Maria Sorge im Gespräch mit Karin Berghaus, Altenburgs Pfarrerin
Klaus Sorge und seine Jacke mit dem Emblem "Schwerter zu Pflugscharen"
Beim Einblick in die Stasi-Akten
Es war ein Experiment: die Altenburger Gespräche. Erstmals gestern, veranstaltet vom Altenburger Geschichts- und Heimatverein in Zusammenarbeit mit der evangelischen Nikolaus-Gemeinde. Die Gäste: das Ehepaar Maria und Klaus Sorge, Pfarrer in der DDR. Rund dreißig Zuhörer kamen. Und die meisten von ihnen bekamen wohl zum ersten Mal unmittelbaren Einblick in eine Stasi-Akte. Denn Maria und Klaus Sorge hatten die Papiere, soweit sie vor dem Reißwolf haben gerettet werden können, mitgebracht.(Weitere Fotos hier)
Da konnte man dann lesen, dass Klaus Sorge, Pfarrer in Spremberg in der Lausitz zwischen 1979 und 1999, als "Kopf der Untergrundbewegung" gesehen wurde. Und zwar deshalb, weil es ihm gelang, immer wieder viele, viele Konfirmanden für seine Kirche zu gewinnen. Natürlich versuchte die Stasi herauszufinden, was da in den Treffen besprochen wurde. Aber die Jugendlichen hielten dicht. Das seien "Bibelgespräche", so haben sie - wie mit ihrem Pfarrer verabredet - lakonisch geantwortet, und wenn man mehr wissen wolle, dann solle man sich an den Pfarrer wenden.
Aber die Sorges erzählten nicht nur aus dem Alltag, der von der Stasi streng überwacht wurde, wobei da wohl auch viel Unsinn vermerkt wurde. "Ich habe schallend gelacht", erzählte Klaus Sorge, als er nach der Wende seine Akte in der Birthler-Behörde las. Und war prompt ermahnt worden, doch bitte Ruhe walten zu lassen. Maria Sorge hingegen ging es anders. Sie ist immer wieder erschüttert, wenn sie in den Unterlagen liest - und dabei ahnt, wer das ausgeplaudert haben könnte. Dass das Telefon überwacht wurde, war ihnen klar. Und dass die Steckdosen verwanzt waren, darüber waren sie sich auch sicher. (Später gaben sie Rainer Eppelmann, selbst Pfarrer und während der Wende Minister für Abrüstung und Verteidigung, den Hinweis, doch ebenfalls mal die Steckdosen bei sich zuhause untersuchen zu lassen. Was dabei gefunden wurde, hatten sie als Fotokopie mitgebracht.)
Klaus Sorge kümmerte sich in seiner Zeit als Pfarrer in Spremberg vor allem um Ausreisewillige. Viele von ihnen hatten gehört, dass sie nur im Gefängnis landen mussten, um dann von Westdeutschland freigekauft zu werden. Und deshalb waren sie durchaus bereit, irgendwelche kriminellen Handlungen zu begehen, damit sie eingebuchtet würden. Der Pfarrer wirkte jedoch auf diese Mitbürger ein und zeigte ihnen andere Wege aus der DDR.
Da ja in Ostdeutschland die D-Mark das Objekt der Begierde war, musste Klaus Sorge seine Kontakte spielen lassen, um das Geld einzuschleusen. "Das war so etwas wie Geldwäsche", schmunzelte er. Er half aber auch, Geld vom Osten in den Westen zu transferieren - Geld, mit dem "Republikflüchtlingen" der Start in der Bundesrepublik erleichtert werden sollte. Rund 20.000 Ostmark hat er so über die Kirche in den West transferiert.
Eindrucksvoll schilderte Maria Sorge, die nur als Putzhilfe in der Schule ihrer vier Kinder arbeiten durfte, wie sie wutentbrannt einen der Lehrer bis auf die Herrentoilette verfolgte, um ihm die Meinung zu sagen, nachdem er zuvor eines ihrer Kinder schikaniert hatte. Immer wieder springt sie auf, um den Zuschauern durch Gestik zu zeigen, wie sie und ihre Familie drangsaliert wurden. So reihte sich eine Anekdote an die andere, Anekdoten, die Einblick gaben in ein Leben ohne Rechte.
Aber unerschrocken nimmt die Familie die Herausforderungen an. Und das Ehepaar Sorge ist vor allem stolz auf den Zusammenhalt innerhalb der Familie. Und den Mut, sich gegenüber der Obrigkeit zu behaupten.
Weil Vater Sorge die Ausreisewilligen unterstützte, wurde er einmal zusammen mit dem Superintendenten vor den Rat des Kreises befohlen - und dort wegen seiner Kontakte massiv bedroht und beschuldigt. Während sein Superintendent sich am liebsten verkrochen hätte, erklärte Klaus: "Und ich dachte, dass ich hier einen Blumenstrauß dafür bekomme, weil ich die Ausreisewilligen daran gehindert habe, kriminell zu werden." Dieses Argument konnte die Obrigkeit nicht entkräften und entließ ihn. Außer ein paar Ermahnungen hatte dies keine Konsequenzen.
Während man den Sorges zuhörte, wird wohl so mancher gedacht haben: Was muss dies ein schwacher Staat sein, der so seine Bürger überwacht - und sogar vor den eigenen Symbolen Angst hat. So besaß der älteste Sohn, Michael, eine Jacke, auf deren Ärmel das berühmte Emblem "Schwerter zu Pflugscharen" aufgenäht war. Ein Teilzitat aus der Bibel. Die Sowjetunion selbst hatte es sich zu eigen gemacht, indem sie 1959 eine Skulptur der UNO in New York schenkte, die genau dieses Bibelzitat referenzierte.
Vater Sorge hatte seine eigene Jacke, die ebenfalls mit diesem Emblem geschmückt war, mitgebracht. "Mich haben sie in Ruhe gelassen", aber seinen Sohn Michael wollte die Polizei dazu zwingen, den Aufnäher zu entfernen. Weil er dazu nicht bereit war, wurde der Junge - zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre alt - verhaftet und abgeführt. Da nun die Sorges auch ihre Nachrichtenkanäle hatten, erfuhren sie von der Verhaftung.
Mit heiligem Zorn stürmte allen voran Maria Sorge die Behörde, sieht ihren Sohn umzingelt von zwei Volkspolizisten, schubst alles, was im Wege stand, an die Seite und fordert ihren Sohn - inklusive Jacke. Diese hatte man ihm ausgezogen und den Aufnäher herausgeschnitten.
Wahrscheinlich waren die Wachleute so verdutzt, dass sie sich der kleinen Frau wortlos ergaben. Die Sorges konnten ihren Sohn wieder mitnehmen. Aber bei ihm war nun endgültig der Freiheitswille entfacht.
Im September 1989 durchschwamm er gemeinsam mit dem Freund seiner Schwester in einer dramatischen Aktion die Donau, und beide entkamen so der DDR - wenige Monate, bevor sie dann zusammenbrach.
Es gäbe noch vieles zu berichten von dem, was gestern Abend in Altenburg erzählt wurde. Geschichten aus dem Leben der "Sorgenbande". So wurden nämlich Maria und Klaus mit ihren vier Kindern in Schremberg genannt.
Schade, dass Sie gestern nicht dabei waren.