"Truthähne stimmen auch nicht für Weihnachten."
Englisches Sprichwort
Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer
Heute widmet der altgegenwärtige Reutlinger Generalanzeiger
eine Doppelseite dem Film "Kein schöner Land" von Sabine Winkler.
Interviewt dazu wurden zwei Profis: Ein hoher Angestellter der Stadt und ein
Professor. Und beide argumentieren auf der Basis ihrer formalen Autorität. Der
eine, Stefan Dvorak, ist "Reutlingens oberster Stadtplaner" (GEA),
der andere, Alfred Ruther-Mehlis, ist "Professor für Stadtplanung an der
Hochschule Nürtingen-Geislingen" (GEA). Beide sind keine Naturplaner (was ja
eigentlich ein Widerspruch in sich wäre).
Was hat man von "Stadtplanern" zu erwarten? Genau
das, was dann im GEA zu lesen ist. Sie argumentieren für ihre Jobs. Beide
werden für ihre Tätigkeiten mit öffentlichen
Mitteln bezahlt.
Eigentlich wären diese Befindlichkeiten keiner Erwähnung wert.
Doch in dem Drama, das sich zwischen den Stadtplanern und der Autorin
unterschwellig abspielt, hat es eine große Bedeutung. Sabine Winkler ist
Amateurin, die ihren Film selbst finanziert hat. Das, was sie uns zeigt, ist
ein reinrassiger Autorenfilm. Sie besitzt nichts anderes als ihre natürliche
Autorität. Sie hat überhaupt keine planerische Exekutivmacht. Sie ist eine
Bürgerin, die auch gar keinen Hehl daraus macht, dass das, was sie in ihrem
Film zeigt, ihre einseitige, aber schnörkellos grundehrliche Meinung ist. Und
die Menschen, die den Film sehen, sind bestürzt - vor allem über sich selbst. Denn
sie werden mit ihren eigenen Widersprüchen konfrontiert, mit dem Riss, der
durch jeden Bürger geht.
- Einerseits wollen wir die Annehmlichkeiten, die
Funktionen, die Fürsorge einer Stadt genießen, die - um ihre Aufgaben erfüllen
zu können, oftmals den "Flächenfraß" anwenden muss. Das ist die
Aufgabe der Stadtplaner.
- Andererseits wollen wir uns unsere Umwelt erhalten, die ja
eben nicht nur die Funktionen einer Stadt umschließt, sondern auch alle
Grünflächen, die Landwirtschaft, das Leben der Tiere, die "freie
Natur" an sich. Das ist auch die Aufgabe der Stadtplaner.
Sie kümmern sich also um beides, durch Kooperation mit
anderen Gemeinden sogar mit regionaler Gestaltungskompetenz.
Die Zivilisation, für die in ihrer höchstentwickelten Form
die Stadt steht, einerseits und die Natur andererseits kämpfen um dieselbe
Ressource.
- Die eine Seite aktiv, durch Planung und wissenschaftlich-rationale
Begründung,
- die andere Seite, die Natur, die sich ihre Freunde immer irgendwie
zusammensuchen muss.
Die Natur ist stets die Gebende und in Reservate (Parks,
Biosphären) Verbannte. Die Stadt ist immer die Nehmende, die mit ihrem
Totschlagargument "Wachstum, Wohlstand Wohnungen" sich stets auf der
Siegerseite weiß - nur mühsam gebändigt durch eine "grüne" Politik,
die aber auch im Grunde genommen bisher nichts anderes als Grenzwerte setzen
konnte. Das allerdings gelingt ihr in einer so guten Inszenierung, dass sie in
Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten stellen kann und Fahrverbote androhen kann.
Nun kommt eine Frau daher, die niemanden fragt, ob sie das
darf oder nicht, und produziert aus eigener Urheberschaft, eigener Autorität,
einen emotionalen Film. Und sie wendet dabei das einzige Argument, das einzige
wirklich zündende Argument an, das wir im Umgang mit der Natur haben: Emotion. "Kein
schöner Land" ist denn auch ein hoch emotionaler, authentischer Film, in dem auch die Wissenschaft zu Worte
kommt. Interessanterweise argumentiert sie in diesem Film letztlich ebenfalls emotional.
Es ist keineswegs eine plumpe Emotionalität, die da
dramaturgisch geschickt in Szene gesetzt wird. Dieser Film ist nicht Agitprop,
nicht Agitation und Propaganda. Er ist eine sehr sublime, mitunter durchaus
suggestive Leidenschaft, die uns in diesem Film mit uns selbst konfrontiert. In
diesem Film - so ist es jedenfalls mir ergangen - geht es allein um uns. Und schon
deswegen muss man sich diesen Film ansehen. Vielleicht ist es sogar der einzige
Grund.
Insofern gehen die beiden Planungs-Profis der Amateurin in
die Falle. Sie versuchen, uns, den Bürgern, das Thema wieder wegzunehmen, indem
sie auf die Kompetenzen und Verantwortungen ihrer Zunft hinweisen. Beide haben
nicht begriffen, dass es Sabine Winkler allein darum geht, uns Bürgern klarzumachen,
dass es um uns und nur um uns geht. "Wem gehört die Stadt?", zitiert der
GEA in der Überschrift die rein rhetorisch gemeinte Frage des Stadtplaners Dvorak.
Und aus allem, was er da äußert, spürt man, dass er sich eins eigentlich nicht
vorstellen kann: Dass dies unsere eigene Agenda sei. Wir müssen die Frage beantworten,
welchen Ideen wir die weitere Gestaltung unserer Lebensverhältnisse anvertrauen.
Eine Stadtplanung, die sich in der Nachkriegszeit vornehmlich
auf Trennen und Teilen reduzierte, auf brutal durchgesetzte Verkehrsschneisen
(demnächst gibt es die sogar für Fahrräder), auf "Fußgängerzonen",
auf monotone Vorortsiedlungen, aus Busspuren, auf bunt zusammengewürfelte Gewerbegebiete,
eine Stadtplanung, die sich eigentlich wenig um Harmonie kümmerte, die
Funktionalität und Rationalität über alles stellte, die ihre
Flächennutzungspläne so gestaltete, dass sie jederzeit - durchaus im Gestus
anmaßenden Wissens - alle Optionen besaß. Dvorak behauptet zum Beispiel in
seiner Kritik an Winkler-Film, dass ja einige der Flächen bereits in dem
bestehenden Flächennutzungsplan enthalten seien. Ja und? Was ist das für ein
Argument! Das einzige, was dies sagt, ist, dass die Optionen schon früher
besetzt worden sind. Langfristig, über die Wahlperiode eines Stadtrates hinaus.
An anderer Stelle hat Dvorak darauf hingewiesen, dass Flächennutzungspläne Laufzeiten von drei, vier oder gar fünf Wahlperioden haben. Und damit sind sie
primär dem Gestaltungswissen der Behörden unterworfen, an den sich der
Gestaltungswille des Stadtrates eigentlich nur anpassen muss.
Besonders hohl wird daher die Argumentation auf Seiten des
Professors, wenn er gegenüber dem GEA erklärt, dass Sabine Winkler "nicht
zwischen Stadtpolitik und Verwaltung" trennt. Jeder Stadtrat weiß, dass
die Verwaltung ihre eigenen Ziele hat, die sie tunlichst nicht verrät - am
wenigsten der momentanen Stadtpolitik, die dann nichts anderes ist als der
Erfüllungsgehilfe der Verwaltung und deren kompetent vorgeführten Argumentation.
Gerade umfassende Flächennutzungspläne sind die besten Tarnveranstaltungen für die
heimlichen Langfristziele der Stadtverwaltung, die sich ja durchaus als eine eigene Macht
versteht, als Exektivmacht. Zum anderen muss man sehen, dass der Stadtrat
selbst Teil der Exekutive ist - so widersinnig sich das anhört. Aber die
Gemeinderäte gehören nicht zur legislativen Gewalt. (Man könnte sich jetzt
fragen, warum eigentlich nicht?)
Diese Autorität könnten aber wir Bürger an uns reißen. Dass
wir das können, wurde bislang von der Verwaltung und auch nicht vom Herrn
Professor kommuniziert oder vom GEA direkt darauf hingewiesen. Auf dem
Beteiligungsprotal des Landes Baden-Württemberg heißt es:
"Seit dem 1. Dezember 2015 können Bürgerinnen und
Bürger zum Aufstellungsbeschluss ein Bürgerbegehren durchführen oder
Gemeinderäte einen Bürgerentscheid ansetzen. Wird statt einem
Aufstellungsbeschluss gleich die Auslegung beschlossen, was rechtlich möglich
ist, kann auch zum Auslegungsbeschluss ein Bürgerentscheid beantragt werden."
WAS STEHT DA? Gemeinderäte können im Umfeld eines Flächennutzungsplans einen
Bürgerentscheid ansetzen! Da kann man nur sagen: Sie sollten es unbedingt tun. Damit
sie wissen, wie wir, die Amateure, denken. Die eine Seite, die Profis, haben
wir lange genug wurschteln lassen. Wir wissen, dass sie hoch hinaus will. Der
Flächenfraß wird neuerdings in die Luft verlagert.
Stadtentwicklung sei "ein hochdemokratischer Prozess in
der Stadtgesellschaft", wird Dvorak zitiert, offenbar in der indirekter
Rede widergegebenen Ansicht, dass Verwaltung und Politik möglichst den
Interessen aller Rechnung tragen müssen. Das sagt uns: Am Ende soll alles wieder bei den Profis landen.
Okay, Sabine Winkler aber hat uns deutlich darauf hingewiesen, dass die Flächennutzung zu wichtig ist,um sie allein den Profis zu überlassen. Sie hat unser Interesse geweckt - das von uns Bürgern, von uns Amateuren.
Bildertanz-Quelle:RT-Atlas