Dienstag, 7. September 2010

Teil 3: Oberamtsbeschreibung der Stadt Reutlingen von 1824


Der Zwiefalter Hof musste in den siebziger Jahren einem Parkhaus weichen.
Bildertanz-Quelle: Friedrich Dittmar

Die Quellen verweisen auf Wikipedia-Seiten, von denen wir diesen Text übernommen haben.

Beschaffenheit der Stadt.

Die Stadt liegt ziemlich eben, und hat im Ganzen, wie schon aus der beyliegenden Karte, noch mehr aber aus dem neuen Stadtplan erhellt, eine sehr regelmäßige Gestalt. Sie ist mit Graben, Zwinger und hohen Mauern und stattlichen Thürmen umgeben, hat 4 Haupt- und 3 Nebenthore und innerhalb derselben an der südlichen Ecke noch Überreste von besondern Befestigungswerken, „der obere und der untere Bollberg“ genannt. Die hohen Stadtmauern sind neuerlich an mehreren Stellen abgenommen, zum Theil auch durchbrochen worden. Außerhalb der Mauern befinden sich drey kleine offene Vorstädte:
1) die obere Vorstadt, gegen Pfullingen hin, [82] 2) die untere Vorstadt, auf der entgegengesetzten Seite,
3) die Tübinger- oder Mettmanns-Vorstadt.
Auch ist der Graben fast rundum mit Häusern besetzt.
Weniger freundlich, als die Umgebung ist die Stadt selber, und weniger regelmäßig, als ihre Gestalt, ihre Anlage, obgleich die Stadt nach dem Brand von 1726 ganz neugebaut wurde. Die Straßen sind meist krumm, eng und ohne Plan angelegt, die Häuser größtentheils schlecht, durchaus von Holz, unverblendet und durch hohe Giebel verunstaltet. Nur wenige Straßen sind gepflastert, und häufig sind Bäche durch dieselben gerichtet. Das eigenthümliche reichsstädtische Aussehen vermißt man in Reutlingen ganz; man glaubt sich vielmehr in einem großen Dorfe zu befinden; wie im Innern der Häuser, so spricht sich auch im Äußern überall die Genügsamkeit und Sparsamkeit der Reutlinger aus.
Die Hauptstraßen sind: 1) die obere und untere Wilhelmsstraße, 2) die Metzger- und Kirchen-Gasse, 3) die Katharinen-Straße, 4) die Kanzleystraße. Die beyden ersten ziehen, jedoch nicht geradlinig, durch die ganze Stadt der Länge nach hin.
Der Marktplatz ist, seitdem die Metzig 1810 weggeräumt worden, nicht unansehnlich, aber größtentheils ungepflastert. Ein zweyter nicht unansehnlicher Platz ist der Kanzleyplatz, früher ein Kloster- und nachher der Schwörhof, der mit einer, nun abgebrochenen Mauer umgeben war.
Vergleichen wir das Gebäudekataster von Heilbronn, welche Stadt 2300 Einwohner weniger als Reutlingen hat, so finden wir, daß dort der Werth der Gebäude im Ganzen um 1.271.000 fl., und eines einzelnen Gebäudes um 860 fl. höher als in Reutlingen ist, und daß in Heilbronn auf 1 Menschen ein Gebäude-Vermögen von 382 fl., in Reutlingen von 152 fl. kommt. Das am höchsten angeschlagene Haus ist das der Wittwe Steck mit dem Kaufspreis von 8500 fl. Unter den öffentlichen Gebäuden sind zu bemerken:
Vier Kirchen, sämmtlich Stiftungs-Eigenthum der Stadt: [83] 1) Die Marienkirche, die Hauptkirche der Stadt. Sie ist ein sehr ansehnliches und das einzige merkwürdige Gebäude der Stadt, ganz von Quadern in gothischem Geschmack gebaut, mit vielen zum Theil freylich schweren Verzierungen. Das Schiff der Kirche ist 127½ Fuß lang, der Thurm soll 325 Fuß hoch seyn. Es wurde 70 Jahre lang an der Kirche gebaut; Veranlassung zu dem Bau gab eine Belagerung der Stadt im Jahre 1247 durch den Gegenkönig Heinrich Raspo, während welcher Zeit die Bürgerschaft der Mutter Gottes den Bau einer Kirche gelobte, wenn sie glücklich befreyt würde. Heinrich zog ab und ließ einen Sturmbock, wovon unten noch die Rede seyn wird, von 227½ Fuß Länge zurück; gerade so lang wurde jetzt das Schiff der neuen Kirche angelegt.
Bey dem großen Brande im Jahre 1726 brannte das Innere der Kirche ganz aus, der Thurm stand wie eine glühende Säule da, und das schöne Gebäude litt sehr Noth. [3]
2) Die Nikolaikirche. Sie ist nach der Marienkirche die größte und älteste der Stadt, und soll im Jahre 1300 von einem Grafen Albert von Achalm? erbaut worden seyn. Sie hat sich noch aus dem großen Brande gerettet; und es wurde alljährlich noch bis auf die neuesten Zeiten an dem sogenannten Brandfeste eine Gedächtniß-Predigt darin gehalten. In den letztern Jahren diente sie zum Magazin für die Nachbarn, seit 1823 ist sie zur katholischen Pfarrkirche eingerichtet.
3) Die Spitalkirche. Sie steht in Verbindung mit dem Spital am Marktplatz, und wurde im Jahre 1539 von der abgebrochenen Franziskaner-Klosterkirche gebaut.
4) St. Peters-, oder Waisenhaus-, auch Armenhauskirche. Sie steht außerhalb der Stadt auf dem Kirchhofe, und war ehemals Mutterkirche der Orte Degerschlacht [84] und Sickenhausen, bis diese 1679 durch Tausch davon getrennt und zu einer eigenen Pfarrey erhoben wurde. S. Omenhausen.
Das Rathhaus. Es ist ein nicht unansehnliches Gebäude, das aber in einer engen und abgelegenen Gasse versteckt liegt. Wie fast alle Gebäude wurde es erst nach dem großen Brande vom Jahr 1726 erbaut. Vorher stand das Rathhaus auf dem Marktplatze, brannte aber daselbst bis auf den untern Stock ab, welcher nachher mit einem bretternen Dache bedeckt wurde und bis 1810 zur Metzig diente. Dieses ältere Rathhaus war 1563 erbaut worden, auf den Grund einer Kirche, von welcher man bey Wegräumung der Metzig folgende Inschrift gefunden hat:
Hec Ecclesia Sanctorum Petri et Pauli Apostolorum inchoata fuit anno Domini MCCXLVI. II. nonas Martii. Deinde Anno III. consecrata dominica prima post festum Salvatoris Jesu Christi.
Die Kanzley, ein sehr großes Gebäude, worin die Kreisregierung und die Finanzkammer ihren Sitz und der Präsident und Direktor der Regierung ihre Wohnung haben. Es war ein Franziskaner Barfüßer Kloster, das in Folge der Reformation im Jahr 1535 von den Barfüßern gegen ein Leibgeding abgetreten wurde. Zu reichsstädtischen Zeiten diente es zur Wohnung für geistliche und weltliche Diener und zu andern öffentlichen Zwecken. Bey der Organisation im Jahre 1803 wurde das Eigenthumsrecht der Kammer zuerkannt, welche das Gebäude zur Wohnung des Oberamtmanns und des Steuer-Einnehmers bestimmte. Nachher wurde es zur Kaserne eingerichtet, 1811 aber vom Kriegs-Departement als entbehrlich an die Stadt verkauft: 1817 erbot sich die Stadt, es zu Kanzleyen und zur Wohnung des Regierungs-Präsidenten einzurichten, und 1823 ging das Eigenthumsrecht durch Vergleich an den Staat über.
Wann und von wem das Kloster gestiftet worden, ist unbekannt.
Die Klosterhöfe: 1) der Königsbronner. 2) der Zwifalter, 3) der Marchthaler, 4) der Bebenhäuserhof und 5) der [85] Nürtinger Spital-, ehemals Salmannsweiler-Hof. Diese Gebäude haben mit Ausnahme des letztern ihre ursprüngliche Bestimmung sämmtlich verloren. Der Königsbronnerhof dient jetzt zum Oberamtssitz, die andern sind in bürgerliches Eigenthum übergegangen. Mit diesen Höfen waren Besitzungen und Gefälle verbunden, wozu die Klöster auf verschiedenen Wegen kamen. Königsbronn z. B. kam dazu als Kirchenpatron, Bebenhausen durch den Pfalzgraf Rudolph v. Tübingen, der im Jahre 1247 sein Gut zu Reutlingen dem Kloster verkaufte, Zwifalten ohne Zweifel durch seine Stifter, die Grafen von Achalm, Marchthal wohl auch durch die Pfalzgrafen von Tübingen, und der Spital Nürtingen erkaufte seinen Besitz im Jahre 1738 von der Familie Forster, auf die er von dem Kloster Salmansweil gekommen war. Bey dem Oberamteygebäude befindet sich noch das Gehäuse einer kleinen Capelle, wie sie die Klöster hier bey ihren Höfen, womit sie einen kleinen Staat im Staate bildeten, hatten.
Die Zunfthäuser, deren 12 an der Zahl waren, gehörten den Zünften an, und waren bey der frühern Verfassung im Grunde eben so viele Rathhäuser. Jetzt haben sie mit jener aufgehört, und die Häuser sind meist theils verkauft, theils zu andern Zwecken benutzt, wie für die Schulen.
Andere bemerkenswerthe öffentliche Gebäude sind: der Spital und das Armenhaus etc., welche später noch vorkommen werden.

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