Freitag, 31. Januar 2020

Heinzelmann, geh' Du voran!

 


50 Millionen Euro für ein neues Leben in der Stadt


Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer

Was da geplant und gebaut wird in der Oststadt Reutlingens, auf dem Gelände der ehemaligen Firma Heinzelmann, ist eindeutig ein Bruch mit der kalten Pseudomoderne Reutlingens in den letzten 15 Jahren. Sicherlich ist das kein sozialer Wohnungsbau, der da fast schon in Steinwurfnähe zur Altstadt entsteht, aber es ist ein echter Beitrag zu der konkreten Lebenswelt. So der Eindruck nach der Lektüre eines Berichts im Reutlinger General-Anzeiger.

Nach der geradezu aggressiv durchgeführten baulichen Entfremdung der Stadt von ihrer Geschichte und auch ihren Bürgern passt sich das neue Ensemble ein in sein durchaus mondänes Umfeld, in das Reutlingen der einstigen Unternehmer-Millionäre, die ihre Villen oftmals in fußläufiger Nähe zu ihren Fabriken hatten. Statt der Fabrik entsteht hier nun Wohn-, Lebens- und Arbeitsraum - das ist genau die Konzeption, die in das 21. Jahrhundert passt und es wohl auch prägen wird.

"Abstraktion als Lebensform" hat - so ist nun zu hoffen - ausgedient. Deren letzte "Denkmale" sind das Stuttgarter Tor und das noch zu errichtende Hotel-Hochhaus an der Stadthalle. Auch das "Blue Village" ist im Prinzip schon Geschichte. Eher an die Welt des 21. Jahrhunderts angepasst wird wohl auch der Katharinenhof in der Katharinenstraße sein. Vielleicht gewinnt ganz allmählich das Gefühl für Urbanität und nicht für Banalität und Sterilität die Oberhand.

Die Münchner GIEAG, die hier so viel investieren wird,wie vor zehn Jahren die Stadthalle kostete, kombiniert Alt und Neu in einer Weise, wie man sie sich schon lange gewünscht hat. Ein Drittel Gewerbe, zwei Drittel für Wohnen - heißt die Losung. Aber es gibt keine Sozialwohnungen, was man als Makel empfinden kann, aber kompensiert wird dadurch, dass inmitten des Komplexes erstens ein Platz entstehen soll, die historische Werkstatt, obwohl nicht denkmalgeschützt, erhalten bleibt und zweitens in Erinnerung an die Geschichte auch der Schornstein stehen bleibt. 160 Menschen werden hier wohnen. Und wenn man bedenkt, dass die Zukunft nicht mehr von Produktivitätsdenken geprägt sein wird, sondern von gesellschaftlicher Arbeit, von Interaktivität, dann kann man sich vorstellen, dass hier tatsächlich das Wohnen, das Leben und die Arbeit - wie dereinst in der mittelalterlichen Stadt - zusammenrücken.

Städte sind die Orte, die der Natur am weitesten entrückt sind. Es sind künstliche Welten, allein von Menschen geschaffen - bis in die Pflanzungen hinein. Sie sind aber auch die kreativsten Orte. Dass die Gebäude mit Holz entstehen sollen, zeigt aber, dass der Rückgriff auf die Natur selbst Ausdruck von Kreativität und Erfindungsreichtum sein kann.

Es sind übrigens 50 Millionen, die von auswärts kommen. Der Bauherr, die GIEAG, hat ihren Sitz in München. Architekt sind die "White Arkitekter Stockholm".
 

Bildertanz-Quelle: white/taktics

Donnerstag, 23. Januar 2020

WIR BRAUCHEN IHRE MEINUNG!


In eigener Sache - Das Kriegsende 2020
Eine unbotmäßige Betrachtung von Raimund Vollmer

Dies ist der Kommentar eines hochgradig erbosten Bürgers, der das aber nicht zeigen möchte. 

 

Okay, es hat sicherlich sorgfältiger Planung bedurft, anlässlich des Kriegsendes vor 75 Jahren für uns, die Bürger der Stadt Reutlingen und ihres Einzugsgebietes, ein Gedenkprogramm zusammenzustellen. Heute durften wir z.B. dem GEA entnehmen, was es damit auf sich hat. Unser Filmprojekt zum Kriegsende, das der Bildertanz 2009 begonnen hat, ist nicht Teil dieses Programms. Dabei haben wir es immer wieder auf allen Kanälen - hier in den sozialen Medien, in der Presse und bei Veranstaltungen - kommuniziert. Selbst dem Rathaus kann es trotz seiner auf sich selbst konzentrierten Art nicht entgangen sein, dass wir mehr als 40 Personen interviewt haben.
Niemand aus der Kulturamtsszene der Stadt Reutlingen ist auf uns zugegangen und hat uns über eigene Programmabsichten informiert oder gar gefragt, ob wir nicht Teil dieses Projektes werden wollen.


Niemand von offizieller Seite hat sich dafür interessiert, dass wir über all die Jahre hinweg immer wieder hier im Netz und bei Veranstaltungen Zeitzeugen zum Kriegsende interviewt haben. Es war und ist ein Projekt, das wir ganz allein gestemmt haben - aus dem Bewusstsein heraus, dass wir diese "Narrative" unbedingt festhalten müssen. 
 
Einige dieser Erzählungen vor der Kamera haben wir hier im Internet veröffentlicht, wir haben mit dem Fortschritt des Projektes dazu sehr gut besuchte Veranstaltungen bestückt. Unterstützt wurden wir dabei u.a. vom Geschichts- und Heimatverein Lichtenstein, vom Kulturgüterverein Walddorfhäslach und vom Geschichts- und Heimatverein Altenburg, dessen Vorsitzender ich, Raimund Vollmer, bin. Für den Geschichtsverein Reutlingen war es kein Thema, auch nicht für die weiterführenden Schulen der Stadt, die ich vor zwei Jahren angeschrieben habe. Ich bekam noch nicht einmal eine Antwort. Auch als ich schulnahe Persönlichkeiten, die jetzt sogar Teil des städtischen Angebots sind, um Hilfe bat, erntete ich nur leere Blicke. 



Klar, hinter mir steht kein Historikerapparat, vor dem man glänzen möchte, sondern nur ganz einfache Menschen, die erzählen, wie es um 1945 herum war, in ihrem Leben, in ihrer Erinnerung, in ihrer Umgebung. Es sind bewegende Geschichten.
Schweigen ist Gold in unserer Stadt, wenn sie nicht weiß, wie sie mit etwas umgehen soll, das sie eigentlich aus eigener Selbstreflexion angehen müsste, aber  von einer fremden Seite begleitet wird, die sich ansonsten kritisch (aber eigentlich immer in konstruktiver Absicht) mit dieser Stadt auseinandersetzt. Da wird die Stadt dann stieselig und bockig. Da wird dann sortiert - nach Anpassungsgrad. 



Nahezu 10.000 Abonnenten auf Facebook sagen uns derweil deutlich, dass unsere Auseinandersetzung mit der Stadt, ihrer Geschichte und Gegenwart auf große Resonanz stößt. Wir finanzieren unsere Präsenz übrigens nur durch unser Engagement - durch nichts anderes. Wir stehen bei niemandem auf der Gehaltsliste, wir geben kein Geld für Werbung aus und nehmen auch keins für Werbung ein. Wir haben keine Abo-Einnahmen oder Mitgliederbeiträge. Niemand ist uns gegenüber weisungsbefugt. Wir sind selbstbestimmt. Wir definieren uns durch die Zivilcourage derer, die hier bei uns kommentieren, uns in unserer Kritik ebenso zustimmen wie widersprechen.  Wir sind offen für jede Meinung, Hasskommentare kennen wir eigentlich nicht, allenfalls scharfe, auch mal polemische Formulierungen. Aber das ist das Salz in der Suppe.
Eigentlich müsste die Stadt Reutlingen stolz auf uns sein, sind wir hier doch Ausdruck für Bürgerlichkeit, Zivilcourage und die doch sonst so hochgeschätzte Großstädtigkeit. Wir begleiten manches Programm sozialer oder konfessioneller Institutionen durch Vorträge und Filme. Zur Freude vieler Menschen, die uns auch gerne wiedersehen wollen. 

Wenn selbst Stadträte uns attestieren, dass sie den Meinungsaustausch bei uns sehr schätzen, gar ihre Freude an der intellektuellen Auseinandersetzung haben, dann fragt man sich, was machen wir falsch, dass man uns bei einem wirklich wichtigen Thema wie dem Kriegsende so komplett ignoriert?
Sorry, stimmt nicht ganz. In den Außenbezirken der Stadt und ihren umliegenden Gemeinden stoßen wir durchaus auf Resonanz. Am Sonntag, 26. Januar, zeigen wir unseren "1945er" im evangelischen Gemeindesaal der Johannes-Kirche in Lichtenstein. Am 18. April werden wir in Orschel-Hagen (Sankt Andreas) den Film ebenfalls zeigen Am historischen 20. April, dem Tag des Einmarsches, wird er in Altenburg zu sehen sein. Stets bei freiem Eintritt.
Mit dem Bezirksgemeinderat von Betzingen stehen wir in Verhandlung. Schon vor zwei Jahren hatten wir unter der Leitung des damaligen Bezirksbürgermeisters Thomas Keck die Zustimmung zu diesem Projekt. Hier planen wir eine Veranstaltung, bei der Thomas Keck, nunmehr Oberbürgermeister der Stadt, gerne die einleitenden Wort sagen möchte. (Was noch aussteht, ist der Termin, bei dem wir uns nach seinem Kalender richten wollen). In Pfullingen (allerdings nicht vom Geschichtsverein) sind wir ebenfalls in einem Planungsprozess. Das könnte sehr spannend werden.
Eigentlich brauchen wir die Stadt gar nicht. Die Interviews sind gemacht, der Film ist ein Projekt, das aus sich selbst lebt. Sogar der OB unterstützt dies, nur scheint dies der Kulturchef der Stadt nicht zu wissen. Er ist übrigens auch Leser unserer Facebook-Seite, aber er kennt uns offensichtlich trotzdem nicht.
Was kümmert's Dich dann, Vollmer oder Charley (hin und wieder mein Alias-Name auf Facebook)?
Eine gute Frage, die ja meistens mit dem Hintergedanken gestellt wird, dass Beleidigtsein auch keine Tugend ist. Ich könnte mir antworten, dass dieses Schreiben eine Vorgeschichte hat, die den Schluss zulässt, dass hinter diesem völligen Ignorieren Absicht steht. Das muss ich nicht hinnehmen, sollte ich aber. Nein, was mich wirklich hochgradig verärgert, ist die Respektlosigkeit und Ignoranz gegenüber den Menschen, die wir interviewt haben - viele davon sind inzwischen verstorben. Ihre ansonsten unwiederbringlichen Erzählungen haben wir erhalten, sind Teil der Geschichte dieser Heimat.
Wer wirklich an den Menschen hier interessiert ist (und nicht nur an sich selbst), dessen gutbezahlte Aufgabe es ist, das kulturelle Spektrum abzudecken, hätte längst gefragt, ob und wie man ein solches Projekt unterstützen kann.
Nun, wir haben unser eigenes, ehrenamtliches Projekt bislang aus eigener Kraft gemeistert - mit Hilfe von Menschen aus dieser Stadt und ihrer Umgebung. So machen wir auch weiter. Aber dass die offizielle Stadt, also als Institution, und ihre Bürger sich weiter voneinander entfernen, dieser Prozess wird immer offensichtlicher.
Das kann nicht im Sinne des Oberbürgermeisters sein, der gerade seinen gut Ruf seinem Gefühl für Mitmenschlichkeit zu verdanken hat.

Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer (aus Film)

Montag, 20. Januar 2020

Was geschah am 20. April 1945? Zeitzeugen aus dem Kreis Reutlingen berichten




Zeitzeugen aus unserer Region berichten vor der Kamera vom Kriegsende vor 75 Jahren: Filmnachmittag am Sonntag, 26. Januar im Ev. Gemeindesaal der Johanneskirche. Beginn: 15.00 Uhr
1945: Zwischen Gnade und Grauen
Es ist der 20. April 1945. Umsturz sagte man damals, Befreiung heute. In Reutlingen und Umgebung ist der Krieg zu Ende. Die Franzosen marschieren ein. Wie es den Menschen damals ging, was sie erlebten, hat der Journalist Raimund Vollmer in den letzten zehn Jahren in rund 30 Interviews mit der Kamera festgehalten. Menschen aus unserer Region berichten mit unglaublicher Intensität und Authentizität, was ihnen damals widerfuhr. Das geht unter die Haut, hat aber auch durchaus heitere Aspekte, wenn Lichtensteiner Bürger wie Karl Häbe, Max Henker, Gerhard Weißschuh, Erich Rehm oder Emilie Rohe erzählen. Sie werden begleitet von Menschen, die im Pfullinger Frauenaufstand um ihre Mütter zitterten, die das Bombardement Reutlingens und die Tiefflieger überlebten oder die den Einmarsch der Franzosen miterlebten. Die Ängste der Mädchen vor den Soldaten, die Hamsterfahrten und das Ährenlesen - die unendlich vielen Kapriolen, die der Krieg zeitigte, sind Bestandteil dieses anderthalbstündigen, hoch emotionalen Werkes. (Es gibt zwischendurch eine Pause)
Wenn dieser Film nun am Sonntag, 26. Januar 2020 (Beginn: 15.00 Uhr), im Ev. Gemeindesaal der Johanneskirche zu sehen sein wird, dann würdigt der Autor auch den Ort, an dem er 2009 die ersten Interviews geführt hat, und den Verein, der ihn von Anfang an unterstützt hat. "Der Geschichts- und Heimatverein Lichtenstein (GHV) hat damals die ersten Zeitzeugen eingeladen. Das war der Startschuss zu diesem Filmprojekt", berichtet Vollmer, selbst Mitglied im GHV. "Ich habe nicht geahnt, was damit alles an Geschichten auf mich zukommen sollte." Da gibt es durchaus brisante Anekdoten rund um Oskar Kalbfell, der den Franzosen mit der Friedensfahne entgegenging und als Oberbürgermeister von Reutlingen alle umliegenden Orschaften (wie z.B. Unterhausen) eingemeindete. (Übrigens wurde Kalbfell - das wird man auch erfahren - mal von einem Lichtensteiner angespuckt.) Da wird auf herzergreifende Weise erzählt, wie Väter aus dem Krieg zurückkehrten und von den eigenen Kindern und Ehefrauen nicht wiedererkannt wurde. Es ist so viel Stoff, dass manches selbst den Autor, der diese Szenen oft stundenlang bearbeitet hat, immer noch zu Tränen rührt. "Der ganze Unsinn eines Krieges wird einem zutiefst offenbar. Wir müssen diesen Menschen, die hier ihre Geschichte erzählen, unendlich dankbar sein - für ihren Mut und ihre Bereitschaft, sich der Kamera zu stellen."
Überall in unserer Region hat Vollmer Menschen interviewt, oftmals an den seltsamsten Orten: Begegnungen unterwegs bei einem Spaziergang, in Tiefgaragen und Kellern und bei Veranstaltungen - vor allem aber ganz gezielt bei Besuchen in den Wohnungen von Zeitzeugen. Vollmer: "Es ist Geschichte von unten, aus den ganz persönlichen Erinnerungen von Menschen, die das alles miterlebt haben. Es wird nicht danach gefragt, was Historiker dazu sagen, im Mittelpunkt steht die pure Erinnerung." Der Eintritt ist frei.
 

Bildertanz-Quelle:

Montag, 6. Januar 2020

Heinzelmanns Schneideraum

Da ahnte noch niemand, dass das Haus an der Planie mal der Tone als Theater dienen sollte oder - dass es wie jetzt auf eine neue Bestimmung wartet. Zentrumsnah war damals noch die Industrie, heute sind es die Diemstleistungen. Und in den nächsten 50 Jahren? 
Bildertanz-Quelle: Firma Heinzelmann