Samstag, 29. Juli 2017

Reutlingen, die Marke, das Meckern und die Brunnen


Ein Kommentar von Katrin Korth

Viel wird dieser Tage darüber gesprochen, was Reutlingen vielleicht ist oder sein könnte, wie sich die Stadt präsentieren sollte und was getan werden müsste, damit ihre Potenziale sichtbar werden. Die "Köpfe für Reutlingen" zerbrechen sich darüber den Kopf, wohlwollend begleitet durch die Verwaltungsspitze, der Gemeinderat macht sich dazu möglicherweise auch seine Gedanken, die Oberbürgermeisterin hat einen Markenbildungsprozess angekündigt - natürlich mit Bürgerbeteiligung, was dann sicher heißt, dass die Bürgerschaft ein Konzept vorgestellt bekommt und noch ein paar Ergänzungen einbringen kann.
Was heißt das alles? Das Interesse und das Bedürfnis ist - zumindest bei einigen - groß, mehr aus Reutlingen machen zu wollen. Dabei scheint vor allem wichtig zu sein, dass DIE Bürger doch bitte endlich aufhören mögen mit ihrem ewigen Gemeckere, sie endlich auch ein bisschen stolz auf ihre Stadt sein sollen und obendrein auch noch die Frage beantworten sollen, was jeder Einzelne und jede Einzelne für Reutlingen tun könne. Und schließlich gibt es ja wirklich wichtigere Dinge als das bisschen Dreck vor der Haustüre. Und schlussendlich: Die Stadt ist gut, also braucht es jetzt nur noch eine Marke, mit der man das gewinnbringend verkaufen kann (Die kursiv geschriebenen Worte geben in freier Erinnerung verschiedene Berichte und Kommentare des GEA der letzten Wochen wieder, die die Autorin dieser Zeilen in Verwirrung zurückließen.

Bild: Rathausbrunnen: Baden war hier mal erlaubt, bis es die Rathausmitarbeiter störte
Warum wird in Reutlingen offensichtlich GEMECKERT, so dass das sogar Erwähnung in der Zeitung findet, und was ist überhaupt MECKERN? Doch das blendet man aus. MECKERN ist Ausdruck von Unzufriedenheit, aber eben auch einer Anteilnahme an dem, was um einen rum passiert. Und das kleine oder auch etwas größere Umfeld in der eigenen Straße, dem Stadt- oder Ortsteil oder der Stadt ist schließlich das, was jeden Menschen jeden Tag umgibt. Das ist der Alltag und damit mit das Wichtigste, was Menschen haben. Und deshalb muss man das MECKERN ernst nehmen und nicht kleinreden. Die Autorin dieser Zeilen hat in ihrer Reutlinger Zeit übrigens immer wieder die Erfahrung gemacht, dass, wenn man offen auf Menschen zugeht und sich für ihre Bedürfnisse, Wünsche und Unzufriedenheiten interessiert und miteinander Ideen und Lösungen entwickelt, tatsächlich so etwas wie einen Stolz auf die Stadt gibt.

Und es könnte ja interessant sein, die Bürgerinnen und Bürger mal ohne vorherige Richtungszuweisungen und vorformulierte Antworten zu fragen, was sich eigentlich an ihrer Stadt gut finden und wie und wo sie eine Entwicklung sehen und wünschen. So etwas macht aber nur Sinn, wenn man die Ergebnisse ernst nimmt. Es darf deshalb ernsthaft bezweifelt werden, ob ein aufgesetzter Top-Down-Prozess für eine MARKE REUTLINGEN die richtige Antwort für die Bürgerschaft ist, oder ob es nur eine nette Marketingaktion als Vorbotin des kommenden OB-Wahlkampfes wird. Eine MARKE zu kreieren ohne zu wissen, wohin sich die Stadt entwickeln soll, macht ohnehin wenig Sinn An dieser Stelle sei angemerkt, dass es schon einmal eine Marke gab "Reutlingen, das Tor zur Alb" - verschwunden auf Nimmerwiedersehen. Und Fragen zum "Wohin der Stadtentwicklung" gab es auch schon mal, das Forum Reutlingen hat sie formuliert, doch dieser von Teilen der Bürgerschaft initiierte Prozess war wohl nicht gewünscht.
Doch was ist denn nun das Besondere an Reutlingen? Man darf sich dazu ja durchaus mal Gedanken machen.
Ist es die Reichsstadt? Wirklich? Oder ist es das prägende industrielle Erbe, welches bis zur Unkenntlichkeit verschwunden ist, als würde man sich dessen schämen. Sind es die Feste und Veranstaltungen wie Weindorf, Neigeschmeckt-Markt und Garden Life? Die fast vergessene große Tradition des pomologischen Institutes und seine Wiedergeburt im Streuobstparadies? Zusammen mit dem in der Stadt wenig beachteten Biosphärengebiet könnte das so etwas wie eine kleine informelle Marke sein (das Tor zur Alb lässt grüßen, ist aber eben doch recht ländlich und wenig großstädtisch). Ist es die Kultur? Wobei ja schon seit Jahren fast verzweifelt versucht wird, eine überregionale Kulturstadt zu werden, die Reutlingen bei aller Sympathie wohl (trotz der wundervollen Württembergischen Philharmonie und einiger ganz netter Museen) nicht werden wird und vielleicht auch gar nicht werden muss.
Um also nicht nur zu MECKERN (die mahnende Worte der Frau Oberbürgermeisterin zeigen prompt Wirkung), wagt die Autorin des Beitrags mal einen kleinen und selbstverständlich aus eigener Erfahrung geprägten Blick auf eine wirkliche Besonderheit der Stadt.

Diese Besonderheit sind die Brunnen. Nur wenige Städte der Größe Reutlingens haben mehr davon (die Nachbarstadt, mit der man sich ja nicht vergleichen sollte, hat 42).
Angesichts der aktuellen Eröffnung eines weiteren Brunnens auf dem Weibermarkt und auch des Wasserspiels im Bürgerpark, welche - trotz Störfeuer einiger verbissener Hygienefanatiker – möglicherweise eine neue Ära im Umgang mit dem manchmal ungeliebten Thema eröffnen könnten, lohnt sich also ein wohlwollender Blick.
Fast 90 Brunnen schmücken Reutlingen, städtische und dörfliche, große und kleine, alte und ganz neue – mit unglaublichen Geschichten, die viel mit der Geschichte der Reichsstadt Reutlingen zu tun haben, geliebt von den Bürgerinnen und Bürgern (im Bildertanz immer wieder zu erleben, offensichtlich vergessen von den Stadtoberen - außer natürlich bei Einweihungen- trotz widriger finanzieller Bedingungen sorgsam gehegt von der Reutlinger Grünpflegeabteilung.

Bild: Maximilianbrunnen: Brunnen als Begegnungsort für Frauen

Da ist der Maximilianbrunnen auf dem Marktplatz, ein prachtvoller Renaissancebrunnen, 1570 zu Ehren des Kaisers Maximilian II. errichtet, um ihn zu bewegen, der Stadt die Zunftrechte zurückzugeben. Diese waren der widerspenstigen Stadt entzogen worden, die protestantisch bleiben wollte und sich den Rekatholisierungsversuchen erfolgreich zur Wehr setzte. Es ging um das Prinzip, und der Preis war hoch, denn Zunftrechte waren seinerzeit die Basis für Wohlstand. Die Lehre daraus: Wie macht man sich die Mächtigen gefügig, denn der Plan ging auf. 1578 erhielt Reutlingen die für die Stadt so wichtigen Zunftrechte zurück. 

Da ist der Kaiser-Friedrich-Brunnen, ebenfalls ein Renaissancebrunnen von 1561 mit einer streng dreinblickenden, abweisenden Figur, die an den Verleiher der reichsstädtischen Rechte im Jahr 1180 erinnert. Herrscher mussten noch nie freundlich sein, das ist heute ein bisschen anders.
 Bild: Lindenbrunnen - vor der Kompletterneuerung in den 50er Jahren

Da ist der Lindenbrunnen, ein kunstvoller gotischer Dreipfeilerbrunnen, der einzige seiner Art, der sich nördlich der Alpen erhalten hat, 1544 errichtet, als das gotische Zeitalter schon lange überwunden und der Moderne der Renaissance gewichen schien. Doch man war in Reutlingen offenbar schon immer besonders traditionell.

Da ist der Brunnen im Volkspark, der erst 80 Jahre nach seiner Planung gebaut wurde - die Landesgartenschau machte es möglich. Vorher wollte man zwar mit einem spektakulären Entwurf groß hinaus, endete aber doch schwäbisch pietistisch beim Sparen, befördert durch schwere Zeiten.

Bild: Der Gerberbrunnen, der in den 20er Jahren den Löwenbrunnen ersetzte

Da ist der Gerberbrunnen, in einer Zeit entstanden, als Wichtigeres anstand als Brunnenbau, und der an die große städtische Tradition der Gerber und Färber erinnert und deshalb wohl auch wichtig für die Stadtgesellschaft war. Gerberbrunnen und Gartentorbrunnen dienten übrigens lange Zeit zum Gautschen, diesem feinen Ritus zum Ende der Lehrzeit, bei dem die frisch gebackenen Gesellen von ihren Unarten und Schandtaten freigesprochen werden. Eine Tradition, untergegangen mit den Berufen der Gerber, Färber und Buchdrucker. Schade eigentlich.

Bild: Gartentorbrunnen: Gautschen, eine wundervolle und längst vergessene Reutlinger Tradition


Da waren die 1980er Jahre, eine große Zeit für die Reutlinger Brunnen. Der feinsinnige Baubürgermeister ließ viele neue errichten. Ein Beispiel dafür ist der Handwerkerbrunnen in der Altstadt. Brunnen waren wichtig für die Bürger, er hat es erkannt.

Bild: Wasserspiel Bürgerpark: wer hätte gedacht, dass ein Platz so voll von Menschen sein kann



In den letzten Jahren zwei neue Anlagen, beide nicht unumstritten, aus Sicht der Autorin beide notwendig. Der im Bürgerpark steht für ein modernes, junges Reutlingen, der auf dem Weibermarkt verbindet die Geschichte der Stadtbäche mit neuen, zeitgemäßen Raumaneignungen.

Es gäbe noch mehr zu erzählen. Wen es interessiert, der sei auf das wundervolle Buch von Andrea Anstädt über die Reutlinger Brunnen verwiesen.

Natürlich kosten Brunnen Geld, doch sie sollten es uns wert sein. Brunnen sind eben viel mehr als nur ein bisschen schmückendes Beiwerk. Sie zeigen Stadtgeschichte im Großen und Kleinen, Geschichten von Macht und von der Rolle der Menschen in der Stadt, von Begegnungen, auch von Streit und Versöhnung. Sie sind Zeichen und wichtige Begegnungsorte für die Stadtgesellschaft, am Brunnen trifft man sich. Das war schon immer so. Nicht zuletzt deshalb gibt es in einigen Städten Patenschaften und Vereine, die sich um das Wohlergehen der Brunnen einsetzen, auch finanziell.

An dieser Stelle könnte man enden, gäbe es da nicht den Listplatzbrunnen oder vielmehr das, was übrig ist von ihm.
Bild: Listplatzbrunnen bei Nacht, da war die Welt noch in Ordnung

Wie kaum ein anderer ist er Zeichen für den großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufbruch nach Kriegsende, ein wundervolles Symbol der 1950er Jahre. Viele Menschen erinnert gerade dieser Brunnen an ihre Kindheit und Jugend oder das Ankommen in der Heimat, wenn man aus dem Bahnhof trat. Er war offensichtlich ungeliebtes Kind der Stadtplanung, die in der Rahmenplanung Nord lieber freie Sichtachsen und steinerne Plätze propagiert. Für so einen altbackenen Brunnen war da kein Platz mehr. Für die Autorin war der Beschluss zum Zuschütten des Brunnens einer der schlimmen Momente ihrer Reutlinger Berufszeit, sie hätte den Brunnen gern erhalten, doch das hätte eben Geld und politischen Willen erfordert. Der öffentliche Sturm der Entrüstung war denn aber doch überraschend, berechtigt war er und Ausdruck einer fatalen Fehleinschätzung der Bedeutung dieses Brunnens.
In der Zeit danach hat die Autorin einige Menschen angesprochen, durchaus respektable Persönlichkeiten der Stadtgesellschaft, ob sie sich nicht eine gemeinsame Aktion zur Rettung des Brunnens vorstellen könnten. Leider erhielt sie nur Absagen.
So tröstet sie sich mit einem privaten Sponsoring in ihrer Geburtsstadt Magdeburg, mit dem der Betrieb eines feinen kleinen Brunnens gesichert wird. Und immer mal wieder sinniert sie darüber, was denn wäre, wenn sich für den Listplatz Sponsoren finden würden. Ganz im Sinne der "Köpfe für Reutlingen" und ihrem berühmten Zitat von Kennedy: fragt nicht, was Euer Land für Euch tun kann, sondern fragt, was Ihr für Euer Land tun könnt.

Bild: Brunnensponsoring der Autorin, gewürdigt von der Stadtverwaltung Magdeburg

Die Autorin wäre bereit für ein TUN, wenn sich denn Mitstreiterinnen und Mitstreiter fänden.
Bildertanz-Quelle:Markus Niethammer/Katrin Korth/Stadtarchiv/Bildertanz

Donnerstag, 27. Juli 2017

Das "Stuttgarter Tor": Zukunft weit geöffnet - Was aber ist die Zukunft?



Der Reutlinger General Anzeiger widmet heute seine Titelseite des Lokalteils dem "Stuttgarter Tor", dem neuen Hochhaus, dessen Zukunft der Gemeinderat nun geöffnet hat. HIER DER LINK ZU DEM ARTIKEL. 
 Berlin 2017: Ist das die Zukunft?
 Auch Mauern brauchen Liebe

Was wir eigentlich schon lange wissen:

1970: »Auf allen Ebenen der Administration vollziehen sich die Planungsprozesse in der sterilen Atmosphäre strengster Verschwiegenheit und einlullender Einmütigkeit. In ihr Exklusivrecht, allein über die Gestaltung von Wohnung und Umwelt bestimmen zu dürfen, lassen sich weder Minister, noch Gemeinderäte hineinreden. Wer nicht bereit ist, 'den erfolgreichen beschrittenen Weg auch in der Zukunft weiter fortzusetzen' - so die Erschließung des Wohnungs- und Städtebaukongresses der SPD 1969 in München - - wer also auf eine Neuorientierung unserer Wohnungspolitik drängt, wird als Querulant und Besserwisser abgewertet.«
Hobby, 19. August 1970: "Macht Wohnen im Hochhaus krank?"
Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer

Montag, 24. Juli 2017

Schöngeschaut: Tübingen versus Reutlingen (7)

 Reutlingen: schöngebaut - das Feuerwehrmagazin


Tübingen: entlanggeschaut, aber nicht schöngeschaut - das naturwissenschaftliche Institut
Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer

Sonntag, 23. Juli 2017

Schöngeschaut: Tübingen versus Reutlingen (6)

 Reutlingen: Ein Massiv - die Marienkirche
Tübingen: Eine Festung - die Stiftskirche
Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer

Samstag, 22. Juli 2017

Schöngeschaut: Tübingen versus Reutlingen (5)

 Markt in Tübingen - der Blick zum Rathaus
Markt in Reutlingen - der Blick vom Rathaus
Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer

Freitag, 21. Juli 2017

Schöngeschaut: Tübingen versus Reutlingen (4)

 Tübinger Alltag: Zwischen Nonnenhaus und Stiftskirche
Reutlinger Allztag: Zwischen Marienkirche und Heimatmuseum 
Bildertanz-Quelle:Jürgen Reich (Tü)/Raimund Vollmer (RT)

Donnerstag, 20. Juli 2017

Schöngeschaut: Tübingen versus Reutlingen (3)

 Tübingen am Holzmarkt: Der Georgsbrunnen in Tübingen ist erst 1976 (wieder) entstanden...
Reutlingen am Marktplatz: Der Maximiliansbrunnen hielt sich tapfer, auch wenn er Anfang des vergangenen Jahrhunderts ein paar Meter nach links  rücken musste. Für die Straßenbahn hat er das natürlich gerne getan...
Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer

Mittwoch, 19. Juli 2017

Schöngeschaut: Tübingen versus Reutlingen (2)

Das ist natürlich unschlagbar: die altmittelstädtische Skyline von Tübingen
 Aber der Himmel über Reutlingen inszeniert sich über dem Tübinger Tor auch nicht schlecht (wenn alles andere ausgeblendet wird und man vergisst, dass Reutlingen unbedingt als Großstadt erscheinen will)
Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer (RT) / Jürgen Reich (Tü)

Dienstag, 18. Juli 2017

Schöngeschaut: Tübingen versus Reutlingen (1)

 Tübingen ist immer schön...

Reutlingen hat seine eigenen Faszinationen
Bildertanz-Quelle: Raimund Vollmer

Montag, 17. Juli 2017

REUTLINGEN & TÜBINGEN: DER CLICK IN DIE WIKIPEDIA...

... ist irgendwie auch ein Blick in das Selbstverständnis dieser beiden Nachbarstädte. "Reutlingen ist eine Großstadt", sagt gleich zu Anfang das sich selbst schreibende Lexikon des Internets über RT. "Tübingen (...) ist eine Universitätsstadt", sagt das Wissen der Welt und lokalisiert beide Städte "im Zentrum Baden-Württembergs". Reutlingen referenziert hier Tübingen als "Mittelstadt", betont vor allem aber die Entfernungen zu zwei anderen Großstädten - zu Stuttgart und Ulm. Tübingen ficht das alles nicht an, weiß sich aber als Sitz des "gleichnamigen Regierungsbezirks" und hat kein Problem damit, sich gemeinsam mit Reutlingen als eines der "14 Oberzentren des Landes" zu bestimmen.


Schaut man nun auf die Homepage beider Städte, dann kennen sie einander so gut wie gar nicht mehr. "GROSSSTADT REUTLINGEN" heißt es an der Echaz in GROSSBUCHSTABEN. "Tübingen im Porträt" heißt es eher bescheiden an Neckar. Man sieht sich unaufgeregt als "schwäbische Universitätsstadt", die unter ihren 86.500 Einwohner 28.400 Studenten hat. Die Stadt rühmt sich "eines liebevoll restaurierten mittelalterlichen Stadtkerns". Reutlingen weiß sich mit ihren 115.000 Einwohnern "malerisch eingebettet zwischen Achalm und Georgenberg", erinnert sich natürlich auch ihrer Vergangenheit als "Freie Reichsstadt" bis 1802 - einen Status, in dessen Nähe sie mit dem Wörtchen "kreisfrei" irgendwie wieder kommen möchte.
Kommentar:
Was aber Tübingen im Unterschied zu Reutlingen nicht zu besitzen scheint, ist so etwas wie den Bildertanz mit all den Bürgern, die hier vor allem auf Facebook immerzu "meckern", wie unsere Oberbürgermeisterin Barbara Bosch das nennt, was man seit der Aufklärung, seit Immanuel Kant, "Kritik" nennt. Da hat es ihr Tübinger Gegenüber, Oberbürgermeister Boris Palmer, richtig gut.
(Raimund Vollmer)

Bildertanz-Quelle:RV

Samstag, 15. Juli 2017

STADT IM ZEITBRUCH: Die Christuskirche (1936)



Die Nazis über den Bau der Christuskirche: "Lasst sie nur bauen, schließlich brauchen wir auch Turnhallen!" 
Eine Konzertkirche bauten sich vor mehr als 80 Jahren die Reutlinger - mitten in der Nazizeit. Und die Bürger unserer Stadt sahen darin ein Bekenntnis gegen den Nationalsozialismus und dessen kirchenfeindliche Politik. Es ist ein Zeugnis für Unbeugsamkeit, Ehrlichkeit und Anstand. Am 22. Juli 1935 war der Spatenstich, ein gutes Jahr später, zum 1. Advent 1936, wurde die Kirche eröffnet. Die Pläne für die Kirche, die bis zu 1000 Menschen fasst, kamen von Professor Hannes Mayer.

Zum Kirchenbau schreibt die Wikipedia: "Die Christuskirche ist auch als „Konzertkirche“ geplant worden. Der Schwäbische Singkreis unter Kirchenmusikdirektor Hans Grischkat hatte in dieser Kirche seine Heimat. Eckhard und Renate Weyand standen mit dem „Kantatenchor Christuskirche“ in dieser Tradition, die dadurch bis heute lebendig ist.
Große Werke der Kirchenmusik und Kantatengottesdienste haben die Christuskirche als einen der Schwerpunkte für die Kirchenmusik in Reutlingen und Umgebung geprägt.
Zur Tradition der Christuskirche gehören von Anfang an auch die Künstler, die eingeladen waren, die biblische Botschaft der Gemeinde mit Bildern und Plastiken aus Holz und Stein anschaulich zu machen. Dies waren insbesondere Walter Kohler, Rudolf Müller, Helmuth Uhrig, Ulrich Henn, Martin Scheible, Rudolf Yelin, Jakob Wilhelm Fehrle und Hermann Wilhelm Brellochs.
Diese Tradition wurde fortgesetzt: Gudrun Müsse Florin (Altarfenster, 1989; Ambo mit Antependien, 1992). Einfügung (1997) des Kreuzweges der Versöhnung von HAP Grieshaber."
Nachtrag: Ins Gerede kam die Christuskirche im April 2010 dadurch, dass sie den Grauen Wölfen der Türkischen Gemeinschaft für eine Feier die Tore öffnete. Hier soll der sogenannte (ultrarechte)"Wolfsgruß" ausgeübt worden sein, zu dem es auch ein Video gibt. Wer es sich unbedingt antun will, der kann es HIER sehen. Einen Bericht zu der Veranstaltung haben wir HIER.
Das untere Foto haben wir aus dem Album von Friedrich Fingerle, Altenburg.
Veröffentlicht zuletzt am 13. Oktober 2016 /Aktualisierte Version 15. Juli 2017

Freitag, 14. Juli 2017

DER STUTTGARTER STARTUP-GIPFEL UND REUTLINGEN

Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei der Eröffnung des Startup-Gipfels
 
Zwei Licht-Gestalten aus Reutlingen: egg-tech und Luxflux
Wirtschaft sollte uns im Bildertanz ja auch mal irgendwie interessieren - vor allem dann, wenn wir heute lesen durften, dass Bosch in Reutlingen vor massiven Einsparungen steht. Das war abzusehen, nachdem die milliardenschwere Chipfabrik nicht in RT, sondern in Dresden errichtet wird. Deswegen ist es wichtig, mal zu schauen, ob die Zukunft nicht aus den Startups kommen könnte. Warum also nicht gleich mal nach Stuttgart fahren, um dort am Startup-Gipfel teilzunehmen. Zwei Reutlinger Unternehmen haben wir dort entdeckt, die eine installiert Photovoltaik-Anlagen, die andere ist auf dem dem Gebiet der Spektralanalyse. Beide haben ihre Existenz dem Licht zu verdanken. So richtige Startups, wie man sich das aber nicht. Das sind zwei grundsolide Unternehmen, geradezu klassisch schwäbisch.Doch junge Unternehmen waren sie allemal - und eine ziemlich profunde Meinung zur Zukunft haben die Gründer auch. Kluge Köpfe.
Zuerst einmal ganz allgemein: Das Interesse war groß. 2600 Menschen kamen heute auf das Messegelände in Stuttgart, um zu sehen, welche Innovationskraft denn im Ländle herrscht. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) eröffnete den Gipfel mit kernigen Worten, die vor allem dann auf Beifall stießen, wenn sie den baden-württembergischen Patriotismus ansprachen. Wirtschaftsministern Nicole Hoffmeister-Kraut betonte, dass Baden-Württemberg einen Spitzenplatz dort einnimmt, wo sich Start-up-Unternehmen auf dem Gebiet des B2B (Business-to-Business) engagieren. 


Wirtschaftsministern Nicole Hoffmeister-Kraut, Moderatorin  

Damit meint sie Produkte und Dienstleistungen, die in Institutionen (wie Unternehmen, Banken oder Staat) zum Einsatz kommen. Dazu gehört das weite Feld der Industrie 4.0. Was da als Stärke verkauft wurde, Kretschmann stand da keineswegs nach, ist aber eigentlich ein Zeichen der Schwäche. Denn die Großen der Digitalisierungswelle gründen ihre Macht auf den Konsumenten, also auf uns als Privatpersonen, nicht auf Unternehmen. Sie beherrschen die Schnittstelle zu uns, den Verbraucher, der wahrscheinlich größten Macht im 21. Jahrhundert. Und das haben wir in Deutschland insgesamt noch nicht wirklich verstanden.
 Die Besucher lauschen den Worten des Ministerpräsidenten. Einen Durchhänger hatte nur das Hallendach...
 Am Stand der Region Neckar-Alb - und ein kleiner Blick auf LuxFlux.

Doch zurück zu den beiden Reutlinger Unternehmen. Eggtech heißt die Firma, die sich auf dem Gebiet der Photolvoltaik engagiert. Aus den Initialen ihrer Nachnamen haben die drei Gründer ihr Firmennamen kreiert. Benjamin Eichel und Anne Guggemos vertraten ihr kleines Unternehmen auf dem Gemeinschaftsstand "Neckar-Alb". Das Gespräch war so intensiv, dass ich vergaß, die beiden zu fotografieren. (Das können wir aber nachholen, weil ich diese Firma unbedingt mal besuchen möchte - schon wegen der Adresse: Burkhardt+Weber.Straße.) Auf jeden Fall bestätigten die beiden, die Mitte dreißig sind, dass sie sich zu einer Generation gehörig fühlen, die eigentlich keine neuen Träume mehr hat. Sie machen sich nichts vor, hatten auch keine großen Erwartungen an diese Messe. Denn neue Kunden würden sie hier kaum finden, Investoren brauchen sie eigentlich auch nicht. Sie sind zu der Messe als Aussteller gegangen, weil sie sich über den Tellerrand ihres eigenen Unternehmens hinaus für die Zukunft interessieren. Spüren, was kommt. Fühlen, was geht. Sie taten genau das, was Unternehmer immer tun müssen: Augen und Ohren offen halten. 
"Uns geht es zu gut", meint Marc Henzler, der gemeinsam mit Jan Makowski die Firma LuxFlux leitet. Im Januar 2016 haben die beiden ihr "Startup" gegründet. Investoren brauchen auch sie nicht wirklich, Kunden erwarten sie auch nicht auf der Messe. Dieser Startup-Gipfel ist für sie mehr eine Gelegenheit zum Gedankenaustausch. Das nutzen sie denn auch. Da erfährt man viel - zum Beispiel bekommt man hautnah mit, dass Arbeitslosigkeit der häufigste Grund für Unternehmensgründungen sind. Vor dem Hintergrund der Dauerkonjunktur, die wir momentan erleben, sei also momentan keine große Gründerwelle zu erwarten. Dass seine Firma an der Startup-Messe teilnimmt, hat letztlich denselben Grund wie bei eggtech. Es dient letztlich der Überprüfung der eigenen Situation. 
Eigentlich müssten Investoren solchen Firmen die Bude einrennen, aber wahrscheinlich ahnen sie, dass diese jungen Leute ihren ureigenen Weg gehen. Über das Gerede vom Cyber Valley und all dem kalifornischen Schnickschnack können sie nur lächeln. 
Irgendwie hatte ich am Ende des Tages den Eindruck: Würden unsere Politiker ohne große Entourage durch die Hallen gehen, sich einfach mal wie ganz normale Besucher mit den Ausstellern unterhalten, ohne an das Pressefoto zu denken, dann würden sie mehr erfahren als bei allen Podiumsdiskussionen, an denen sie teilnehmen. Einer tat's: Michael Donth, Bundestagsabgeordneter der CDU hier bei uns. Benjamin Eichel berichtete, dass er mit dem Politiker wunderbar hatdiskutieren können. Seine Augen leuchten. So sollte Politik gemacht werden - im persönlichen Gespräch.
Dann würden unsere Volksvertreter feststellen, dass diese jungen Leute an die Politik keine große Erwartungen haben - außer vielleicht eins: klare und für alle gleich gültige Regeln. Das wäre fast zu schön, um wahr zu sein. Wie gesagt: diese Generation hat keine Illusionen. 
Raimund Vollmer
Ihre Werbefilme konnten die Aussteller auf Großbildschirmen präsentieren. 
Ob den Startup-Interessenten die Podiumsdiskussionen weitergeholfen haben?Bi
Bildertanz-Quelle: Raimund Vollmer (Text und Fotos)

Montag, 10. Juli 2017

1817 - Als Reutlingen mit dem Abbau seiner Stadtmauer begann












Vor 200 Jahren waren die Bürger der alten, aber seit 1802 nun nicht mehr Freien Reichsstadt Reutlingen ihrer alten Gemäuer überdrüssig. Die Wehranlage mit Stadtgraben und Stadtmauern hatte schon lange ihre Bedeutung verloren. Der Große Brand von 1726 hatte diese einstmals so stolzen Gewerke auch nicht schöner gemacht, aber sie waren noch weithin sichtbar und charaktervoll. Aber die Menschen hatten die Nase voll vom Mittelalter. Und so rückten die Bürger bei Nacht und Nebel der Stadtmauer zu Leibe. Die Steine der Bauten, die man nicht zu brauchen vermeint, werden weggetragen und an anderer Stelle für Neubauten genutzt.  Reutlingen verändert sich radikal. Der Ledergraben wird zugeschüttet, wichtige Wahrzeichen der Stadt, das Alb- und das Untere Tor verschwinden bis 1834.
Nur einige Reste der Zwingermauer sind heute erhalten. Sie war zwischen halbrunden Türmen eingespannt, die durch einen unterirdischen Gang miteinander verbunden waren. Dieser Gang soll unter die Häuser der Mauerstraße geführt und seinen Anfang am Albtorplatz gehabt haben. Dieser Gang, der eine Höhe von 1,60 Meter hatte, wurde unterbrochen durch sogenannte Brunnenstuben. Das Mauerwerk diente also nicht nur militärischen Zwecken, sondern auch der Wasserversorgung. Solche ein Brunnenstube soll es am Gartentor gegeben haben. Was immer noch von diesem Gang erhalten sein mag, für uns Normalsterbliche sind diese Stücke nicht zugänglich. Auf jeden Fall wurde vor 200 Jahren ganz schön Raubbau an den Mauern betrieben.
Jahre später kamen die Reutlinger zur Besinnung - und so wurde zum Beispiel das Tübinger Tor vor dem Abriss gerettet. Dennoch kam es - obwohl bei Strafe verboten - immer wieder zu Diebstählen von Steinen. Die Reutlinger hatten das Recycling entdeckt - und sich um eine Touristenattraktion gebracht, die heute jedem Vergleich mit Tübingen oder vielleicht sogar Rothenburg ob der Tauber standgehalten hätte.
Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer