Samstag, 23. November 2019

Hotelhochhaus: Touristen in der eigenen Stadt


Auf diesem Bild, das Architekt Max Dudler gehört, sehen wir, wie das Hotelhochhaus bereits das Krankenhäusle verschluckt hat. Dafür haben wir links schon das nächste Hochhaus, ein Eisklotz.

Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer
 
Ein Sittengemälde, wie man es feiner nicht zeichnen kann, gelang jüngst dem Reutlinger General-Anzeiger, als er über die Eröffnung der Ausstellung zum künftigen "Stadthallen-Hotel" berichtete. Besser kann man das Eliteverständnis in unserer kleinen Großstadt gar nicht beschreiben. Alle waren begeistert von sich und von ihrem Projekt, so gehört es sich auch in diesen Kreisen, die einem ihrem eigenen Dünkel angemessenes Vier-Sterne-Hotel auf städtischem Erbpachtgrund erbauen lassen wollen. Spatenstich zu dem "50 Meter hohen Turm", dessen von Tagungen gestresste Gäste "ein 17,5 Meter hoher Winkelbau entlang der Eberhard- und Konrad-Adenauer-Straße" vor dem tosenden Lärm schützen wird, ist im Frühjahr 2021.
Reutlingen wird endlich zu einer Vier-Sterne-Stadt, möchte man in den allgemeinen Jubel einstimmen. Eine Brauerei wird hier Einzug halten und eine "ganz andere 'Bespielung' des Bürgerparks möglich machen", schreibt Ulrike Glage, Redakteurin beim Reutlinger Zentralblatt der kommunalen Berichterstattung. Das arrogante Wort "Bespielung", auch wenn es von ihr in Anführungsstrichelchen gesetzt wurde ist raus, ohne dass wir genau wissen, ob es ein Zitat aus dem Munde unseres Oberbürgermeisters Thomas Keck ist. Auf jeden Fall ist er sicher, dass sich "der Hotel-Bau weder optisch noch sonst wie negativ auswirkt." In der Tat - hier entsteht nach und nach eine neue Stadt, keine neue Altstadt wie in Frankfurt, sondern eher eine alte Neustadt, wie sie überall aus dem Boden gestampft wurde.  Sie dient dem Tagungs-Amüsement, für das die Stadthalle schon jetzt mit ihrem mehr und mehr auf Events ausgerichteten Programm den Bedarf erzeugt. Es ist eine fremde Stadt, die da das alte Reutlingen umgeben wird. Alles geradlinig konstruiert, geometrisch rein, klinisch sauber, einfach cool. Nomaden werden sich hier zuhause fühlen. Und vor dem Krankenhäusle werden sie ein wenig hilflos stehen. Was soll das - hier auf dem "Ort für die Zukunft" (Dudler).
Der Bürgerpark wird bespielt, so wie man eine Schallplatte mit einer Aufnahme bespielt. Wir Bürger werden bespielt, wie man Kinder bespielt. Für Essen und Getränke ist gesorgt. Musik kommt dann bestimmt noch hinzu, nicht nur in der Stadthalle, sondern draußen, wo sich die Bürger, die irgendwie bei dieser Eröffnung abwesend waren, tummeln können. Ein paar Meter entf

ernt von der Altstadt, die tagsüber offen ist und abends schlafen soll, während im Schatten von Hochhäusern und Kulturtempeln, dem Merkmal pseudoechter Urbanität, der Bär los ist.
Wir werden zu Touristen in unserer eigenen Stadt.
Das ist das unausgesprochene Konzept dahinter. Denn dies werde "der größte Hammer in Europa, auf der Welt - das können Sie mir glauben", wird Max Dudler, der Architekt, der uns die Stadthalle bauen ließ, im GEA zitiert. Da will einer ganz hoch hinaus, höher noch als die 50 Meter des Turmes, in dessen Schatten wir dann lustwandeln dürfen. Zu einem "wunderbaren Ensemble" vereint sieht er die Konstellation von Krankenhäusle, Stadthalle und Vier-Sterne-Hotelkomplex. Fast könnte man neidisch werden ob dieser Einbildungskraft. Was diese Element verbindet, keine Ahnung. Geschichte, der Ort höchster Verantwortung, ist es nicht.
Wir Bürger dürfen nun die Ausstellung im Eingangsbereich des Rathauses bewundern. Dass Kritik an dem ganzen Vorhaben und an dem gesamten Konzept dahinter, das allmählich sichtbar wird, nicht erwünscht ist, könnte man aus dem Artikel auch herauslesen. Kritik findet nicht statt. Sie war jedenfalls nicht Thema dieser Story und wahrscheinlich auch nicht dieser Veranstaltung gewesen.
So ist das nun einmal in den feinen Kreisen. Alles andere findet hinter verschlossenen Tür statt. Reutlingen wird feudal.
Übrigens: Mit 115.853 Einwohnern zählte Reutlingen im Oktober 2019 so viele Bürger wie 2017. Die Stadt stagniert.
Post scriptum: Leider bekomme ich als ausgeschiedenes Mitglied des Bezirksgemeinderates von Altenburg nicht mehr das Amtsblatt, der Webauftritt der Stadt zeichnet keine Vergleichskurven. Und da ich auch seit Wochen nicht mehr das Nordraum-Blatt erhalte, wie es uns ja mal versprochen wurde, kann ich leider an diesem Samstagabend keine Vergleichszahlen heranziehen.
Ich wäre gerne schon in die Ausstellung gegangen, bin aber zur Zeit sehr, sehr stark erkältet, ich hoffe trotzdem bei klarem Verstand... ;-)
 
Bildertanz-Foto: Max Dudler

Montag, 11. November 2019

ORSCHEL-HAGEN: Ein Traum in einem Traum

 Rund 170 Menschen kamen gestern abend in die Sankt-Andreas-Kirche, um sich einen 80minütigen Zeitzeugenfilm über die Entstehung der Gartenstadt anzuschauen. Es war schon fast beängstigend, wie mucksmäuschenstill es über diese lange Zeit auf den zum Glück leicht gepolsterten Bänken der Kirche gewesen ist. Noch nicht einmal den kleinsten November-Husten hörte man, alle waren gebannt von den Erzählungen der Zeitzeugen. Auch wenn das Durchschnittsalter an diesem Abend deutlich über 60 war, so wurde doch vielerseits der Wunsch laut, dass auch jüngere Menschen, die Kinder und Enkel der gestrigen Gäste, diesen Film sehen sollten, den übrigens Euer Charley "gedreht" hat - mit Hilfe der katholischen Kirchengemeinde. Euer Charley hatte vorher geträumt, dass lediglich 20 Zuschauer kommen würden. "Die kann ich dir garantieren", hatte Pfarrer Dietmar Hermann versprochen. Er hat Wort gehalten. Mit soviel Publikum hatte keiner an diesem Sonntagabend gerechnet. Es war wie der Filmtitel "ein Traum in einem Traum". Euer Charley
Bildertanz-Quelle: