Montag, 22. Februar 2021

Die Kunst, die Stadt und die Haftung

 

Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer

Heute berichtet der GEA über „Konsequenzen des Lockdowns für kulturelle Einrichtungen und Vereine“. Die neue Leiterin des Kulturamtes Anke Bächtiger hatte sich dazu im Verwaltungs-, Kultur- und Sozialausschuss geäußert. Da fällt auf, je näher eine kulturelle Einrichtung der Stadtverwaltung ist, desto sozialer wird sie offenbar behandelt. Tatsächlich aber ist es so, dass es vor allem um die reproduzierenden Künste geht, nicht um jene, die aus sich selbst etwas Neues schaffen. Sie sind der verborgene Reichtum unserer Stadt. Schade, dass er keine Erwähnung fand – zumindest nicht im Bericht des GEA, wahrscheinlich gibt es dazu auch keine Statistik. Auf jeden Fall hat man den Eindruck, dass der, der ohnehin schon Zuschüsse aus dem öffentlichen Säckel bekommt, auf jeden Fall dabei ist, wenn Not herrscht. Irgendwie muss man ja die eigenen Einrichtungen schützen. Auf jeden Fall scheint es geboten, dass man dann, wenn alles vorbei ist, darüber spricht, was eigentlich Kultur alles umfasst. Vielleicht wird man dann erkennen, dass diese Stadt von ihrer Kultur mindestens ebenso abhängig ist wie ihre Wirtschaft, deren Teil sie ja übrigens auch ist. 


 Damit wird ein Thema angesprochen, bei dem schon „seit Jahrzehnten Handlungsbedarf besteht: im Staatshaftungsrecht“, schrieb 2011 der Rechtswissenschaftler Winfried Kluth (*1959).[1] Doch hier tut sich nichts, obwohl die Staatshaftung nach dem Erlass des Infektionsschutzgesetzes doch eigentlich eine zentrale Bedeutung haben müsste – vor allem vor dem Hintergrund, dass sich im Nachhinein bestimmte Maßnahmen als nicht gerechtfertigt erweisen sollten oder wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechen. Ein ziemlich heißes Eisen, das niemand gerne anpacken möchte. „Die Gründe für die Untätigkeit des Bundesgesetzgebers sind ebenso banal wie skandalös: Man befürchtet durch eine transparente und konsequentere Gesetzgebung höhere finanzielle Belastungen der öffentlichen Haushalte“, meinte Kluth 2011. Als dann 2020 das Virus den Staat zum Handeln zwang, kam es – so das Bundesverfassungsgericht am 20. April 2020 – zu „überaus schwerwiegenden Eingriffe“ in diverse Grundrechte. Es verlangte vor allem die Beachtung des Gebots der Verhältnismäßigkeit. Das bedeutet konkret eine „präzise und detaillierte Einzelfallprüfung durch die Verwaltung“, kommentiert die Kölner Kanzlei
Schmitz-DuMont, Wolff die Rechtsprechung auf ihrer Website. Die Exekutive muss also ganz konkret beweisen, dass das, was sie tut, angemessen ist. 


 

Dass sie sich dabei selbst eine Falle stellt, darauf machte der nordrheinwestfälische Verfassungsrichter Claudio Nedden-Boeger (*1966) im ‚Handelsblatt‘ aufmerksam. So kam es ihm merkwürdig vor, wenn die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten miteinander verabreden, sie wollte bei ihrem nächsten Meeting „über weitere Lockerungen“ verhandeln. Das würde aber den „verfassungsrechtlichen Maßstab verdrehen“, meint Nedden-Boeger: „Nicht ‚Lockerungen‘ bedürfen einer Beratung und Einigung, sondern im Gegenteil  bedarf die Aufrechterhaltung der Grundrechtsbeschränkungen einer stetig erneuerten verfassungsrechtlichen Legitimation.“[2] Kurzum: an den Rechten der Bürger muss Maß genommen werden, nicht an den Maßnahmen, die uns bereits als „Neue Normalität“ verkauft werden.

Wenn wir diesen Gedankengang auf die Kulturszene übertragen, dann sind die Stadt, das Land und der Bund verantwortlich für die Lebenssituation aller Künstler und nicht nur der Einrichtungen, die ihnen ohnehin auf den Leib geschitten wurden. Natürlich bewegen ähnliche Gedanken auch den Einzelhandel und die Gastronomie. Bislang wurden deren Klagen vor Gerichten weitgehend abgewiesen. Nedden-Boeger meint, weil den Richtern der Mut fehlt.

Aber auf Dauer wird sich die Jurisdiktion höchstrichterlich der Frage stellen müssen. Dass dann – bei einer umfassenden Anerkennung der Staatshaftung – die gleichsam freiwillig vom Staat gewährten Zuschüsse mitangerechnet werden müssen, ist selbstverständlich klar. Deren Zahlung befreit aber nicht unbedingt aus der Staatshaftung. Momentan sieht es so aus, als wolle man sich eher davor drücken. Jahrzehntelang gelang das. Fortan sieht man dies nicht mehr so locker.



[1] Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. November 2011, Winfried Kluth: „Ohne Haftung“

[2] Handelsblatt, 27. April 2020, Claudio Nedden-Boeger: „Über Einschränkungen der Grundrechte müssen Gerichte entscheiden“

 

Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer