Montag, 16. Februar 2015

Reutlingen im Jahr 2040: Ein Faschingsumzug (3)



DIE WILHELMSTRASSE - WIE AUF MALLORCA

Fasching 2040: Rolltreppenaufgang von der Tiefgarage unterhalb des Marktplatzes zur mittleren Eingangshalle der Wilhelmstraße. In der Kuppel ganz oben sieht man das Gehäuse einer Reutlinger Straßenbahn, die 1974 ihren Betrieb einstellen musste. Heute fahren wieder jede Menge "Elektrische" durch die Stadt. Bildertanz-Quelle: Raimund Vollmer

Zuerst einmal die gute Nachricht: die Wilhelmstraße wird im Jahr 2040 eine einzige Mall sein. Ein mächtiges, vollklimatisiertes Glasgewölbe hüllt die komplette Einkaufsmeile ein und schützt dabei nicht nur die Bürger vor widrigen Wetterverhältnissen, sondern auch die Gebäude vor Erosionen, vor Hagel und Sturm. Sommers wie winters herrschen in der Kathedrale des Konsums, im Kaufhaus des Bestens dieselbe angenehmen, mediterranen Temperaturen. Im Volksmund wurde die Mall bereits umgetauft in "Malle", in Erinnerung an eine Insel, die wir Deutschen brauchten, um den Winter zu vergessen.
Mit der evangelischen Kirche hatte es ein paar Jahre zuvor noch mächtig Zoff gegeben, weil diese sich dagegen verwahrte, dass der Weibermarkt ebenfalls in den Glastempel einbezogen werden sollte. Doch man fand eine Lösung, bei der die Marienkirche derart geschickt in das transparente Ensemble einbezogen wurde, dass sogar die konfessionelle Konkurrenz ihren Besuch angemeldet hatte, um nachzuschauen, ob dies nicht auch eine Lösung für den Kölner Dom sei. Kirche und Kommerz haben eine wunderbare Kombination gefunden.
Auf jeden Fall hatte die Metzgerstraße wieder einmal das Nachsehen - und auch die Einzelhändler in der Katharinenstraße, Kanzlei- und Oberamteistraße waren ziemlich erbost. Nur aus der Museumsstraße kam kein Protest, aber da gab es auch gar keinen Einzelhändler mehr. Doch diese Straßen sollen in den kommenden Jahren in das Glas-Ensemble übernommen werden. Dies begrüßt auch der Denkmalschutz, der begeistert ist davon, die Altbauten der Kernstadt gleichsam in einer Glasvitrine schützen zu können.
Der Marktplatz - als Auswuchtung der Wilhelmstraße - hatte noch den freien Himmel über sich - als ein richtiger Markt. Was in der Natur wächst, soll auch in der Natur verkauft werden, hatten die Händler aus der Landwirtschaft argumentiert.  Allerdings hatten sie für ein paar Jahre das Feld räumen müssen, weil unterhalb des Marktplatzes ein gewaltiges Parkhaus gebaut werden musste. Keine Sorge, da wurde kein Cent Steuergelder vergeudet. Vielmehr hatte die Stadt den Fahrdienst Drunter & Druber dafür gewonnen (oder war es umgekehrt?).
Auf jeden Fall hatte man in den Jahren zuvor den gesamten Personennahverkehr unter die Erde gelegt. Gewaltige Tunnelsysteme untergruben die Stadt. Hier floss nun der gesamte Autofernverkehr durch. Die Reutlinger selbst und auch die Bürger aus den umliegenden Gemeinden fuhren indes nicht mehr mit dem eigenen PKW in die Stadt. Das Privatfahrzeug war mehr und mehr verpönt - selbst bei Fernreisen und Durchreisen.
Wer in die Stadt wollte, zum Beispiel in Engstingen wohnte oder in Walddorf-Häslach, der bestellte sich ein Auto über sein Smartphone (Fingerabdruck genügt) und keine zwei Minuten stand ein selbstfahrender Smartie vor der Haustür. Fast jeder in Reutlingen und im Rest Deutschlands war Abonnent bei Drunter & Druber, die praktisch den gesamten Personen-Transport übernommen hat.
Das Unternehmen selbst, das einmal Uber hieß und amerikanischen Ursprungs war, hatte um 2020 herum aufgeben müssen. Per Gerichtsbeschluss. Begründung: Der Transport von Menschen in selbstfahrenden Fahrzeugen darf aus Haftungsgründen nicht Privatunternehmen überlassen werden. Das sei ein Privileg des Staates. So der Bundesgerichtshof in einem umstrittenen Urteil.
Die Kommunen hatten sich darauf bundesweit zusammengeschlossen und ein eigenes Unternehmen gegründet - auf der Basis der von Uber übernommenen Konkursmasse. Nun war der gesamte, nicht schienengebundene Personenverkehr in städtischer Hand. Nicht ganz: die Kommunen hatte dazu eigene Privatunternehmen gegründet. Aus Haftungsgründen.
Wer heute in die Innenstadt will, steigt also daheim in sein Smartie ein, lässt sich zum Marktplatz chauffieren, dessen Tiefgarage als Sammelplatz für diese vielen kleinen bunten Smarties dient. Er lässt sich bis vor das Eingangstor der Wilhelmstraße fahren, steigt aus und befindet sich
Natürlich fahren diese Autos nicht mehr mit Benzin, sondern mit Strom - geliefert von einer Tochtergesellschaft der Fairenergie. Ihr Name ist ganz einfach: Fahrenergie.
Eine schlechte Nachricht haben wir auch noch: Metzingen hat jetzt seine Outletcity aufgegeben. Die Konkurrenz aus Reutlingen sei einfach zu stark...
Raimund Vollmer

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Da werden die Chinesen aber schön einkaufen können in diesem Glaspalast, da diese dann noch die einzigen sein werden, welche sich das Zeug leisten werden können. Wir haben sie ja schließlich ausgebildet um alles günstiger herstellen zu können.