In eigener Sache - Das Kriegsende 2020
Eine unbotmäßige Betrachtung von Raimund Vollmer
Dies ist der Kommentar eines hochgradig erbosten Bürgers,
der das aber nicht zeigen möchte.
Okay, es hat sicherlich sorgfältiger Planung bedurft,
anlässlich des Kriegsendes vor 75 Jahren für uns, die Bürger der Stadt
Reutlingen und ihres Einzugsgebietes, ein Gedenkprogramm zusammenzustellen.
Heute durften wir z.B. dem GEA entnehmen, was es damit auf sich hat. Unser
Filmprojekt zum Kriegsende, das der Bildertanz 2009 begonnen hat, ist nicht
Teil dieses Programms. Dabei haben wir es immer wieder auf allen Kanälen - hier
in den sozialen Medien, in der Presse und bei Veranstaltungen - kommuniziert.
Selbst dem Rathaus kann es trotz seiner auf sich selbst konzentrierten Art
nicht entgangen sein, dass wir mehr als 40 Personen interviewt haben.
Niemand aus der Kulturamtsszene der Stadt Reutlingen ist auf
uns zugegangen und hat uns über eigene Programmabsichten informiert oder gar
gefragt, ob wir nicht Teil dieses Projektes werden wollen.
Niemand von
offizieller Seite hat sich dafür interessiert, dass wir über all die Jahre
hinweg immer wieder hier im Netz und bei Veranstaltungen Zeitzeugen zum
Kriegsende interviewt haben. Es war und ist ein Projekt, das wir ganz allein
gestemmt haben - aus dem Bewusstsein heraus, dass wir diese
"Narrative" unbedingt festhalten müssen.
Einige dieser Erzählungen vor der
Kamera haben wir hier im Internet veröffentlicht, wir haben mit dem Fortschritt
des Projektes dazu sehr gut besuchte Veranstaltungen bestückt. Unterstützt
wurden wir dabei u.a. vom Geschichts- und Heimatverein Lichtenstein, vom
Kulturgüterverein Walddorfhäslach und vom Geschichts- und Heimatverein
Altenburg, dessen Vorsitzender ich, Raimund Vollmer, bin. Für den
Geschichtsverein Reutlingen war es kein Thema, auch nicht für die
weiterführenden Schulen der Stadt, die ich vor zwei Jahren angeschrieben habe.
Ich bekam noch nicht einmal eine Antwort. Auch als ich schulnahe
Persönlichkeiten, die jetzt sogar Teil des städtischen Angebots sind, um Hilfe
bat, erntete ich nur leere Blicke.
Schweigen ist Gold in unserer Stadt, wenn sie nicht weiß,
wie sie mit etwas umgehen soll, das sie eigentlich aus eigener Selbstreflexion
angehen müsste, aber von einer fremden Seite
begleitet wird, die sich ansonsten kritisch (aber eigentlich immer in
konstruktiver Absicht) mit dieser Stadt auseinandersetzt. Da wird die Stadt
dann stieselig und bockig. Da wird dann sortiert - nach Anpassungsgrad.
Nahezu 10.000 Abonnenten auf Facebook sagen uns derweil
deutlich, dass unsere Auseinandersetzung mit der Stadt, ihrer Geschichte und Gegenwart
auf große Resonanz stößt. Wir finanzieren unsere Präsenz übrigens nur durch
unser Engagement - durch nichts anderes. Wir stehen bei niemandem auf der
Gehaltsliste, wir geben kein Geld für Werbung aus und nehmen auch keins für
Werbung ein. Wir haben keine Abo-Einnahmen oder Mitgliederbeiträge. Niemand ist
uns gegenüber weisungsbefugt. Wir sind selbstbestimmt. Wir definieren uns durch
die Zivilcourage derer, die hier bei uns kommentieren, uns in unserer Kritik
ebenso zustimmen wie widersprechen. Wir
sind offen für jede Meinung, Hasskommentare kennen wir eigentlich nicht,
allenfalls scharfe, auch mal polemische Formulierungen. Aber das ist das Salz
in der Suppe.
Eigentlich müsste die Stadt Reutlingen stolz auf uns sein,
sind wir hier doch Ausdruck für Bürgerlichkeit, Zivilcourage und die doch sonst
so hochgeschätzte Großstädtigkeit. Wir begleiten manches Programm sozialer oder
konfessioneller Institutionen durch Vorträge und Filme. Zur Freude vieler
Menschen, die uns auch gerne wiedersehen wollen.
Wenn selbst Stadträte uns attestieren, dass sie den
Meinungsaustausch bei uns sehr schätzen, gar ihre Freude an der intellektuellen
Auseinandersetzung haben, dann fragt man sich, was machen wir falsch, dass man uns
bei einem wirklich wichtigen Thema wie dem Kriegsende so komplett ignoriert?
Sorry, stimmt nicht ganz. In den Außenbezirken der Stadt und
ihren umliegenden Gemeinden stoßen wir durchaus auf Resonanz. Am Sonntag, 26.
Januar, zeigen wir unseren "1945er" im evangelischen Gemeindesaal der
Johannes-Kirche in Lichtenstein. Am 18. April werden wir in Orschel-Hagen
(Sankt Andreas) den Film ebenfalls zeigen Am historischen 20. April, dem Tag
des Einmarsches, wird er in Altenburg zu sehen sein. Stets bei freiem Eintritt.
Mit dem Bezirksgemeinderat von Betzingen stehen wir in
Verhandlung. Schon vor zwei Jahren hatten wir unter der Leitung des damaligen
Bezirksbürgermeisters Thomas Keck die Zustimmung zu diesem Projekt. Hier planen
wir eine Veranstaltung, bei der Thomas Keck, nunmehr Oberbürgermeister der
Stadt, gerne die einleitenden Wort sagen möchte. (Was noch aussteht, ist der
Termin, bei dem wir uns nach seinem Kalender richten wollen). In Pfullingen
(allerdings nicht vom Geschichtsverein) sind wir ebenfalls in einem
Planungsprozess. Das könnte sehr spannend werden.
Eigentlich brauchen wir die Stadt gar nicht. Die Interviews
sind gemacht, der Film ist ein Projekt, das aus sich selbst lebt. Sogar der OB
unterstützt dies, nur scheint dies der Kulturchef der Stadt nicht zu wissen. Er
ist übrigens auch Leser unserer Facebook-Seite, aber er kennt uns
offensichtlich trotzdem nicht.
Eine gute Frage, die ja meistens mit dem Hintergedanken
gestellt wird, dass Beleidigtsein auch keine Tugend ist. Ich könnte mir
antworten, dass dieses Schreiben eine Vorgeschichte hat, die den Schluss
zulässt, dass hinter diesem völligen Ignorieren Absicht steht. Das muss ich
nicht hinnehmen, sollte ich aber. Nein, was mich wirklich hochgradig verärgert,
ist die Respektlosigkeit und Ignoranz gegenüber den Menschen, die wir
interviewt haben - viele davon sind inzwischen verstorben. Ihre ansonsten
unwiederbringlichen Erzählungen haben wir erhalten, sind Teil der Geschichte
dieser Heimat.
Wer wirklich an den Menschen hier interessiert ist (und
nicht nur an sich selbst), dessen gutbezahlte Aufgabe es ist, das kulturelle
Spektrum abzudecken, hätte längst gefragt, ob und wie man ein solches Projekt
unterstützen kann.
Nun, wir haben unser eigenes, ehrenamtliches Projekt bislang
aus eigener Kraft gemeistert - mit Hilfe von Menschen aus dieser Stadt und
ihrer Umgebung. So machen wir auch weiter. Aber dass die offizielle Stadt, also
als Institution, und ihre Bürger sich weiter voneinander entfernen, dieser
Prozess wird immer offensichtlicher.
Das kann nicht im Sinne des Oberbürgermeisters sein, der
gerade seinen gut Ruf seinem Gefühl für Mitmenschlichkeit zu verdanken hat. Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer (aus Film)
4 Kommentare:
Raimund,
Mancher lehnt eine gute Idee eben deshalb ab, weil sie nicht von ihm ist um diese gleichzeitig in Kopie oder ähnlich zu erarbeiten.
Ja, lieber Herr Vollmer, da ist natürlich sehr enttäuschend. Wenn ich mir die Veröffentlichungen der Stadt bzw. der Reutlinger Geschichtsblätter, Gerhard Junger ansehe und die div. Veröffentlichungen zu Oskar Kalbfell (z. B. zum 100. Geburtstag)und zur tragischen Geiselerschiessung ansehe, frage ich mich schon, was schlummert denn in den Amtsstuben und im Stadtarchiv denn über das Kriegsende noch grundlegend Neues. Haben denn die etwas übersehen oder verschlafen? Das kann ich mir nicht vorstellen. Bereits 1999 zu 50 Jahre Kriegsende gab es einen Band der Reutlinger Geschichtsblätter zu diesem Thema, der viele Aspekte abdeckte. Was Ihre Arbeiten auszeichnet ist, dass Sie Zeitzeugen befragt haben und für die nachfolgende Generation festgehalten haben. Das hat eigentlich in den meisten Fällen in den bisherigen Veröffentlichungen in der breite und den befragten sozialen Schichten gefehlt. Da hab en Sie eine wichtige Lücke geschlossen. Gerhard Junger hat den einen oder anderen Zeitzeugen in Fussnoten erwähnt. So denke ich beispielsweise an Dr. Rudolf Walz (einer der wenigen Lehrer des FLG, an die ich mich mit Respekt erinnere) un dessen Ausführungen. Denn all das was in den mehr oder weniger amtlichen Veröffentlichungen dargestellt ist, ist doch über weite Strecken eine Hagiographie des (verdienstvollen) Oskar Kalbfell. Und da sprengen Sie, das ist ungewohnt und wirft die Ausführungen des einen oder anderen der amtlichen Verfasser durcheinander. Geben Sie blos nicht auf.
Hermann Rueker
Die Macht der Macher und die Ohnmacht der Vernunft!
Lieber Herr Rueker, ich danke Ihnen sehr für Ihren Kommentar - und weiß gar nicht, was ich darauf antworten soll. Ich war jedenfalls schwer beeindruckt von dem Publikum am Sonntag, das zwei Stunden lang mucksmäuschen sill den Zeitzeugen gelauscht haben. So viel Aufmerksamkeit für ein ja nun wirklich nicht sehr angenehmes Thema - das hat mich doch überwältigt.
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