Donnerstag, 30. Juli 2020

Musik Benz: Ein Ständchen am letzten Tag...

Bildertanz-Quelle: Ruth Haussmann





... brachten diese Reutlinger ihrem Lieblingsmusikgeschäft in der Oberamteistraße.
Arrangiert hatte dies Artur C. Ferdinand (Bildmitte).
Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer
Erstveröffentlichung am 31. Januar 2015

Mittwoch, 29. Juli 2020

Reutlingen: Das Riesenrad, die Grundsteuer und der Marktplatz



Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer


DER GEA hat heute zwei Botschaften an uns. 
Schon auf dem Weg vom Briefkasten zurück zum Frühstückstisch begegnete uns auf der ersten Seite die Botschaft, dass den neuesten Plänen der Landesregierung zufolge, sich künftig die Höhe der Grundsteuer an der jeweiligen Flächennutzung orientiert. Und wie man eine immer wieder über Tage hinweg brachliegende Fläche wunderbar nutzen kann, wird einem dann beim Aufschlagen der Lokalseiten aufgezeigt. Im Herbst will dort die Stadt gemeinsam mit „RT AKTIV“ auf dem Marktplatz ein Riesenrad aufbauen. Mit den Marktbetreibern hat man über diese Fremdnutzung schon gesprochen. Auch der OB steht dahinter. Dass beide Meldungen in einem Zusammenhang stehen könnten, kann natürlich nur einer sehen, der unter Paranoia leidet. Warnung deshalb: Paranoia ist hochansteckend und die Zahl der Fälle steigt momentan täglich. Besser nicht weiterlesen.  

1. „Bürger, nutzt Eure Anlagen!“

Gibt’s Wohnungen auf dem Grundstück, werden – natürlich gemessen an dessen neu zu bestimmenden Bodenwert  - weniger Steuern fällig als bei einem Grundstück, das brach liegt. Und bevor es dann, wie bei allen Steuergesetzen wieder so richtig kompliziert wird (auch wenn unser Ministerpräsident dies verneint), geht es dem Autor dieser Zeilen eigentlich um das grundlegend andere Prinzip: Warum gibt es überhaupt die Grundsteuer?

Dass man die Bodenwerte neu bestimmen möchte (und bis 2024 auch muss),  legitimiert sich zuerst einmal aus der Vergangenheit. Denn das, was man zuletzt 1964 hat berechnen lassen, schreit ja geradezu danach, korrigiert zu werden. Ob eine Grundsteuer überhaupt zeitgemäß ist, stellt sich für den Steuerstaat, der diese stetig fließenden Gelder fest einkalkuliert, natürlich nicht. Und er kann sich dabei sogar auf das Grundgesetz berufen. Grundsatzfragen zur Grundsteuer sind somit tabu. Für immer & ewig. Die Grundsteuer hat als älteste Form der Steuer überhaupt ihre Daseinsberechtigung schon aus dem Grunde, weil es sie gibt. Und einen triftigeren Grund gab es noch nie.

Aber sie hat auch die Zukunft auf ihrer Seite. Wer sich die Entwicklung unserer Steuersysteme in den letzten 50 Jahren anschaut, wird erkennen, dass hier ein grundlegender Wandel stattfindet. Nicht mehr Leistung soll besteuert werden, sondern Nutzung. Nicht mehr Menschen, sondern Sachen. Wir zahlen schon jetzt für die Nutzung all der Güter, die uns die öffentliche Hand in ihrer Vielfalt anbietet, ja sogar aufdrängt. 
Wie sehr die Nutzung im Vordergrund der staatlichen Überlegungen steht, konnten wir zuletzt an der Corona-Pandemie erkennen. In den Anfängen ging es – so wurde es ja auch unumwunden formuliert – um den Schutz des Gesundheitssystems. Das stand so im Vordergrund, dass sich die Menschen schon gar nicht mehr trauten, ins Krankenhaus zu gehen. Es ging nicht um uns, es ging um das System. Und das ist in Staat und nicht minder heftig, fast schon vorbildhaft, in der Wirtschaft ebenso. Wir sehen es überall – auch zum Beispiel bei den Fernsehgebühren, wobei dort allein die potentielle Nutzung Legitimation ist, die Gebühren zu erheben. Die ganzen Cloud-Dienste operieren nach dem Prinzip der Nutzung.
Wer seinen Focus auf die Nutzung von Sachen richtet, handelt durchaus vernünftig. Es ist vernünftig, das Gesundheitssystem zu schützen. Aber diese Vernunft gegenüber Sachen ersetzt noch nicht die Verantwortung gegenüber den Menschen (Prinzip Verantwortung, Hans Jonas) 

Bei der Grundsteuer gibt es eine besondere Delikatesse. Denn hier soll die Nicht-Nutzung besonders hoch besteuert, sagen wir besser: bestraft werden. Wer sein Grundstück nicht bebaut, zahlt mehr. Das finden viele gerecht, auch der Autor dieser Zeilen neigt instinktiv dazu – und tappt damit in dieselbe Falle: Gezahlt werden soll für „Nichtleistung“, die gekoppelt ist an den Wert einer Sache, die ich mir dann vielleicht nicht mehr leisten kann.

Dass die, die auf dem Grundstück wohnen, sei es als Eigentümer oder als Mieter, die öffentlichen Leistungen, die für das Grundstück wertbestimmend sind, bereits über die Nutzung von Müllentsorgung, Strom, Wasser, Kfz-Steuer bezahlt haben, wird natürlich in dieser Berechnung unterschlagen.

Denken wir das nur nicht weiter: man landet dann wahrscheinlich im Irrenhaus. Maßgeblich ist, dass wir mitten in einem System landen, in dem nicht wir nach unserer Leistungsfähigkeit besteuert werden, sondern nach der Nutzung. Das hat den großen Vorteil, dass Themen wie Produktivität oder Wirtschaftlichkeit vergessen werden können.

Wirtschaftlich ist das, was besteuert werden kann – oder im Fall der Wirtschaft Nutzungsgelder einbringt.

2. Drehen wir am Riesenrad der Zeit

Die mangelnde Nutzung unserer Innenstadt bereitet vor allem dem Einzelhandel sehr viel Kummer. Da hilft auch die Senkung der mächtigsten Gebrauchssteuer, der Mehrwertsteuer, nur wenig. Deren Nutzen, also der Senkung, ist gering. Was man braucht, ist ein Riesending. Und da hat sich Christian Wittel von RT-Aktiv in Absprache mit der Stadt etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Auf dem Marktplatz soll sich zwischen dem 5. September und 3. Oktober ein Riesenrad drehen. Das soll die Massen anlocken – vor allem natürlich die Kinder, die dann gerne bereit sind, den ansonsten eher langweiligen Ausflug in die Stadt mitzumachen. Tolle Idee. Ein weiteres Event, bei dem wir uns vor allem als Verbraucher bewähren können. Denn wir werden dann Geld lassen in der Stadt, der wir uns korrekterweise mit öffentlichen Verkehrsmitteln nähern. Hoffentlich macht das Wetter mit. Coronamäßig dürfte dieses rundum um Abstand bemühte Freizeitgerät auch keine Probleme bereiten. Zur Not muss halt die Maske mit.

Wahrscheinlich fehlt jetzt nur noch das Kleingeld, um den Riesenradbetreiber zu überzeugen. Denn der wird schon darauf achten, dass er auf seine Kosten kommt, wenn die Nutzung zum Beispiel nicht genügend einbringt oder die Preise subventioniert werden müssen, damit die für die neue Grundsteuer schon vorauseilend sparenden Schwaben auch kommen.

Nichts gegen die Idee, die natürlich nur ihren Effekt entfaltet, wenn sie sich auf dem Marktplatz entfaltet und nicht auf dem vielleicht technisch viel besser geeigneten Bürgerpark an der Stadthalle. Dieser Platz ist immer so frei, dass er bei der Festlegung der Grundsteuer eigentlich wegen Nichtnutzung besonders belastet werden müsste. Aber der Platz gehört ja der Stadt – und die ist über alle Steuer erhaben.

Die Frage ist nur: Rettet das Riesenrad die Innenstadt, den Einzelhandel oder gar die Urbanität? Tübingen hat so etwas nicht nötig, da sind die Bürger selbst die Attraktion. Metzingen auch nicht, da ist der Einzelhandel der Publikumsmagnet. Und das in einem globalen Ausmaß. Reutlingen ist da irgendwie anders. Da stimmt weder die Nutzung noch der Nutzen. Dabei versuchen so viele dies zu ändern.

Wittels Bemühen ist rührend. Vor allem weiß man, dass er mit sehr viel Enthusiasmus an seine runde Sache herangehen wird. Er wird’s auch drehen. Aber innerlich hat er, der bestimmt betriebswirtschaftlich bestens ausgebildet ist, einen Ansatz, den er einmal (als es um die Insekten-Messe ging) als „Bespielen der Stadt“ bezeichnete. Dieser Denkungsweise entspricht auch sein Riesenrad. Für vier Wochen, bevor dann im November die Weihnachtssaison beginnt, will er die Stadt bespielen. Und wir, die Einwohner aus Reutlingen und Umgebung, sollen dieses Angebot benutzen. Wir werden es auch tun. Niemand wird sich die Chance entgehen lassen, die Stadt mal nicht nur vom Turm der Marienkirche aus besichtigen zu können, sondern aus einer Gondel, hoch oberhalb unseres weltlichen Herzstücks, dem Marktplatz.  

Das Bespielen einer Stadt ist indes eine ziemlich beliebige Methode – zumal wie zuvor die Dinosaurier oder Insekten auch das Riesenrad nichts Identitätsstiftendes an sich hat. Stopp! Stimmt nicht: Die Bilder, die wir von der Höhe des Riesenrades sehen und mit unseren Smartphones schießen werden, gehören alle ins Museum. Denn sie werden uns ein Reutlingen zeigen, wie es in zehn Jahren nicht mehr geben wird.

Überhaupt müssen wir dieses Reutlingen aus allen Lagen heraus fotografieren. Denn in zehn Jahren wird dies eine ganz andere Stadt sein. Wahrscheinlich werden dann viele der Meinung sein, dass die Bodenwerte neu berechnet werden müssen. 
Es wird nicht die Stadt sein, die das dann will. Überhaupt: die Straßenmaut ist viel attraktiver...

Bildertanz-Quelle:RV

Sonntag, 26. Juli 2020

Schloss Lichtenstein - Ein Bild von heute...

... und es berührt mich ganz seltsam. Fast unwirklich kam mir diese heute mehr zufällig aufgenommene Szene vor, als ich sie aus der Kamera in den Computer schob und die Fotos vom heutigen  Besuch auf und in dem Schloss durchging. Dieses Bild will mir irgendetwas sagen. das spüre ich, aber ich rätsele herum, was es wohl sein mag. Wie eine Epiphanie, wie eine Erscheinung, als sei das Schloss aus der Tiefe aufgetaucht, kommt es mir vor. Und die Menschen davor, fotografieren es, andere sind anderweitig interessiert und beschäftigt. Ein Luftschloss - so kam es mir vor. Corona hat irgendwie meine Sichtweise geändert - auch beim Fotografieren selbst, habe ich den Eindruck. Aber vielleicht bin ich nach all den Wochen der Isolation ganz einfach ein bißchen meschugge. Ihr Raimund Vollmer

Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer

Freitag, 24. Juli 2020

Unser Rathaus – Baustelle als Stadtbildprägung



Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer

Damals – um das Jahr 2009 herum – sollte die Grundsanierung des Reutlinger Rathauses 30 Millionen Euro kosten. Zwischenzeitlich waren es dann 60 Millionen. Jetzt sind es 100 Millionen, gestreckt bis in das Jahr 2040, also – wenn es denn jetzt losginge - jedes Jahr fünf Millionen Euro. Der eigentliche Start wäre aber erst 2025, heißt es. Da sich angesichts der Kostenvorstellung von 2009 und der von heute eine Verdreifachung ergeben hat, wagt man gar nicht daran zu denken, auf welche Summe der tatsächliche Preis der Sanierung bis 2040 wohl noch steigen wird. Sind wir mal knauserig, sagen wir 200 Millionen. (Bekanntlich wird alles immer doppelt so teuer wie angenommen. Das gilt selbst, wenn mal diese Regel bereits zuvor eingepreist hat.)

Großbaustelle Rathaus Reutlingen vor der Rathausstraße

Offensichtlich wird im Rathaus in solchen Dynamiken nicht gedacht. Denn diese 100 Millionen, verteilt auf 20 Jahre, sind natürlich angenehmer zu verkraften als ein Neubau, der – zum selben Preis von 100 Millionen – innerhalb von fünf Jahren aus dem Boden des Rathausplatzes gestampft werden kann. Diese Summe ist einigermaßen realistisch (wegen des Zeithorizonts), die andere ist fiktional. Sie wird getragen von der Intention, die das Rathaus im Kopfe hat. Es will sanieren. Koste es uns, was es, die Stadt, wolle.

Da wird mit Zahlen jongliert, eine Pari-Situation zwischen Sanierung und Neubau konstruiert, die so tut, als hätte der Gemeinderat eine schwierige Entscheidung zu treffen, um dann die bürgermeisterliche Lieblingsidee durch die zeitliche Streckung der Finanzierung als einen Aufwand darstellen zu können, der sich gleichsam aus der Portokasse selbst bezahlt.

Wir alle lieben diese Wunder, weil es so leicht ist, die Tricks dahinter zu durchschauen. (Sie sollen ja auch mit einiger Wollust beim Bau der Stadthalle angewandt worden sein. Man muss nur mal mit den eingeschalteten Handwerkern  reden.)

Nun soll – wie unser getreuer GEA berichtet – eines der wichtigsten Argumente für den Erhalt des Rathauses in seiner jetzigen Gestalt dessen „stadtbildprägende“ Erscheinung sein. Der Denkmalschutz steht dahinter – und er zeigt sich über das Innere des Rathauses tolerant, nur bei der Fassade ist er unduldsam. Wer gerade der großzügige Denkmalschutz ist, wurde nicht genannt im GEA-Bericht. Die Ernennung zum Baudenkmal erfolgte 2014 – durch das Regierungspräsidium in Tübingen. Ist es nun immer noch zuständig oder wurde es an die untere „Denkmalschutzbehörde“ delegiert, die – so ist meine Erinnerung – nach einer Neuverteilung der Kompetenzen an die Stadt Reutlingen berichtet, oder sind es übergeordnete, nicht an die Stadt weisungsgebundene Instanzen?

Ich weiß nicht, ob das gestern diskutiert worden ist. Auf jeden Fall könnte man den Begriff „stadtbildprägend“, das Hauptargument für den Unterschlupf unter den Denkmalschutz, für die nächsten 20 Jahre auch ganz anders interpretieren. In den nächsten zwei Jahrzehnten wird dieses Stadtbild geprägt von einer Baustelle. Und der Autor dieser Zeilen wäre dann 88 Jahre alt.

Es ist in diesem Jahr 50 Jahre her, dass ich Reutlingen erstmals besuchte. Nach einem Gang durch die quicklebendige untere Wilhelmstraße, nachdem ich zuvor am Bahnhof den begrüßungsbildprägenden Springbrunnen bewundert hatte, wurde ich plötzlich mit dem Marktplatz konfrontiert, dessen hinterer Teil von einem Betonklotz geschmückt wurde. Vorne der Spitalhof, der mich sehr beeindruckt hat, hinten das Rathaus, das mich schockierte. Das hatte ich nicht erwartet, in NRW ja, aber nicht in Baden-Württemberg.

Es gab noch kein Alexandre. Der Ratssaal, den man – so wie er ist, nicht wie er ursprünglich war - wirklich erhalten sollte, wirkte zumindest damals mit seinen Stelzen etwas abgehoben. Und man muss ja auch bis heute eine steile Treppe meistern, um in den wichtigsten Raum unserer Stadt zu kommen. 
Auferstanden aus Ruinen: Vor 75 Jahren wurde das frühere Rathaus zerbombt, zwanzig Jahre später...

In den nächsten fünf Jahren wird alles so bleiben wie es ist. Wir haben also eine Schonfrist, in der wir jeden Tag diese Stadtbildprägung in uns hineinwirken lassen können. Unser Real-Lifestream-Museum. Denn anschließend wird eine Dauersanierung diese Stadtbildprägung bestimmen. Wir sehen jeden Tag die Veränderung dieser Stadt. Am besten über eine Webcam.15 Jahre lang. Unglaublich, wenn man daran denkt, dass der Bau des Rathauses in den sechziger Jahren nur fünf Jahre gedauert ha!!!

Und wenn es dann fertig ist, werden wir – oder die Überlebenden unter uns – sehen, dass die meisten Räume leer stehen. Dank Corona. Nicht etwa deshalb, weil das Virus sich ganz besonders auf Beamte und Verwaltungsangestellte pandemisch ausgewirkt hat, sondern weil es den Mitarbeitern und deren Chefs das Homeoffice schmackhaft gemacht hat. Man braucht die Räume gar nicht mehr.

Aber daran hat man sicherlich gestern im Rathaus auch schon gedacht. Und diese Entwicklung wurde bestimmt auch intensiv diskutiert – so fortschrittlich, wie unsere Stadt ist…

Vielleicht hätte ich diese Sitzung besuchen sollen, dann hätte ich zu diesen Punkten ganz bestimmt jede Menge Neues erfahren.

Mist, bin wohl nur ein Einwohner.

Bildertanz-Quelle:Richard Wagner

Donnerstag, 23. Juli 2020

Ist Thomas Keck der Obereinwohnermeister?



Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer

Bürger, schaut auf diese Stadt! Sie gehört Euch!!!

Heute gibt es in der öffentlichen Sitzung des Reutlinger Gemeinderates wieder eine „Einwohnerfragestunde“ – natürlich zu Beginn, wenn alles, was dann anschließend gesagt wird, noch nicht gesagt wurde und von den Einwohnern nicht kommentiert oder auch nur hinterfragt werden kann. Dass die Einwohnerfragestunde den Beginn einer Sitzung markiert, ist eine Entscheidung des Gemeinderates, nicht eine der Gemeindeordnung. Man könnte sie also auch an jeder anderen Stelle der Tagesordnung positionieren. Nun ist es auch so, dass die Fragen der Einwohner zuerst einmal ausschließlich vom Sitzungsleiter, also in der Regel vom Oberbürgermeister beantwortet werden, der sich allerdings des kompetenten Rates aus seinen Ämtern oder des Rates bedienen darf. Aber unmittelbarer Fragestundenchef ist der Oberbürgermeister, in den Teilorten ist es dann der Bezirksbürgermeister.

Wer aber ist Einwohner? Die Antwort ist ebenso knapp wie umfassend: Jeder, der hier wohnt. Jeder. Also kann jeder seine Fragen stellen. Auch unregistrierte Bewohner, die gar nicht beim Einwohnermeldeamt eingetragen sind, aber einen festen Haupt- oder Wohnsitz hier vorweisen können, sind Einwohner. Sie alle können nun ihre Fragen zu Beginn einer Sitzung stellen.

Von all diesen Menschen ist Thomas Keck nun der Oberbürgermeister? Müsste er nicht richtigerweise Obereinwohnermeister heißen – vor allen Dingen in einer Zeit, in der man den Begriffen jegliche diskriminierende Färbung nehmen möchte?

Bürger ist, wer hier seit mindestens drei Monaten seinen Hauptwohnsitz hat. Das mal ganz pauschal. Also ist Keck nur Oberbürgermeister von diesen Einwohnern. Es gibt aber auch die im Grunde genommen sehr sympathische, noch von den griechischen Philosophen abgeleiteten Definition, dass der Bürger ist, der sich aktiv am Gemeinschaftsleben beteiligt. Das ist die Idee vom Bürger, die im Prinzip jeder von uns in sich trägt. Das heißt: jeder, der in der sogenannten „Einwohnerfragestunde“ seine Stimme erhebt und sich daran hält, dass keine persönlichen, sondern nur gemeinschaftlich wichtige Fragen gestellt werden dürfen, ist demnach automatisch und in diesem Augenblick Bürger dieser Stadt.

Man könnte also die sogenannte Einwohnerfragestunde ganz einfach Bürgerfragestunde nennen, die dann auch vom Oberbürgermeister gemeistert wird. Warum tut man das nicht?

Der Einwohner definiert sich aus seiner Passivität heraus, der Bürger aus seiner Aktivität. Letzteres ist doch das, was man sich in einer Demokratie mit aller Inbrunst wünscht. Unser Gemeinschaftsleben würde ohne die Bürger oder das, was man „bürgerschaftliches Engagement“ nennt, zusammenbrechen. Gerade in den Zeiten von Corona ist uns dies doch sehr massiv vor Augen geführt worden.

Wir brauchen uns – als Bürger, nicht als Einwohner. Ohne Frage. Irgendwie hat man den Eindruck, dass die Exekutive, die ja letztlich alle Macht in dieser Stadt auf sich vereint, den Bürger auf Abstand halten möchte – als Einwohner. Das zeigt sich auch, wenn die Stadt zu einer Einwohnerversammlung einlädt. Da schimmert bei mir im Worthorizont eher der Begriff vom Untertanen als der vom Bürger auf.

Ich bin mir absolut sicher, dass Thomas Keck nie auf den Gedanken käme, sich selbst als Einwohner dieser Stadt zu bezeichnen. Ich würde ihn immer als Bürger sehen. Er ist – und darauf ist er stolz – Bürger dieser Stadt, deren Bürger (nicht deren Einwohner) ihn zum Oberbürgermeister gewählt haben, aber nicht zum Obereinwohnermeister. Das würde mir sehr nach „Oberstadtdirektor“, nach reinem Verwaltungschef klingen, aber nicht nach einer Integrationsfigur, die nur ein Oberbürgermeister sein kann.

Wer bei den Kommunalwahlen zur Urne geht, ist über alle Definitionen hinweg Bürger dieser Stadt – und das gilt aber auch für alle, die die Courage haben, zu Beginn einer Sitzung, wenn alle Redewasser noch kalt sind, seine Stimme mit Fragen zu dieser Stadt zu erheben.

Ich persönlich bewundere diese Menschen, die sich sehr oft aus eigener, natürlicher Autorität heraus dieses Instruments der Gemeindeordnung bedienen. Für mich sind das echte Bürger, die von ihrem Oberbürgermeister Rede und Antwort verlangen.

Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer (2020)

Montag, 13. Juli 2020

Nachts leuchten die Umrisse des alten Rathauses...

 ...nicht die des Rathauses, das vor 75 Jahren Opfer der Bombenangriffe auf Reutlingen wurde, sondern dessen, das bis vor 210 Jahren ganz in der Nähe des Spitalhofs standen. Hier ist heute der Marktplatz, der irgendwann - wenn auch das neueste der Rathäuser (von 1966) innerlich erneuert worden ist - komplett saniert werden. Jetzt wurden die Siegerentwürfe der offiziell anerkannten Öffentlichkeit vorgestellt. Am liebsten mag die Jury einen Entwurf, in dem die Umrisse des 1810 angerissenen Rathauses durch Bodenscheinwerfer zu erkennen sein werden. Natürlich am besten aus dem Weltall, also von oben. Das lässt erahnen, wann das so sein wird, nämlich dann, wenn es gelungen ist, uns Menschen so zu virtualisieren, dass wir mindestens zehn, zwanzig Meter über dem Erdboden schweben können, der Marktplatz sich sozusagen in der Luft bewegt. Wir freuen uns darauf - und sind nun voller Hoffnung, dass sich die Sanierung unseres aktuellen Rathauses beschleunigt.
Bildertanz-Quelle:Sammlung Bildertanz