechts - das war sein schwankender Lauf. Ein richtiger Flächenfresser war er, ausgerechnet dort, wo sich Menschen schon seit Jahrtausenden gerne niederließen. Der Neckar war eine Verkehrsader, über die vor allem die Flößer aus dem Schwarzwald ihre Baumstämme Richtung Rhein trieben. Holz war überall der Werkstoff schlechthin, war gefragt, war gefordert. 
Stuttgarter Hochhäuser, Weinberge

Aus dem Neckar eine gerade Wasserstraße zu machen, lag nahe. Vor allem aber war da die Gefahr des Hochwassers - man glaubte durch Begradigung dieser Plage Herr zu werden. Und so wurde aus dem Necker, einem keltischen Begriff für "wilden Fluss" ein zahmes Gewässer. 
Tübinger Neckarinsel

Er verlor jegliche Romantik. Er musste schuften, Kies schöpfen, Holz schleppen, Mühlsteine drehen, Strom liefern und Abwässer wegschaffen. Er wurde gestaut und zugebaut. Der Fischbestand ging zurück, Flora und Fauna litten. 
Keine Idylle für Fische - nur für Kanus

Nun soll alles besser werden. Sebastian Krieg vom Regierungspräsidium Tübingen stellte gestern im Ortschaftsrat von Altenburg das Projekt vor - vor allem soweit es Altenburg betrifft, das sich über ein Stück Renaturalisierung Richtung Oferdingen zwischen Neckarbrücke und dem Zusammenfluss von Neckar und Kanal freuen darf. 600.000 Euro stehen dafür bereit, die Ende 2020 investiert werden. Einen Teil davon übernimmt die Stadt Reutlingen, die das Gelände als Ausgleich für das erweiterte Gewerbegebiet Besterwasen (Oferdingen) nutzt. So rechnet sich das Projekt dann auch noch irgendwie im Geschacher zwischen den Instanzen einer Stadt und ihrem Regierungsbezirk. 

Das Hochwasser wurde durch die Begradigung nicht gebändigt - im Gegenteil.

Stadt und Wirtschaft, die seit vielen Jahrhunderten mit ihren Bedürfnissen am stärksten in unsere Natur eingriffen, übernehmen ihre Verantwortung. 
Kanal-Arbeit bei Altenburg

Aber den alten Neckar bekommen wir dadurch nicht zurück. Und wie sich dies auf die Welt der Pflanzen und der Tiere, auch auf unser Klima, auswirkt, das werden wir vielleicht in zehn Jahren sehen - oder auch nicht. Denn diese Renaturisierung findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dahinter steht kein kommerzieller Grund, kein Tourismus, nichts. Die Landwirtschaft wird auch nichts davon haben. Denn die Natur soll zurück zur Natur, zu ihrer Natur - mit ein bisschen Hilfe und Pflege durch uns. 




Sind wir sogar auf dem Weg zurück zu einer Welt, wie sie einstmals bestand? Ist die Industrialisierung, wie sie vor 250 Jahren in England begann, doch nur eine Abweichung von der großen, globalen Linie? Vielleicht. So ganz genau wissen wir noch nicht, was wir Menschen eigentlich wollen. Wohl auch deshalb, weil so ein kleines Projekt wie die Umgestaltung des kompletten Neckars im Sinne der Natur mindestens vier Milliarden Euro kosten würde - eine Rechnung, die durch nichts gerechtfertigt wäre - außer dem sehr romantischen Wunsch, dass der Mensch endlich anfangen sollte, sich selbst zu retten. Aber allein von dieser Erkenntnis sind wir 100 Jahre entfernt. 

Ohne uns, ohne unser permanentes Eingreifen würde die Natur schon sehr bald dafür sorgen, dass der Neckar wieder so aussieht wie vor 500 Jahren - eine Mäander durch das, was wir Neckartal nennen. Dann würde man staunend vor den Bildern stehen, die den Neckar von heute zeigen, und sagen: "Ein Stück davon hätten wir doch ganz gerne davon zurück."

Ja, wir leben längst in einem Industriemuseum. Wir wissen es nur nicht. 
Bildertanz-Quelle:Tanja Wack, Alexander Glazle, Raimund Vollmer

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Schöner und interessanter "Neckar-Text"!

Anonym hat gesagt…

So ein Quatsch! Ohne uns gäbe es dann niemand mehr, der alte, sowieso nicht mehr lesbare Bilder anschauen würde.

Raimund Vollmer hat gesagt…

Lieber "Quatsch"-Kommentator, Phantasie ist eben etwas, das manche sich nicht vorstellen können. (Gabriel Laub")