Auf diesem Bild, das Architekt Max Dudler gehört, sehen wir, wie das Hotelhochhaus bereits das Krankenhäusle verschluckt hat. Dafür haben wir links schon das nächste Hochhaus, ein Eisklotz.
Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer
Ein Sittengemälde, wie man es feiner nicht zeichnen kann,
gelang jüngst dem Reutlinger General-Anzeiger, als er über die Eröffnung der
Ausstellung zum künftigen "Stadthallen-Hotel" berichtete. Besser kann
man das Eliteverständnis in unserer kleinen Großstadt gar nicht beschreiben.
Alle waren begeistert von sich und von ihrem Projekt, so gehört es sich auch in
diesen Kreisen, die einem ihrem eigenen Dünkel angemessenes Vier-Sterne-Hotel
auf städtischem Erbpachtgrund erbauen lassen wollen. Spatenstich zu dem
"50 Meter hohen Turm", dessen von Tagungen gestresste Gäste "ein
17,5 Meter hoher Winkelbau entlang der Eberhard- und
Konrad-Adenauer-Straße" vor dem tosenden Lärm schützen wird, ist im
Frühjahr 2021.
Reutlingen wird endlich zu einer Vier-Sterne-Stadt, möchte
man in den allgemeinen Jubel einstimmen. Eine Brauerei wird hier Einzug halten
und eine "ganz andere 'Bespielung' des Bürgerparks möglich machen", schreibt
Ulrike Glage, Redakteurin beim Reutlinger Zentralblatt der kommunalen
Berichterstattung. Das arrogante Wort "Bespielung", auch wenn es von
ihr in Anführungsstrichelchen gesetzt wurde ist raus, ohne dass wir genau wissen,
ob es ein Zitat aus dem Munde unseres Oberbürgermeisters Thomas Keck ist. Auf
jeden Fall ist er sicher, dass sich "der Hotel-Bau weder optisch noch
sonst wie negativ auswirkt." In der Tat - hier entsteht nach und nach eine
neue Stadt, keine neue Altstadt wie in Frankfurt, sondern eher eine alte
Neustadt, wie sie überall aus dem Boden gestampft wurde. Sie dient dem Tagungs-Amüsement, für das die
Stadthalle schon jetzt mit ihrem mehr und mehr auf Events ausgerichteten
Programm den Bedarf erzeugt. Es ist eine fremde Stadt, die da das alte
Reutlingen umgeben wird. Alles geradlinig konstruiert, geometrisch rein,
klinisch sauber, einfach cool. Nomaden werden sich hier zuhause fühlen. Und vor
dem Krankenhäusle werden sie ein wenig hilflos stehen. Was soll das - hier auf
dem "Ort für die Zukunft" (Dudler).
Der Bürgerpark wird bespielt, so wie man eine Schallplatte mit
einer Aufnahme bespielt. Wir Bürger werden bespielt, wie man Kinder bespielt. Für
Essen und Getränke ist gesorgt. Musik kommt dann bestimmt noch hinzu, nicht nur
in der Stadthalle, sondern draußen, wo sich die Bürger, die irgendwie bei
dieser Eröffnung abwesend waren, tummeln können. Ein paar Meter entf
Wir werden zu Touristen in unserer eigenen Stadt.
Das ist das unausgesprochene Konzept dahinter. Denn dies
werde "der größte Hammer in Europa, auf der Welt - das können Sie mir
glauben", wird Max Dudler, der Architekt, der uns die Stadthalle bauen
ließ, im GEA zitiert. Da will einer ganz hoch hinaus, höher noch als die 50
Meter des Turmes, in dessen Schatten wir dann lustwandeln dürfen. Zu einem
"wunderbaren Ensemble" vereint sieht er die Konstellation von Krankenhäusle,
Stadthalle und Vier-Sterne-Hotelkomplex. Fast könnte man neidisch werden ob
dieser Einbildungskraft. Was diese Element verbindet, keine Ahnung. Geschichte,
der Ort höchster Verantwortung, ist es nicht.
Wir Bürger dürfen nun die Ausstellung im Eingangsbereich des
Rathauses bewundern. Dass Kritik an dem ganzen Vorhaben und an dem gesamten
Konzept dahinter, das allmählich sichtbar wird, nicht erwünscht ist, könnte man
aus dem Artikel auch herauslesen. Kritik findet nicht statt. Sie war jedenfalls
nicht Thema dieser Story und wahrscheinlich auch nicht dieser Veranstaltung
gewesen.
So ist das nun einmal in den feinen Kreisen. Alles andere
findet hinter verschlossenen Tür statt. Reutlingen wird feudal.
Übrigens: Mit 115.853 Einwohnern zählte Reutlingen im
Oktober 2019 so viele Bürger wie 2017. Die Stadt stagniert.
Post scriptum: Leider bekomme ich als ausgeschiedenes
Mitglied des Bezirksgemeinderates von Altenburg nicht mehr das Amtsblatt, der
Webauftritt der Stadt zeichnet keine Vergleichskurven. Und da ich auch seit
Wochen nicht mehr das Nordraum-Blatt erhalte, wie es uns ja mal versprochen
wurde, kann ich leider an diesem Samstagabend keine Vergleichszahlen
heranziehen.
Ich wäre gerne schon in die Ausstellung gegangen, bin aber zur Zeit sehr, sehr stark erkältet, ich hoffe trotzdem bei klarem Verstand... ;-)
2 Kommentare:
Hallo Raimund,
zunächst mal gute Besserung.
Die gezeigte Ansicht ist relativ irrelevant, denn wer guckt schon von da oben?
Zur Beurteilung wären also eher "bodenständige" Bilder geeignet.
Das Hotel macht diese "dunkle Ecke" zumindest heller, was besseres bringt der Stararchitekt wohl nicht zustande.
Andererseits passt es in die Reihe dort mit Stadthalle und GWG-Bau, nur daß man bei der Stadthalle doch endlich die Schutzfolie von den Wandpaneelen abziehen sollte damit sie auch etwas Heller wird und man nicht ständig die Beleuchtung brennen lassen muß damit man sie überhaupt sieht.
Gruß aus Lichtenstein
Michael
Habe herzlich über Deine Kommentar gelacht, Ich habe schlichtweg ein Bild gesucht, nachdem ich noch nicht in der Ausstellung gewesen war, aber das Thema mir unter den Nägeln brannte. (Journalisten können das, was sie geschrieben haben, nur sehr mühsam zurückhalten - vor allem, wenn es aktuell ist.) Hate vor mir selber die selben Einwände, aber irgendwie musste ich ja das zeigen, worüber ich schrieb.
Ja, mir geht's besser - auf Facebook wird kräftig diskutiert, so wie es sein muss. Herzlich Raimund
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