Sonntag, 29. September 2019

Reutlingen - zwischen Altstadt und Kaltstadt


Eine unzeitgemäße Betrachtung  von Raimund Vollmer

Das Hochhotel wird also so gebaut, wie es der Investor braucht. Egal, ob uns das gefällt oder nicht. So entschied jetzt der Rat der Stadt Reutlingen, der jede Tendenz in Richtung Bürgerentscheid abwürgte. 
Da stellt man sich die Frage: Was ist der Generalplan, den man sich nicht von uns Bürgern durch Entscheide in Einzelfällen durchkreuzen lassen möchte? Deshalb dieser Versuch, unsere Stadt einmal von einer Meta-Ebene aus zu betrachten. 


Alles, was zwischen den alten Stadtoren liegt, die ursprüngliche Altstadt ausmacht, wird sich an sich selbst orientieren - an dem historischen Vorbild. Das hat man wohl endlich kapiert. Hier ist unsere Stadt auch die Stadt, die sich bis zuletzt als Reichsstadt behauptet hat, die nie klein beigab, mutig bis aufsässig war - und sich auch nicht einfach von den Nationalsozialisten einkassieren ließ. Sie hatte sich mit dem Bau der in jeder Beziehung wunderbaren Stadtbibliothek schon in den achtziger Jahren den Weg zurück in die Zukunft selbst gezeigt. Es war ein Weg,  den sie - nur wenige Schritte entfernt - durch die Riegel- und Stelzenbauten des Rathauses zwei Jahrzehnte zuvor massiv verbarrikadiert hatte. In einem Anfall von Erkenntnis hatte man allerdings beim Bau der Stadtbibliothek die Einsicht durchschimmern lassen, dass nicht alles, was modern sein soll, auch automatisch modern ausschauen muss. Modernität ist kein Synonym für Zukunft. Der Gegenbeweis ist diese Stadtbibliothek, ein innen wie außen heimelig wirkendes Charaktergebäude. Hier ist man zuhause. Hier ist man Bürger. Angepasst an die Umgebung (Spendhaus, Heimatmuseum) und dennoch sehr souverän, sehr selbstbewusst. Das ist Reutlingen - und wer dort mal an einem Samstagmorgen einen Besuch abstattet, bekommt ein Gespür für echtes urbanes Leben, ohne dass es aus Shopping oder Gastronomie bestehen muss. Eine Stadt, die allein in Mode und Gastwirtschaft ihre Attraktivität sucht, fängt an, sich selbst aufzugeben. Nein. Wer die Stadtbibliothek besucht, bekommt einen ganz anderen Eindruck von unserer Stadt. Selbstbestimmt. Selbstbewusst. Souverän. Interessiert. Neugierig. Wissensdurstig. Sogar herzlich. Individuell und introvertiert, dennoch sehr kommunikativ. Und das Ganze erlebt man praktisch ohne Stadtmarketing, allerdings auch abgeschirmt durch Mauern und Altstadtrand. 

Das Rathaus hingegen ist und bleibt ein Stück Kaltstadt in den virtuellen Mauern der Altstadt. Überhaupt zieht der Rathaus- und Marktplatz eine Trennlinie zwischen der flachdachigen, funktionalen Kaltstadt auf der einen Seite, wie sie sich im Umfeld der Stadthalle einbetoniert,  und der kommunikativen, vergiebelten Altstadt auf der anderen Seite. Wie eine Diagonale zieht sich diese Linie über den Marktplatz. Dass man davon nicht abrücken wird, zeigt der Neubau der BW-Bank. Aber die Invasion der Postpseudomoderne ist an dieser Linie gestoppt. Die Katharinenstraße behält ihre Giebelzeile, wird vielleicht sogar mit ihrem Lichthof eine Querverbindung zu den anderen, ein wenig vergessenen und verschlafenen Teilen dieser Altstadt schaffen.

Rund um diese Altstadt triumphiert indes die Kaltstadt. Hier herrscht die Hochmoderne (oder vielmehr das, was man dafür halten soll). Ihren Heiligenschrein bekam sie mit der Stadthalle, die zwar der Hochkultur der Württembergischen Philharmonie gewidmet werden sollte, sich aber vor allem durch Profan-Veranstaltungen über Wasser hält - und mit ein bisschen Hilfe und Goodwill der Stadt, der Eigentümerin. 

Die Tonne bildet den Tabernakel - und dass ausgerechnet sie sich architektonisch als Blendwerk darstellen muss, sich gar auf eigenem Olymp-Hügel sonnt, hat sie nicht verdient. Ihr Platz gehört in die Altstadt, dort, wo wieder das Leben in all seinen dramatischen und komischen Wendungen pulsieren soll. Selbst das Franz-K, ein echtes Stück Reutlingen, muss sich nun im Schatten des neuen Stuttgarter Tores als Teil der Kaltstadt behaupten.

Was immer aus dem Postgelände werden wird, wissen wir nicht. Aber die Wahrscheinlichkeit ist nicht sehr groß, dass dort etwas entsteht, was als eine emotionale Erweiterung der Altstadt wirken kann. Zwar ist von einer "Kulturmeile" die Rede als eine Forderung an den Ideenwettbewerb, wo aber soll denn die "Kultur" herkommen? Reutlingen ist keine Kunststadt, da darf uns auch das Museum für Konkrete Kunst nicht drüber hinwegtäuschen. Ob sich das Industriemagazin, das ja von Reutlingens industrietechnischer Vergangenheit zeugen soll, sich hier wohlfühlen wird, ist auch nicht unbedingt gesagt. Es fehlt das wirklich Spektakuläre, wie es ein Eisenbahnmuseum (Nürnberg), technisches Museum (Berlin/München) bieten kann. Reutlingen hat keine Zechen oder andere Industriedenkmäler. Reutlingen ist Reutlingen (oder war es einmal). Und dieses Reutlingen wird sich auf diesem Gelände nicht wiederfinden. Angesichts von Blue Village kann einem auch nur angst und bange werden, wenn es heißt, dass hier Wohnungen entstehen sollen. Was wir erleben, ist ein Fortführung der Kaltstadt um die Altstadt. Man durchmischt das Kalte mit ein wenig Altem und bekommt vielleicht ein paar Grad emotionale Wärme in diese Zone der Kaltbauten. Nicht die Altstadt expandiert, sondern die Kaltstadt. Und nichts kann dies verhindern.

Eigentlich wird die Reutlinger Altstadt seit Jahrzehnten beklaut. Sie verlor den Zwiefalter Hof. Sie verlor viele ihrer historischen Häuser. Sie verlor ihre Straßenbahn. Sie verlor ihre inhabergeführten Geschäfte, ihre Handwerke, ihre Industrie, ihre Kirchen, ihre Buchhandlungen, kurzum: ihr Eigenleben. Und das alles, bevor Amazon über alle Erdzonen hinweg sich ausbreitete. Die Altstadt verlor vor allem ihre von der Pädagogischen Hochschule geisteswissenschaftlich und schöngeistig eingestimmte Jugend, die sich beim "Kocher" und beim "Knödler" mit wahrhaft intellektueller Lektüre eindeckte - fernab von dem Absurdistan einer eiskalt durchgestylten  BWL. Deren Studenten finden allein in Tübingen jene Heimeligkeit, nach der sie sich im Grunde ihres Herzens sehnen. Und zwar zu Recht.

Der Gipfel an Unverfrorenheit wurde erreicht, als man das neue Wahrzeichen der Kaltstadt, das neue Hochhaus,  "Stuttgarter Tor" nannte - in einer Replik auf das mittelalterliche Stuttgarter Tor, das dort stand, wo die Wilhelmstraße beginnt - 300 Meter entfernt.

In diese Kaltstadt passt nun auch das neue Hochhaus-Hotel, gegen dessen Bau die WiR-Fraktion vergeblich viele Unterschriften "in Echt" und virtuell sammelte. Keine Chance für einen Bürgerentscheid. Kaltstadt expandiert - mit dem Eregbnis, dass die Hotelgäste dann abends doch die Reutlinger Altstadt aufsuchen werden, um schließlich enttäuscht nach Tübingen zu fahren.

Es sei denn...

... es geschieht jenes kleine Wunder, das sich in der Gartenstraße und am Listplatz andeutet. Hier entwickelt sich nach der Umstellung auf das neue Buskonzept eine neue Urbanität, die - es ist momentan nur eine winzige Hoffnung - neue Geschäfte, neue Lokalitäten, neue Klein-Kultur gedeihen lässt. Und durch die Nähe zur Oststadt, zu jenem sehr bürgerlichen, aber auch industriell geprägten Teil Reutlingens, wird sich vielleicht eine Szene etablieren oder entdecken lassen - übrigens ganz ohne Zutun der Stadt.  Eine Szene, ein Charakter, wie sie echte Großstädte haben.  Hier hat Kaltstadt keine Chance, auch wenn man die Tonne aus der Oststadt abgezogen hat. Hier könnte auf Dauer das Reutlingen zuhause sein, nachdem wir uns insgeheim alle sehnen. Ein bisschen morbide, ein bisschen mondän, ein bisschen zu freiberuflich, ein bisschen zu postmodern, ein bisschen versnobt, ein bisschen ökolastig, ein bisschen hipster, ein bisschen anarchistisch, ein bisschen links, ein bisschen proletarisch, ein bisschen aufsässig. Ein bisschen Kunst, ein bisschen Gewerbe. Hier wirkt sogar die Kreisverwaltung sympathisch, ausgerechnet die Kreisverwaltung, die man doch zumindest obrigkeitlich aus dem Stadtkreis jagen wollte. Kurzum: hier ist ein bisschen von allem, was die Kälte besiegt. Ein Schmelztiegel der Hoffnung. 

Die Kälte aber ist der Tod jeder Stadt.
Bildertanz-Quelle:RV

Donnerstag, 19. September 2019

Alles wird BUSiness - oder das letzte Gefecht...






 SOFTWARE STATT FAHRPLAN


1953: »Ich allein bin Mensch, und alles Übrige ist göttlich.«
Samuel Beckett (1906-1989), irischer Schriftsteller , in seinem Roman "Der Namenlose"




Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer



Überall in der Welt wird nach einem Vierteljahrhundert des intellektuellen Stillstands über neue Mobilitätskonzepte nachgedacht. Nur Reutlingen geht einen Schritt weiter (Gedankenstrich) zurück. Hier wird ein neues Buskonzept eingeführt, dass  - so wurde im Vorfeld ins Gedankenspiel gebracht - eigentlich schon 1994 hätte umgesetzt werden müssen. Anstatt damals einen neuen Zentralen Omnibus-Bahnhof (ZOB) nebst Rendez-Vous-System einzuführen, hätte man schon damals ein auf die Belange einer Großstadt ausgerichtetes System errichten müssen - so eins, wie wir es jetzt haben.
Was wir nun bekommen haben, das seine systemimmanenten Anfangsschwierigkeiten sicherlich überwinden wird, ist etwas, das sozusagen schon 25 Jahre alt ist. Eine böse Behauptung werden nun die sagen, die es verwirklicht haben und auch die, die Reutlingen stets gerne in die vorderste Linie der Avantgarde stellen möchten. Man ist doch so stolz auf diesen Geniestreich der Fahrplantüftler, die mit ihren Quartierbussen uns auch noch bis in die nächste Nähe gerückt sind.

Saubere Luft dank Wunder-Werbung 
Und ist es nicht toll, dass wir in Zeiten, in denen Reutlingen zu den am meisten mit Umweltschlagzeilen gequälten Städten gehört, Ambitionen zeigen, unseren Individual-Innenstadt-Verkehr aus der City nach und nach zu verbannen. In den siebziger Jahre war es die "Fußgänger-Zone" (was für ein Wort!) Wilhelmstraße, die uns glücklich machte, seit den achtziger Jahren (wenn ich mich recht entsinne), waren es die Parallelstraßen wie Metzger-, Garten-, Kaiser- und Bismarckstraße, die als Querungshilfe durch die Stadt systematisch herabgestuft und entschleunigt wurden - mit dem Ergebnis, dass der überlastete Ledergraben heute uns über kurz oder lang ins Fahrverbot führen wird. Ja, wir sind schon so verzweifelt, dass unser Stadtrat nach dem enttäuschten Wunderglauben an die Fetthenne (die wir hier beim Bildertanz von Anfang an als Scharlatanerie abgetan haben) nun auf ein anderes technologisches Heilmittel setzen, das sich - welch ein zusätzliches Wunder - durch Werbung sogar teilfinanzieren soll. Vielleicht erweist sich dies als ein doppeltes Geschäft mit der Illusion - jener der Werbung und dieser dieser neuartigen, dreckfressenden Litfasssäulen auf dem Mittelstreifen des Ledergrabens. (Siehe GEA von heute)
All dies geschieht mit bester Absicht - nämlich der, uns, die Bürger vom Auto auf den Bus umzuleiten, inzwischen fast schon zu drängen. Der RSV bekam immer mehr Monopolstrecken wie eigene Busspuren oder exklusive Durchfahrtsrechte, wie er diese - über kurz oder lang - für die Gartenstraße erhalten wird. Die Forderungen danach, seien sie nun inszeniert oder natürlichen Ursprungs, werden ja schon laut. 
Schummeln gilt nicht
Das Auto, nicht nur des Schwabens scheinheiligstes Blechle, wurde systematisch diskriminiert - und die Automobilindustrie versuchte zwar dagegen anzuschummeln, aber nun scheint sie mit ihrem Softwarelatein am Ende zu sein.
Und der Klimawandel, den wir längst mit dem Begriff Klimakatastrophe assoziieren, tat ein übriges, um uns in den Zustand eines permanenten schlechten Gewissens zu versetzen. Nicht die Busse sind die Bösen, sondern wir, die nicht darauf umsteigen wollen - und doch spüren, dass wir dies tun müssen, wenn wir die Welt vor uns und unseren SUV-Kumpanen retten wollen.
Wir müssen zugeben, dass sich die Stadt mit ihrer RSV auch maximal bemüht, uns das Leben ohne Auto schmackhaft zu machen. Das Allheilmittel ist der Bus. Das war es 1974, als die Straßenbahn abgeschafft wurde.  Das ist es jetzt, während wir noch auf die Stadtbahn in die Zukunft warten. 
Der Fahrplan als letzter Wille 
So erscheint einem das, was nun über Reutlingen als neuer Fahrplan verhängt wurde, sicherlich als bester Wille, aber leider auch als letzter Wille.
Wirklich? Starker Tobak wird da mancher denken und ist vielleicht schon vorher aus dem Bildertanz-Bus ausgestiegen. 
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Jetzt, wo wir unter uns sind, kann es ja weitergehen. Wir alle wissen, dass die große Zeit des "eigenen" Autos mit uns am Steuer vorbei ist. Wenn also jemand sein Testament machen muss, dann ist es das Privatauto, nicht der Bus oder die Bahn. Jede Fahrt mit unseren von uns gesteuerten Verbrennern ist fast schon eine Museumsfahrt. 
Überall wird mit Selbstfahrern experimentiert. Durch die extensive Durchregulierung unseres Straßennetzes bis in die kleinste Sackgasse hinein ist ein derart dichtes aus Befehl und Gehormsam entstanden, wie es in geradezu alles überlegener Weise nur die Software leisten kann. Unsere Straßenverkehrsordnung allein ist das beste Pflichtenheft, das sich ein Programmierer bei der Software-Erstellung für selbstfahrende Autos nur denken kann. Der einzige Unsicherheitsfaktor ist - das ist tiefster IT-Glaube, glauben Sie mir - der Mensch, der Mensch am Lenkrad, der Mensch am Straßenrand, der Mensch auf dem Fahrrad, der Mensch im Verkehr generell. Wir sind viel zu spontan. Wir sind alles andere als softwaregöttlich. Früher - in anderen Zeiten - nannte man das Freiheit. Aber mit "früher" darf man ja nicht kommen - in diesen Zeiten, in denen man nicht daran erinnert werden möchte, dass man uralte Konzepte realisiert. 
Die Käfighaltung des Menschen
Natürlich könnte man jetzt schreiben (und nichts liegt mir ferner als das), dass die Käfighaltung des Menschen im Bus immer noch die beste ist. Der freilaufende Individualverkehr, so wie wir ihn seit 100 Jahren kennen, ist einfach nicht planbar. Das schafft keine Simulationssoftware, das schafft kein Supercomputer, das schafft noch nicht einmal die Stadt Reutlingen. In unseren individuellen Bewegungswünschen sind wir schlichtweg nicht kakulierbar. Da können wir noch so viel Big Data zusammenscharren. Warum verfolgt die RSV dann dieses neue Buskonzept mit dem Ziel, möglichst alle in den Bus zu verfrachten?  
(Übrigens ist dies die letzte Gelegenheit zum Lese-Ausstieg vor der Endstation auf dieser Linie der Unverschämtheiten.)
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In gewisser Weise erinnert das neue Buskonzept an das Pfeifen im Walde. Betrachten wir das ganze System mal nicht aus dem Blickwinkel von uns als Bürger dieser Stadt, sondern aus der Sicht des Managements bei der RSV. Diese Leute fühlen sich verantwortlich für viele, viele Mitarbeiter, für millionenschwere Investitionen und natürlich auch für ihren eigenen Job.
Bislang waren ihr natürlicher Feind der Individualverkehr, also unser Auto. Eine Niederlage nach der anderen haben sie erlitten. Wir bekamen die Straßen, die Parkplätze und alle Bequemlichkeiten der Mobilität. Sie mussten sich mit ihren Bus-Übergrößen dadurch zwängen, waren an Fahrpläne und Fahrstrecken gebunden, umständliche Bezahlsysteme, Personalpläne, Budgets, Inspektionen, Statistiken - mit alldem, was man Transaktionskosten nennt. Sie hatten nie eine Chance, und stünden nicht die Stadtverwaltung und deren Stadträte hinter ihnen, sie hätten überhaupt keine Chance. So bekam die RSV Privilegien, mitunter sogar schon monopolartig, die ihr gerne zugestanden wurde, weil sie ja auch wichtigen Sozialaufgaben nachkam, was man nicht unterschätzen darf. Der ÖPNV - der Öffentliche Personen-Nah-Verkehr - war, ist und bleibt wichtig. So wichtig, dass er sogar in Reutlingen spätestens seit der Jahrtausendwende Zuwendungen der öffentlichen Hand sicher sein konnte, damit auch unrentable Linien bedient werden. 

 Fahren wie im Internet

Im Augenblick des größten Triumphes, in dem das in der Regel total unterbesetzte Auto, dieser Ein-Personen-Bus, endlich als das größte Übel im Straßenverkehr identifiziert wird, alle Vernunft für den Bus spricht, kommt es zu mehreren Bedrohungen aus völlig unterschiedlichen Ecken.
- Erstens der Elektroantrieb, der das Auto trotz aller jüngster Öko-Gegenrechnungen zu rehabilitieren scheint und eine Wohlstandsindustrie momentan in Angst und Schrecken versetzt.
- Zweitens der Uber-Fall und andere Konzepte vom Teil-Auto bis hin zu Sammeltaxen der verschiedenen Art, der aus dem öffentlichen Nahverkehr einen privaten Nahverkehr macht.
- Drittens das Aufkommen von Ebikes und E-Rollern, die eine Art von Freiheit zurückerobern, die allen höheren Wesen in der Nahrungskette der technischen Mobilität verwehrt ist.
- Viertens sind es die selbstfahrenden Fahrzeuge, die sich in den nächsten zehn Jahren in unser Straßenbild einfügen und zur totalen Konkurrenz  aufrufen werden. Von ihnen geht die größte Umwälzung aus.
Vor allem diese Selbstfahrer werden dafür sorgen, dass unser neues Bus-Business auf jeden Fall keine 25 Jahre (wie das bisherige Rendez-Vous-System) bestehen wird. Vielleicht wird es noch nicht einmal zehn Jahre halten. Es wird nie den Zustand der maximalen Optimierung erreichen.Und wenn doch, dann wird dieser Zustand sich nicht konservieren lassen.
Warum ist das so? Wenn sich Deutschland nicht der weltweiten Lächerlichkeit preisgeben will, wird niemand es wagen, die selbststeuernden Autos zu verbieten. Da sie auch noch softwaregesteuert sind, werden sie die regeltreuesten Fahrer sein, die es je gab. Unsere Hilfssheriffs werden arbeitslos. Natürlich wird es Unfälle geben, aber wahrscheinlich auf Dauer eher weniger, Straßenrennen werden sich diese Selbstfahrer nicht leisten. Wenn doch, dann wurden sie von Menschenhand so programmiert. rinner wDie Schummelsoftware in den Dieseln hat sich auch nicht selbst geschrieben. Dass die Software, die unsere Autos steuern wird, gehackt werden kann, ist eine Gefahr, die natürlich besteht und sie wird auch garantiert ins Gespräch gebracht. Aber die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich hoch, dass wir diese Gefahr ebenso akzeptieren werden wie die, dass unsere Elektrizitätswerke durch Hacker lahmgelegt werden können. (Unsere Atomkraftwerke wurden jahrzehntelang von PC-Technologien gesteuert, die wie keine andere potentiellen Hacker-Angriffen ausgesetzt waren. Das wurde aber nie großartig thematisiert. Mit gutem Grund.)
Ausschlaggebend aber ist, dass diese selbstbestimmten Fahrzeuge alles durcheinander bringen. Sie müssen nicht mehr an einen einzigen Fahrzeughalter gebunden sein. Sie passen wunderbar in Teil-Auto-Konzepte. Sie können sogar - wie unsere Busse - pausenlos im Einsatz sein, miteinander kommunizieren, sich zu Sammeltaxen zusammenschließen, sie werden sogar mit Überlandbussen und Stadtbahnen, mit allem, was der ÖPNV auf seinen Strecken zu bieten hat, verbinden. Die Schnittstelle zu allem ist eine APP auf unseren Smartphones, über die wir unser Fahrziel angeben, alles andere regeln dann die Programme unter sich.Vor Ort und in der Cloud. Es ist das Prinzip, nachdem auch das Internet funktioniert. Jeder Fahrgast nennt seine Adresse, zu der er will, alles andere steuert dann die Software. Ganz grob gesprochen. 

Als der Erfinder dieses Verfahrens vor einem halben Jahrhundert zu der damals größten Telefongesellschaft der Welt, zu AT&T, kam, wurde er kopfschüttelnd abgewiesen. Das hatten sich die Manager dieses Giganten einfach nicht vorstellen können, dass das funktionieren würde. Trotzdem wurde dann vor 50 Jahren, im November 1969, das Internet geboren - und wieder konnte sich keiner vorstellen, dass man nach dieser Methode auch die individuellste Form der elektronischen Kommunikation, das Telefongespräch, führen könnte. Doch genau das ist geschehen, nachdem die Telefongesellschaften in aller Welt Milliarden investiert hatten, um diese Form der Kommunikation zu verhindern.
Die RSV ahnt wahrscheinlich in ihrem tiefsten Inneren, dass sich in den nächsten 25 Jahren mehr verändern wird als in dem vergangenen Vierteljahrhundert. Und man wird den Eindruck nicht los, dass sie mit diesem neuen Konzept noch einmal alles versucht, um das Maximum an ÖPNV herauszuholen, bevor es zusammenschrumpft zu einem Grundgerippe an Fahrplan. Den Rest - und er wird mindestens 75 Prozent des Geschäftes sein - werden andere übernehmen. Die Ubers und CarShares, die Taxis und vor allem die Selbstfahrer. Sie organisieren sich aus dem Augenblick heraus, es ist das Instant-Business, das durch unsere Stadt zuckelt und Busse und Bahn fahrplangemäß soweit nutzt, wie es notwendig ist. Alles andere regeln die Cloud, das Smartphone und die - nennen wir sie albernerweise - Selfie-Cars. 

Das Tesla-Konzept
Übrigens: dieser Tage nahmen die Ingenieure eines großen deutschen Automobilherstellers das Gefährt eines kleinen amerikanischen Elektrofahrzeugherstellers auseinander. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass das, was Tesla kann, sie besser können. Kurz darauf verkündete der Amerikaner, dass seine Produkte künftig nur noch zu leasen seien. Und nach drei Jahren würden sie das Fahrzeug wieder zurücknehmen. Kein Restwertkauf möglich. Warum dies? Die Antwort: die Autos sollen in Selbstfahrer umgewandelt und als "Taxi" eingesetzt werden. Wenn die Daimler-Leute in ihre alten Konzepte hineinschauten würden, dann sähen sie, dass sie eine ähnliche Idee schon vor 30 Jahren hatten: Man sah eine Zeit voraus, in der Mobilität sich nur noch aus der Nutzung, nicht aus Eigentum heraus definierte. 
Der göttliche Fahrplan: Nutzung statt Eigentum
Jetzt rollt dieses Konzept auf uns zu. Daimler und viele andere werden darauf springen. Wenn die RSV sich ihr eigenes BUSiness anschauen würde, dann würde sie feststellen, dass es weder auf Fahrplänen noch auf Bussen basiert, sondern auf Nutzung. Sie muss dieses göttliche Geschäftsmodell eigentlich nur ins 21. Jahrhundert hieben. Sie muss erkennen, dass ihre Aufgabe sozusagen die des Koordinators ist, der alle zusammenbringt, nicht nach Fahrplan, sondern nach Bedarf. Vor allem aber bedarf es dazu eines Abrechnungssystems, das die Einnahmen sichert und verteilt. Auch hier existiert mit der Blockchain längst eine probate Technologie - eine Technologie, die nichts vergisst - schon gar nicht uns, den Fahrgast, den Kunden, den Menschen.
Stattdessen haben wir nun einen Fahrplan in seiner maximalen Ausführung. Was dann kommt, könnte so aussehen: Der Fahrplan (inklusive seiner Umsetzung in Wirklichkeit) wird sehr schnell zu voller Blüte kommen - und dann, wie eine Supernova verglühen. 

Fazit: Bei allem Fortschritt - unsere Stadt hat mal wieder die Zukunft vergessen. Wir sind auf dem Stand von 1994.
Deswegen ist diese kleine Betrachtung ein Brief aus der Zukunft. Legen Sie ihn einfach zu den Akten.
Bildertanz-Quelle:Ella Brodbeck, Erika Armbruster, Zwei-Eichen-Express, Werner Reusch, Richard Wagner