Ein Lebensbogen
Ich habe einen Moment gebraucht, mich hinzusetzen und diese Zeile zu schreiben. Die Vorstellung, dass ich beim Blick aufs Nachbarhaus, meinen Dieter nicht mehr sah, diese Freude, mit ihm zusammen Fußball zu gucken oder ganz einfach ein Schwätzchen zu halten, war auf einmal weg. Es gibt viele Menschen, die ihn kannten - er war kein Promi oder Politiker oder sonstwie eine "Nachrufpersönlichkeit" (Gottfried Benn). Er war einfach ein guter Mensch, bekannt vor allem durch seinen Kranverleih, aber auch durch seinen Schiffsbau. Ich vermisse ihn vor allem aber als Mensch... Euer Raimund Vollmer
Besser als jeder Werbeslogan: „Ein Schlosser kann alles“. So beschrieb Dieter Vogel sich selbst und seine Zunft, als er darauf angesprochen wurde, was ihn denn dazu befähigte, bis zu 32 Meter lange, tonnenschwere Kieskähne zu bauen. Sein Vater Robert, dem er zum Verwechseln ähnlich sah, hatte damit in den dreißiger Jahren in Rommelsbach begonnen. Er hatte dann nach dem Krieg das Geschäft fortgesetzt, nicht mehr in Rommelsbach, sondern seit den fünfziger Jahren unten am Neckar, in Altenburg – einem nicht minder unwahrscheinlichen Ort für eine Werft. Hier verließ zwar der Neckar das Studentenleben Tübingens und schuftete bereits als Kraftwerk, aber schiffbar war der Neckar noch lange nicht. Die langen Kähne, die diese Werft verließen, mussten über die Straße zu ihrem Bestimmungsort im Norden Deutschlands oder sogar in den Süden Frankreichs transportiert werden. Entstanden waren sie auch nicht auf einem Reißbrett oder gar in einem Computer, sondern allein im Kopf der Schlossermeisters Dieter Vogel, der die Konstruktionszeichnungen erst hinterher erstellte – wenn alles fertig war. Das aber war nur ein Aspekt im Leben des in Tübingen geborenen Handwerkers, den jeder als den „Stumpedieter“ kannte. Er rauchte für sein Leben gerne Zigarren, ja er hatte selber mit seinem groß und kräftig gebauten Körper etwas von einem mächtigen Stumpen an sich. Eine Bauchsäule von Mann. Er lachte gerne, hatte viel Humor und ein klammheimliches geradezu schelmisches Vergnügen an den Schwächen seiner Mitmenschen – und an den eigenen. Er liebte das Vereinsleben, in seinem Altenburger Schützenverein, im Männergesangverein Rommelsbach, in dessen Chor er zwar nie mitsang, aber den er - wie überall, wo er sich engagierte – großzügig unterstützte. Im Technischen Hilfswerk (THW) bleibt er unvergessen, an seinem Stammtisch ebenfalls – und in der Runde seiner ehemals dreizehn Geschwister ohnehin nicht. Er war ein Typ, 1940 geboren, im Krieg. Er liebte alles, was schwer war und Kraft hatte. Er konnte gerade über das Lenkrad hinwegsehen, als er als kleiner Bub bereits einen schweren Lastwagen, aufrecht stehend und die Pedale traktierend, auf dem väterlichen Werkstattgelände steuerte – und nicht nur dort. Ende der neunziger Jahre war Schluss mit dem Schiffsbau. Er konzentrierte sich auf den schon seit Jahren betriebenen Kranverleih. Mächtige Maschinen, gesteuert von einem kleinen Schaltpult, beherrschte er wie kaum ein anderer. Millimeterarbeit. Leider musste er auch oft helfen, schwere Laster, die in Straßengräben lagen und umgestürzt waren, zu heben.
Seit 1978 lebte er mit seiner Frau Ursel, die 2018 verstorben war, und seinen zwei Töchtern Tanja und Karin, in Altenburg. Aber nicht unten am Neckar, sondern oben auf der Unger Halde, dort, wo nach wenigen hundert Metern die Gemarkung von Rommelsbach begann. Denn da stammte er her. Hier traf sich oft die ganze Familie, die fünf Enkel, alles Jungs, die Geschwister und die Freunde. Die hatte er herzlich reichlich.
Gestorben ist er im Alter von fast 82 Jahren jetzt zuhause in Altenburg. Dort ist er nun auch beerdigt – nicht weit weg von dem alten Torbogen der früheren Zehntscheuer, den er in einer einzigartigen stählernen Konstruktion der Nachwelt für alle Zeiten erhalten hat. Im Pfarrgarten der evangelischen Kirchengemeinde. Ja, es ist irgendwie sein Lebensbogen geworden, ein starkes Stück Schlosserhandwerk.
Bildertanz-Quelle:R,V.