Donnerstag, 26. Juli 2018

Das Reutlinger Industrie-Museum - Rückstoß zur Erde


Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer


Der Wunsch ist amtlich seit 1986.

Rechtzeitig vor dem 200. Geburtstag ihres "größten Sohnes", des gebürtigen Reutlingers Friedrich List (1789-1846) beschloss der Stadtrat vor mehr als 30 Jahren, die Wirtschafts- und Technologiegeschichte der ehemaligen Reichsstadt mit der Eröffnung eines Industriemuseum zu würdigen. Das war zu einem Zeitpunkt, als der Niedergang dieser Industrie überall sichtbar und spürbar geworden war. Es war eine sehr honorige Überlegung, die - klug umgesetzt -  Wegweiser für eine Neue Wirtschaft hätte werden können.

Zukunft hätte Herkunft. Und Herkunft hätte Zukunft.

Friedrich List, der sich "aus Verbitterung über das Unverständnis, auf das seine Ideen in Deutschland stießen, und über die Engstirnigkeit kleinstaatlichen Denkens, die dort herrschte, in der Nähe von Kufstein, das Leben nahm" (so der Schriftsteller Herbert Roch), hätte zu seinem 200. Geburtstag, 1989, dieses Projekt sicherlich gelobt und sich mit uns gefreut..

Aber dann war lange Zeit alles andere wichtiger - vor allem die Kultur. Da stand das Bildungsbürgertum im Zentrum der Stadt. Prominentestes Wahrzeichen dieses Denkens wurden die Stadthalle und der Neubau der "Tonne" - für beider Entstehen die nach dem 2. Weltkrieg wiederaufgebaute "Listhalle", ursprünglich ein Nazibau, weichen musste. 

Reutlingen war nach dem Krieg unter Oskar Kalbfell die Stadt der Zäsuren geworden. Die Brüche mit der Vergangenheit bestimmten den Zeitstrom. Mit der kompletten Neudefinition des Bruderhausgeländes erlebte diese Phase in der Regierungszeit von Barbara Bosch ihren Höhepunkt.

Die einen empfinden diese Epoche als eine Zeit des Triumphes der Moderne über das Vergangene, für die anderen grenzte die Politik der Abrissbirnen an Barbarei. Da geht bis heute ein Riss durch die Stadt. Die Zäsur zeigt sich selbst in der Bürgermeinung - mit fatalen Folgen: die Industrie- und Wirtschaftsgeschichte dieser Stadt, eigentlich Triebkraft und Kernstück aller Moderne, ging in dieser Auseinandersetzung sang- und klanglos unter.

Bis auf ein Refugium: In der Eberhardstraße 14 entstand vor 25 Jahren ein Industriemagazin, in dem seit 1993 eine Sammlung an Maschinen und Modellen ihre Heimat fand, aber niemand bemühte sich, diesem Standort eine gewisse Prominenz und Eminenz zu geben. Im Gegenteil. Manchmal hatte man den Eindruck, dass man ihn ein wenig verwahrlosen ließ. Ein Alibi der Hochkultur. Reutlingen definierte sich auf einer Wolke 7, im siebten Himmel, also jener Sphäre, unter der Aristoteles alles versammelt sah, über der aber nichts mehr ist,nur noch leerer Raum. Mehr geht nicht mehr. Ein eigener Stadtkreis wäre der hermetische Abschluss dieser Epoche. 

Es waren und sind frühere Beschäftigte jener Firmen, die das Industriezeitalter der Stadt und ihres Umkreises prägten, die im Industriemagazin bis heute die Maschinen hegen und pflegen. Diese zwölf Rentner tun dies ehrenamtlich, aufopferungsvoll, leidenschaftlich. Sie waren und sind selbst Beispiele für das, was Reutlingen als Industriestandort vor allem auszeichnete: eine Arbeiterstadt, eine "rote" Stadt, in der sich der Nationalsozialismus erst spät etablierte und der dieser in all seinen verführerischen Alternativen nie eine Zukunft haben wird. Das wäre dann die schlimmste aller Zäsuren. 

"Stadt der Millionäre?" Eigentlich ist dafür das sozialdemokratische Denken an der Basis viel zu stark. Sozialdemokratisch nicht im Sinne einer alles Denken übernehmenden Partei, sondern als Grundstimmung, die kritisch zu dem steht, was um die Bürger herum entsteht. Eine Grundstimmung, die nicht unbedingt Avantgarde sein will, aber auch nicht hinterwäldlerisch. Ganz bestimmt nicht ist sie geprägt von dem Wunsch nach Großstadt. Das ist eine von oben verordnete Idee, die so wenig zu dieser Stadt passt wie ein himmeltürmender Wolkenkratzer.

Nun soll Reutlingen endlich ein Industriemuseum bekommen - im Prinzip dort, wo jetzt das Industriemagazin steht. In einem Grundsatzbeschluss hatte der Stadtrat dies eigentlich schon 2005 so gut wie festgelegt und den Aufwand auf rund vier Millionen Euro taxiert (was heute etwa dem Bau eines neuen Steges über die Lederstraße entspricht). Aber die angespannte Haushaltslage setzte in den nächsten 13 Jahren stets andere Prioritäten. So die rationale Begründung, die es ermöglichte, anderes zu gestalten, das offenbar einer höheren Rationale folgte.

Es bleibt bei der Eberhardstraße, allerdings auf der Seite, auf der sich nun wirklich gar nichts tut, an deren "Stiftung für konkrete Kunst" man gerne vorbeifährt, aber nie einkehrt. Es erbaut sich auf dem sogenannten Wandelareal -genau dort, wo aber kaum jemand wandelt. Wandelhallen sind es nicht.

Man sei beeindruckt über eine Konzeption, die nun der Sozialdemokrat und Historiker Dr. Boris Niclas-Tölle am Dienstag dem Stadtrat in öffentlicher Sitzung vorgestellt hat. Der Reutlinger Generalanzeiger berichtet heute darüber. Im Netz ist die Lektüre dieses Artikels kostenpflichtig einsehbar, eine Kopie dieser Konzeption, die uns alle wahrscheinlich mehr interessiert, war online für den Verfasser dieser Zeilen nicht auffindbar. Schade.

Folgt man den Ausführungen des GEA in der Druckausgabe bleibt es bei dem Standort Eberhardstraße, wahrscheinlich auch, weil es keine Alternative gibt. Die große Chance, für etwa vier Millionen Euro das ehemalige Feuerwehrmagazin zu nutzen, hat man schon vor Jahren vertan. Es wäre den Reutlingern vertrauter gewesen - sehr viel vertrauter. Es hätte auch als eine weitere Begründung für den Bau des neuen Stegs über die Lederstraße dienen können, der ebenfalls am Dienstag beschlossen wurde. Es wäre in unmittelbarer Nähe von Klein-Venedig gewesen, dem traurigen Opfer des Nachkriegsmodernismus. Es war Heimat der Gerber und Färber gewesen, also eines Gewerbes, dem Reutlingen seinen Wohlstand mitzuverdanken hat, das aber auch für die Schaffenskraft einer schwer arbeitenden Bevölkerung stand. Nun ist das alte Feuerwehrmagazin, schmuck renoviert, in privater Hand und wird kommerziell genutzt.

Natürlich assoziiert das jetzt gewählte Gebäude an der Eberhardstraße Industriegeschichte. Vielleicht sogar in dem Zustand, in dem es sich jetzt befindet, mehr als nach einer Ausgestaltung zu einem Museum. Denn dann wird es - so ist das mit Museumsbauten - schick und so modern dastehen, als habe es die Epoche, für das es steht, weit hinter sich gelassen. So wird es kommen. Architekten können gar nicht anders - und Stadträte sowieso nicht. 

Der General-Anzeiger zitiert den Historiker Niclas-Tölle mit einem aufschlussreichen Halbsatz: "Der Beitrag der Industrie zum Aufstieg Reutlingens zur modernen Großstadt", nennt er eine Grundlinie, der er bei der Konzeption des Industrie-Museums verfolgt sehen möchte. Dahinter steht eine etwas verzerrte Perspektive. Reutlingen wurde bestimmt nicht Großstadt, weil es die Industrie so wollte. Das sagt Niklas-Tölle auch nicht, wenngleich der GEA aufreißt: "Wie Reutlingen Großstadt wurde: Industriemagazin soll lokale Geschichte erlebbar machen". Das eine, Großstadt, hat mit dem anderen, Industrie,nichts zu tun. Reutlingen wurde Großstadt durch einen Verwaltungsakt, durch Eingemeindung von ländlichem Raum - und weil es ein Oberbürgermeister namens Oskar Kalbfell so wollte. Entsprechend baute er das Rathaus. Ja, er hatte 1945 die Gelegenheit genutzt, um durch Eingemeindung von Pfullingen, Eningen und Unterhausen die Basis zu einer Großstadt zu legen, die ihm dann aber 1949 wieder entzogen wurde. Erst mit der kommunalen Gebiets- und Verwaltungsreform in den siebziger Jahren konnte er Reutlingen den Weg jenseits von 100.000 Einwohnern ebnen. Erreicht wurde dieses Ziel 1988, also vor 30 Jahren, zu einem Zeitpunkt, an dem zum Beispiel die genuin hier entstandene Textil-Industrie keine Bedeutung mehr hatte. Nein, Reutlingen wurde durch den ländlichen Raum Großstadt. Und sie ist heute Großstadt, weil in ihren Vororten viele Bürger wohnen, die hier gar nicht ihr Geld verdienen. Kein guter Ansatz. Aber den Stadträten wird's gefallen haben.

Das Industriemuseum soll als "interdisziplinärer, partizipativer Lernort" entstehen. Hört sich toll an - vor allem bei Lehrern, die den Besuch dieses neuen Museums dann in ihre Jahresplanung einbauen können. Ein Pflichtprogramm für alle Schüler. Damit besteht die Gefahr, dass aus der Geschichte der Reutlinger Wirtschaft und Industrie Sozialpädagogik wird. Aber vielleicht wird darin ja auch von vielen eine Chance gesehen - für die Menschen, die im 21. Jahrhundert die Verhältnisse bestimmen, die sogenannten Dienstleister, die das alles entsprechend medial aufbereiten.

Laut Zeitungsbericht müsse dies ein "Mitmachmuseum" (Niclas-Tölle) werden, "auch um die zahlreichen ehrenamtlichen Mitarbeiter in dem bisherigen Industriemagazin einzubinden" (GEA). Mitmachen? Einbinden? Mon Dieu, das sind die Helden, das sind die Macher!!! Das sind die, die seit 1986 die Idee des Magazins am Leben erhalten haben! Werden sie jetzt der Sozialpädagogik unterworfen? Wer je einen Vortrag von ihnen unter den Verhältnissen des jetzigen Industriemagazins gefolgt ist, weiß, dass es authentischer nicht geht. Baut das Museum um diese Menschen herum!!!

Das wäre auch im Sinne der "Reutlinger Bürger" wie Gustav Werner, Wilhelm Maybach und Friedrich List, denen Niclas-Tölle wohl eine zentrale Rolle zukommen lässt. Keine schlechte Kombination, fürwahr - vor allem Beispiele dafür, wie wenig sich das Leben planen lässt. Nur List ist hier gebürtig, seine Wirkung überstrahlt eine ganze Epoche. Ohne Gustav Werner (was für ein Charakter!) hätte Gottlieb Daimler wohl niemals Maybach kennengelernt. Das ist Weltgeschichte. Und damit übersteigt die Phantasie jedes Großstadt-Denken, das dann nur noch lächerlich wirkt.

Reutlingen braucht ein Industriemuseum. Ohne Zweifel und mit höchster Priorität. Und es könnte sogar ein echter Renner werden, wenn es sich in seiner Konzeption von aller Großstadtsucht befreit. Die Reutlinger können und wollen auch ohne das stolz auf ihre Stadt sein - und natürlich auf sich selbst.

Wenn man so hört, welche Namen momentan im Umfeld der bevorstehenden OB-Wahlen gehandelt werden, dann besteht die große Hoffnung, dass diese seit Kalbfell-Zeiten bestehende Manie zu Ende ist. Wir sind im siebten Himmel.

Da bleibt nur noch eins: Rückstoß zur Erde.

Bildertanz-Fotos:Raimund Vollmer

Dienstag, 24. Juli 2018

Das Spiel ist aus - Kommentar zum Verzicht von Barbara Bosch


"Wir spielen ein Spiel solange, bis einen das Spiel spielt."

Hans-Georg Gadamer (1900-2002), deutscher Jahrhundertphilosoph


Ein erster Versuch, die "Ära Bosch" zu verstehen. Von Raimund Vollmer

Nun haben wir die Wahl.

Frau Bosch tritt nicht mehr an. Ein völlig neues Rennen ist eröffnet. Reutlingen bekommt nächstes Jahr, 70 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik, seinen fünften Oberbürgermeister.

Natürlich werden jetzt in den Medien die Verdienste und Versäumnisse unserer seit 2003 regierenden OB aufgezählt. Wie gut ihre Bilanz ist, werden wir erst dann erfahren, wenn sie eigentlich schon längst vergessen ist. In zehn Jahren, in anderthalb Jahrzehnten. Denn ihre Entscheidung, sich nicht mehr einer Wiederwahl zu stellen, fällt in einer Zeit des totalen Umbruchs, den sie zum Teil selbst ausgelöst, dessen Opfer sie aber auch wurde. Was am Ende dieser Umwälzungen herauskommt, können wir allenfalls erahnen - und dabei geht es nicht um solche Petitessen wie Digitalisierung.

Die Digitalisierung ist ein Prozess, der in einer Zeit begonnen hat, als unsere OB (Jahrgang 1958) noch zur Schule ging. Die Anfänge gehen zurück in die Zeiten Oskar Kalbfells, des ersten Nachkriegs-OB Reutlingens.

Die Digitalisierung ist eine uralte Sache. Genau so sind es die anderen Themen, die sich unsere Oberbürgermeisterin vor allem auf die Fahnen geschrieben hatte: die Familienpolitik, die Kultur, die Stadtentwicklung. Das sind Klassiker. Und auf diesen Feldern scheint sie aus heutiger Sicht gescheitert zu sein. Zu wenig Ganztags-Kindergartenplätze, zu wenig Wohnungen, zu viel Honoratioren-Kultur, zu viele Klotzprotzbauten - ach, es ließe sich vieles nennen. Und wir hier im Bildertanz haben ja in den letzten zehn Jahren einiges an manchmal scharfer Kritik zusammengetragen. Ob wir mit der Kritik richtig lagen oder nicht, bleibt natürlich der Meinung der Leser überlassen.

Eins ist jedoch sicher, eins muss man Barbara Bosch unbedingt attestieren: Sie ist eine sehr, sehr mutige Frau, vielleicht sogar die Mutigste von allen, die hier in Reutlingen im Amt waren. Und das verdient Respekt. Es war Mut unter Verzicht auf jegliche Form einer Legendenbildung - womit allerdings nicht gesagt sein soll, dass unsere Oberbürgermeisterin fern jeglicher Eitelkeit ihr Amt ausgeübt hat. Da ist sie schon auf ihre Kosten gekommen. Und das ist auch in Ordnung.

Bei aller Kritik an ihr hinterlässt sie uns im kommenden Jahr drei große Fragezeichen. Und vielleicht ist das sogar ihr größtes Vermächtnis, nicht die Antworten, sondern diese drei Fragen, die sie irgendwie in ihrer Amtszeit begleitet haben. 

Was ist Fortschritt? Für alle ihre Vorgänger war dies keine Frage. Jeder glaubte sich auf der Höhe der Zeit. So war die Moderne, so sah sie sich. Heute wissen wir einfach nicht mehr, was Fortschritt ist. Beispiel: Autofreundliche Städte - das war einmal. Und jetzt? Industrie - schon lange nicht mehr, was dann? Dienstleistung - wirklich die Zukunft oder vielleicht schon Vergangenheit? Frau Bosch lavierte zwischen den Möglichkeiten, aber sie definierte sie nicht - weil ihr dafür möglicherweise auch die Partner fehlten.

Dass die Firma Bosch sich bei der Zukunft für Dresden entschied, könnte man zwar als einen Fingerzeig für zu wenig Zukunftsfähigkeit unserer Stadt ansehen, aber man könnte mit derselben Überzeugung auch sagen: Vielleicht ist diese Milliardenprojekt, für das Bosch inzwischen fieberhaft nach Mitarbeitern sucht, gar nicht so doll. Ist der Bau von Chips wirklich ein Europa-Thema? Seit vierzig Jahren erzählen wir uns das. Mit ständig steigenden Subventionszahlungen. Vielleicht liegt der Fortschritt ganz woanders. Ein Thema, über das wir in Reutlingen reden müssen. Unbedingt! Dazu brauchen wir aber auf allen Ebenen neue Köpfe. Dafür hat Frau Bosch jetzt den Weg frei gemacht. 

Was ist Demokratie? Mit einem Bürgerentscheid zum Thema "Stadthalle" erfüllte sie den Wunsch nach mehr direkter Demokratie. Sie schien eine gute Antwort auf die Forderung Willy Brandts (1969) nach "Wir wollen mehr Demokratie wagen" gefunden zu haben. Doch das Internet, die sozialen Medien insbesondere, waren für sie wohl mehr Demagogie als Demokratie. Bei Weihnachtsansprachen hat sie z.B. Kommentare aus dem Bildertanz zitiert, ohne ihn als Quelle zu nennen. Auch hier lavierte sie. Sie ärgerte sich über die Kritik, wollte sie aber zugleich ignorieren. Ein geradezu klassisches Verhalten. 
Nun hat sie durch die Ergebnisse des Markenbildungsprozesses erfahren, dass der Kern dieser Kritik seinen Widerhall in 10.000 ausgefüllten Fragebögen gefunden hat. Rekordverdächtig. Wäre sie dabei geblieben, mehr auf die Bürger zu hören und deren Meinung anzuerkennen, hätte sie weiterhin den Markenbildungsprozess souverän begleiten können. Aber so ist ihr die Meinungshoheit entglitten. Sie hat zu sehr denen geglaubt, die ihr aus Ureigeninteresse zujubelten. Man hat das Barometer von der Wand genommen.
Dennoch ist sie in dieser Beziehung ihren Kollegen in anderen Großstädten voraus. Jetzt weiß jeder in RT, dass die Politik der letzten 30 Jahre nicht unbedingt die Bürger hier stolz machte. Und wir, wir wissen jetzt auch, was wir denken. Frau Bosch hat das "Mehrdemokratiewagen" schon als Chance verstanden, meinte aber mit mütterlicher Pädagogik dies meistern zu können. Vielleicht kein Zukunftskonzept. 

Was ist Macht? Das ist die Schlüsselfrage. Barbara Bosch hat auch hier versucht, in guter alter Politikermanier zwischen den möglichen Antworten zu lavieren. Sie suchte schon den Kontakt zu den Menschen, sie war Autorität, sie war sich ihres Amtes bewusst. Aber bei aller Volkstümlichkeit war ihr Machtverständnis doch immer top-down gerichtet. Sie gehört zu jener Generation, die mit dem Instrumentarium der repressiven Toleranz aufwuchs. Sie war der direkte Weg in die Manipulation. Das Ergebnis war - zu viel Taktik, zu wenig Strategie. Exzellent gespielt hat sie aber die Machtfrage bei der Stadtkreis-Thematik. Nicht etwa, weil sie erfolgreich sein wird damit, wahrscheinlich wird die Gründung abgelehnt, sondern weil sie den Mut hatte, die Politiker im Land mit der Gretchenfrage zu konfrontieren: Wie haltet Ihr es denn mit der Souveränität? Dürfen wir das Spiel spielen oder werden wir gespielt?

Frau Bosch wollte nicht gespielt werden - vielleicht hat sie deswegen zu viel laviert.

Aus persönlichen Gründen hat sie entschieden, sich nicht mehr einer Wiederwahl zu stellen. 
Das Spiel ist aus. Wer steht nun zur Wahl?

 
Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer

Ein Hochhaus: noch dreimal hoch - dann ist's soweit

Das Stuttgarter Tor wächst und wächst - Insgesamt 18 Stockwerke sollen es werden. 


Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer

Samstag, 21. Juli 2018

Nachtaufnahmen

Bildertanz-Quelle:Cornelia Kreim
Bildertanz-Quelle: Rainer Hipp

Bildertanz-Quelle: Rainer Hipp


 Bildertanz-Quelle: Raimund Vollmer


Jüngste und etwas ältere (Rainer Hipp) Nachtaufnahmen. Als wäre sie Teil eines Harry-Popper-Films - das Bild von Cornelia Kreim. Noch mit Langsteg die Skyline am Tübinger Tor. Aufnahmen von dieser Woche vom GWG-Gebäude und unserer Stadthalle.

Donnerstag, 19. Juli 2018

Auf dem Weg zur Marke: DER TUNNEL ZUR ALB




 Von Raimund Vollmer

(Kommentar) So richtig gefreut wird sich unsere OB ganz bestimmt nicht. Nach 15 Jahren Engagement für diese Stadt ist Reutlingen im Ansehen der Bürger nichts anderes als Mittelmaß - und das auf der Basis von nahezu 10.000 ausgefüllten Fragebögen. Barbara Bosch, Oberbürgermeisterin von Reutlingen, war gestern bei der Präsentation der Umfrageergebnisse zum Markenbildungsprozess eher zurückhaltend. Und auch das Begleitprogramm um Helge Thun sprühte nicht mehr mit so viel Esprit wie noch bei der Erstpräsentation am 16. Januar 2018 in der Stadthalle. Es herrschte Ernüchterung. Die Bruddler, die zu Jahresbeginn noch als eine Minderheit angesehen wurden, waren plötzlich mehrheitsfähig.
Da gingen selbst die Bielefelder, deren Umfrageergebnisse mit denen der Reutlinger verglichen wurden, empathischer mit ihrer Stadt um. Dabei gehört Bielefeld zu Westfalen, das mit rheinischer Frohnatur so wenig zu tun hat, wie Schwaben mit Baden. In Bielefeld, einer Großstadt mit 300.000 Einwohnern, hatten 2016 die Bürger rund 5.500 Fragebögen ausgefüllt. Sie hatten ihrer Stadt mehrheitlich mit einer Zustimmung von mindestens sieben von zehn Bewertungspunkten Stärken wie "facettenreiche Kultur", "Stadt der Bildung und Wissenschaft", "starke Wirtschaft" und "lebenswerte Großstadt" attestiert. Vier Big Points, aus denen man etwas machen kann, um die Außenwirkung dieser ostwestfälischen Großstadt zu stärken. Alles Dinge, alles Themen, in denen sich auch das Eigenengagement der Bürger manifestierte. 
Und nun Reutlingen. Hier musste die Schwelle von Mittelmaß in Richtung Stärke auf sechs Bewertungspunkte gesenkt werden, um wenigstens mit drei Themen oberhalb der Linie glänzen zu können. Ganz hoch oben stand dabei die "attraktive Lage", ein Punkt, den man von der Natur geschenkt bekam. "Starker Wirtschaftsstandort" und "entspannte Einkaufsstadt" sind die zwei weiteren Themen, mit denen Reutlingen in der Außendarstellung reüssieren konnte. Es gab da noch einen vierten Punkt, das "Bildungsangebot", das sogar an zweiter Stelle lag, aber außen vor blieb, weil es nach Meinung der Markenforscher zu wenig "Treiberwirkung" entfalte. Das war schon ziemlich ernüchternd. Und das tat ganz bestimmt auch weh. Unsere Oberbürgermeisterin wirkte schon ein wenig kleinlaut, als sie am Schluss der Präsentation von Helge Thun interviewt wurde. Kein Knüllerabend. Da half auch nicht mehr die Spaßebene, kein Dodokay, kein TauschRausch. 

Besonders enttäuschend war, dass das "Kulturangebot" der Stadt das zweitschlechteste Ergebnis (nach "Familie und Wohnen") bekommen hat - das waren ja die Themen, denen sich unsere Oberbürgermeisterin in den anderthalb Jahrzehnten ihrer Amtszeit besonders verpflichtet sah. Und die hohe Beteiligung, die diese Umfrage zumindest nach der Zahl der ausgefüllten Fragebögen auswies, lässt mutmaßen, dass sich eine Menge Frust aufgestaut hat.
Hatten wir vom Bildertanz, die ja bis in die Leserkommentare auf Facebook hinein eine eher kritische Einstellung zu dieser Stadt in der Vergangenheit hatten, mit unserer distanzierten Haltung zu etlichen Projekten doch recht? Ist Reutlingen  tatsächlich nicht so gut, wie das handelnde Establishment bislang meinte? Oder sind es wir, die Bürger, die die Stärken dieser Stadt einfach nicht objektiv sehen und "Reutlingen unter Wert verkaufen"?
Nach dem Krieg nannte sich diese Stadt jahrzehntelang "das Tor zur Alb", werbetechnisch kein schlechter Spruch, über dessen Selbstgefälligkeit man auch ein wenig lächeln konnte. Wer hinauf auf die Alb wollte, musste durch Reutlingen durch. Und jetzt geht der Weg durch den Tunnel des Scheibengipfels. So ist es gewollt, so ist es erwünscht und erkämpft. Von unserer Stadt bekommt man da als Durchreisender gar nichts mehr mit. Reutlingen ist verschwunden. Eine Tatsache, die uns erst noch bewusst werden muss. Weshalb soll man nach Reutlingen rein? Zum "entspannten Einkaufen", das so lange "entspannt" sein wird, solange es noch Geschäfte gibt? Und die niedrige Arbeitslosigkeit in unserer Stadt ist weniger ein Zeichen der wirtschaftlichen Stärke, sondern dem fehlenden Angebot an Arbeitsplätzen. Fragen Sie mal in Ihrer Umgebung, wer tatsächlich in Reutlingen arbeitet? Reutlingen ist als Schlafstadt ein Stück Stuttgart.
Unsere Stadt braucht einen mächtigen Schub. Die Marketiers von "brandmeyer", die den Markenbildungsprozess leiteten und präsentierten, sind damit überfordert, wie sie auch gestern sehr dezent andeuteten. Das muss Reutlingen selbst leisten. Noch haben wir die Kraft dazu. Der Stadt fehlen nur die Ideen. Hoffentlich ist diese Botschaft im Rathaus angekommen.
Da muss übrigens deutlich mehr her als nur die "Fan-Projekte",die unsere OB gestern anregte - eine Idee, die übrigens aus Bielefeld importiert wurde.


 
Bildertanz-Quelle:RV