Heute ist es 100 Jahre her, dass das Büschelesbähnle zwischen Reutlingen und Eningen zum letzten Mal und die Reutlinger elektrische Straßenbahn, nun um die Strecke nach Betzingen erweitert, zum ersten Mal fuhr.
Die Straßenbahn wurde damals von der Württembergischen Eisenbahngesellschaft (WEG) betrieben. Die Fahrzeuge besaßen im Fensterbereich einen sehr hellen Anstrich, der sich leicht von dem etwas dunkleren Anstrich der unteren Fahrzeughälfte abhob. Insbesondere bei den Triebwagen wurden die Kanten durch dunkle Absetzlinien hervorgehoben. Alle Fahrzeuge besaßen an den Seitenwänden zwischen den Einstiegstüren dunkle Kontrastflächen, die schon in den 1920er Jahren auch für Werbezwecke herangezogen wurden.Leider gibt es aus dieser Zeit nur Schwarz-Weiß-Fotos. Und bei den nachträglich eingefärbten Ansichten gibt es sehr unterschiedliche Farbvariationen, die wohl der künstlerischen Freiheit der jeweiligen zeitgenössischen Koloristen geschuldet sind. War der Grundfarbton der Reutlinger Straßenbahn schon immer grün? Hierfür könnte die (bekannte) Farbgebung der kleinen elektrischen Straßenbahnlokomotive sprechen, die noch in den 1950er Jahren den Güterverkehr zwischen dem Reutlinger Südbahnhof und den Fabriken mit Gleisanschluss in Eningen und Pfullingen besorgte. Oder war der untere Farbton der Fahrzeuge beige mit roten Kontrastflächen, ähnlich den lange von der WEG für ihre Nebenbahn-Triebwagen verwendeten Farben? Diese Farbkombination tritt bei den nachkolorierten historischen Fotografien der Reutlinger Straßenbahn verstärkt auf.
Die fünf für die Eröffnung der elektrischen Straßenbahn beschafften Triebwagen fuhren zunächst mit den für den elektrischen Betrieb angepassten ehemaligen Personenwagen der Büschelesbahn. Erst mit der Eröffnung der ersten Teilstrecke der Linie nach Pfullingen im Jahre 1916 wurden neben drei weiteren Triebwagen der ursprünglichen Bauart zusätzliche Beiwagen beschafft, die in ihrer Form den Triebwagen entsprachen.
Mit der Eröffnung der Linie nach Altenburg 1928 wurde dann das bis zum Ende des Straßenbahnbetriebs im Jahre 1974 gültige Farbschema eingeführt, in dem fortan sowohl die bisherigen als auch zusätzliche neue Fahrzeuge die nun vorhandenen Linien "Eningen-Reutlingen-Betzingen", "Reutlingen-Pfullingen" und "Reutlingen-Altenburg" befuhren.
1957 wurden dann die ersten Stahlwagen der ebenfalls in Stuttgart eingesetzten T2 beschafft. Diese wurden von der Maschinenfabrik Esslingen kommend auf Normalspur-Güterwagen im Reutlinger Südbahnhof angeliefert, von wo sie zusammen mit dem Transportwagen von der Güterlok auf Rollböcken in den Betriebshof Eningen befördert und dort abgeladen wurden.
Mit der letzten Erweiterung des Reutlinger Straßenbahnnetzes um die Linie nach Orschel-Hagen erhielt Reutlingen mit den drei GT4 die einzigen 4-achsigen Triebwagen, die ebenfalls nach Stuttgarter Vorbild bei der Maschinenfabrik Esslingen entstanden.
Zuletzt kamen dann 1967 und 1969 noch zwei gebrauchte Triebwagen der Stuttgarter Straßenbahn hinzu. Bis zur Stilllegung im Jahre 1974 waren Fahrzeuge aller Bauarten bei der Reutlinger Straßenbahn im Einsatz.
Der bei den Reutlinger Stadtwerken am ehemaligen Gaswerk aufgestellte Museumszug besteht aus dem Triebwagen 27, der zwar die bei der Eröffnung vor 100 Jahren eingesetzte Bauart repräsentiert, aber selbst erst 1916 beschafft wurde, dem bis zuletzt im Fahrgastverkehr eingesetzten Beiwagen 76 und dem noch von der Büschelesbahn stammenden Wagen 2, der bei der Reutlinger Straßenbahn zuletzt als Salzwagen verwendet wurde.
Die nachfolgenden Forografien zeigen den Triebwagen 27 in seiner letzten Funktion als Turmtriebwagen, aufgenommen am 18. April 1974 (erstes Foto) und am 26. August 1974 (die letzen beiden Fotos) im Betriebshof Eningen.
Die inhaltlichen Informationen habe ich weitgehend dem Straßenbahnbuch von Wolf Rüdiger Gassmann und Claude Jeanmaire entnommen. Die Zeichnungen wurden von mir im Maßstab "1 Pixel = 10 cm in der Realität" für die Verwendung in einem Eisenbahn-Programm gezeichnet. Ich bitte daher die in der Vergrößerung sichtbare etwas grobe Rasterung zu entschuldigen.
Bildertanz-Quelle: Hans-Martin Hebsaker, München
3 Kommentare:
Nach neuesten Informationen von Bernhard Madel, die sich mit der Veröffentlichung dieses Beitrags "überkreuzt" haben, waren die Farben der Reutlinger Straßenbahn auch in den ersten Betriebsjahren von 1912 bis 1928 unterschiedliche Grüntöne, womit die beige-rote Farbvariante in der obigen Auflistung ausgeschlossen werden kann.
Herzlichen Dank, Bernhard, für diese wirklich überaus wichtige Information.
Lieber Martin, vielen Dank, dass Du uns alle mit dieser Dokumentation überraschst. Es ist schön zu sehen, wie viel Anteil die Welt an unserer Straßenbahn nimmt.
Vielen Dank für diesen Beitrag.
p.e.
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