Sonntag, 30. Dezember 2012

Bildertanz - ein Blick zurück nach vorn (1)

2013 wird die Idee des Bildertanzes zehn Jahre alt. Grund genug, zur Jahreswende einmal zurückzublicken / Von Raimund Vollmer 

 Am Anfang war Altenburg (TEIL 1)

1918: "Die Welt ist alles, was der Fall ist." 
Ludwig Wittgenstein, Philosoph


Es war ein trüber Herbstabend im Jahr 2003. Ich saß bei meinem Freund Vittorio Albano im Musikkeller und lauschte seinem melancholischem Klavierspiel. Musik und Wetter passten zu unserer Stimmung. Draußen war es nass, kalt und dunkel. Es war November, ein "trauriger Monat" (Heinrich Heine). In dem warmen Keller waren wir beide wenigstens sicher - vor Unheil oder - was noch schlimmer war - davor, dass irgendeine verrückte Idee vom Himmel auf uns herabstürzen würde. Denn nichts fürchteten wir beide mehr als das. 
Altenburg, Unger Halde: Durch dieses Dach fiel im Herbst 2003 die Idee des Bildertanzes (Aufnahme vom 5.1.2004. RV)

Vittorio hatte versucht, mir das Klavierspielen beizubringen, aber seine Geduld war größer als meine. Trotzdem trafen wir uns immer noch, tranken in seinem Musikkeller in Altenburgs Unger Halde ein Bier zusammen, plauderten, stritten manchmal, diskutierten - oder Vittorio spielte mir etwas vor. Ich liebte seine Musik, alles Eigenkompositionen, die er für seine Schüler gemacht hatte. Inspirieren ließ er sich dabei von den Namen seiner Schüler. Aus den Buchstaben filterte er jene heraus, die es auch in der Tonleiter gab, und komponierte dann daraus Melodien für Klavier und Keyboard. Aus diesen Stücken hatten wir 1999 gemeinsam ein Musical für Schulen entwickelt, eine verrückte Idee, aus der das am meisten nichtaufgeführte Musicals der Welt wurde. Ein Flop. 

Nein, mit verrückten Ideen wollten wir beide nichts mehr zu tun haben. Da übernimmt man sich so leicht und blamiert sich noch obendrein. Andererseits war ein Leben ohne Ideen, ohne Phantasien auch nichts. Ganz ehrlich: Die Arbeit hatte ja auch Spaß gemacht. Ein Lied hieß zum Beispiel "Nikolaus im Cola-Rausch" und erzählte von Weihnachten in der Südsee. Ohne Schnee. Ohne Tannenbaum. Nur Hitze und Sonne. Fürchterlich. Da war jedes Novemberwetter besser. 


Musiklehrer und Komponist in Altenburg: Vittorio Albano. In seinen Musikkeller stürzte die Idee des Bildertanzes

Phantasie ist eben etwas, das vom Himmel herabfällt. Du kannst dich nicht dagegen wehren. Dies wusste schon lange vor uns ein anderer Italiener: Alighieri Dante (1265-1321) in seiner "Göttlichen Komödie". Seltsamerweise hatten wir sogar in einem der Lieder unseres Musical, das übrigens ganz einfach "Q" hieß, diese Dante-Vorstellung zitiert. 
Aber für unser Musical interessierte sich niemand. Dabei hatten wir so viel Liebe, so viel Mühe hineingesteckt. Und Hoffnungen. Einem Freund hatte ich von unserer Musical erzählt, als er mich Jahre später danach fragte, was daraus geworden ist, bin ich knallrot geworden. Ich schämte mich.
Natürlich tun Ablehnungen weh. Wie sehr, das sollte ich in den kommenden Jahren häufiger zu spüren bekommen. Als Journalist, der in der Computerbranche lebte, hatte ich zuvor auch schon manche Niederlage zu verkraften gehabt, aber das war professionell, da warst du gefühlsmäßig nicht so stark involviert. Daumen rauf, Daumen runter - das gehörte zum Job. 

Doch mit dem Musical war das etwas ganz, ganz anderes. Und mit dem Bildertanz war es erst recht so. Da fühltest du dich jeder Niederlage hilflos ausgeliefert. Da verlorst du sehr leicht den Mut oder die Courage. Und einmal, zweimal wurde mir der Boden regelrecht unter den Füßen weggezogen. Vittorio blieb das erspart. Er wollte nach der Weltpremiere nichts mehr mit dem Bildertanz zu tun haben. Er ist klüger als ich.
Wenn du dich dann trotzdem wieder aufrichtest, dich wie ein begossener Pudel schüttelst und es noch einmal versuchst, dann könntest du anfangen, dich selbst zu bewundern. Aber du tust es nicht. Du schaffst es einfach nicht. Du merkst stattdessen, wie verletzt du in Wirklichkeit warst (und wohl auch bleibst). Heute weiß ich nur zu genau: Mit dem Erfolg kommen die Demütigungen. Sie kommen mit einer Wucht und Gewalt, dass sie dir den Schlaf rauben und du keine Chance hast, übermütig zu werden.
Auf jeden Fall (und es war ein Fall ganz im Sinne von Ludwig Wittgenstein) stürzte an diesem November-Abend die Idee des Bildertanzes vom Himmel herab. Sie war noch ungenau, sie hieß auch noch nicht so, aber der Grundgedanke war da. Wir wollten eine Multimedia-Show machen mit Bildern von Menschen aus unserem Dorf.
Stopp! Ich sollte bei der Wahrheit bleiben. Eigentlich war die Idee nicht für Altenburg geplant, sondern für einen ganz anderen Ort am Neckar, einem Dorf im Kreis Ludwigsburg.
Dort wohnte ein reicher Mann, der nach einer Idee suchte, mit der man Wähler gewinnen kann. Denn 2004 standen in Baden-Württemberg Kommunalwahlen an. Und dieser reiche Herr hatte mich gefragt, ob ich für ihn und seine Ratskollegen nicht eine Kampagne entwerfen könne, mit der er die Herzen der Menschen gewänne. Ich schlug ihm nun die Idee des Bildertanzes vor. Er war begeistert. Aber vorher müsse er den Parteivorsitzenden fragen, sagte er. Der war alles andere als begeistert. Er lehnte den Vorschlag ab. Ihm war die Idee zu verrückt. Später gestand er ein, dass sein Nein ein großer Fehler gewesen war. Ich hatte ihn zu der Welturaufführung nach Altenburg eingeladen. Er hatte sie miterlebt.
Also, wir hatten schon wieder eine Ablehnung. Doch diesmal wollte ich nicht klein beigeben. "Dann machen wir das eben alleine", meinte ich bei einer Kellersitzung. Und Vittorio war verrückt genug, mir nicht zu widersprechen. Ich glaube, ihn reizte es genauso wie mich.
So begannen Vittorio und ich damit, die Bildertanz-Idee in die Welt zu setzen. Es war die Welt von Altenburg. Frei nach Frank Sinatras "New York, New York" waren wir der Meinung, dass wir, wenn wir es hier in Altenburg schaffen, überall schaffen würden. In ganz Reutlingen, in der ganzen Region. Wir mussten einfach nur anfangen. Was aber war denn genau die Idee?
Sie war einfach: Wir wollten alle Altenburger fotografieren. Die Digitalkameras, die damals zu erschwinglichen Preisen in Mode kamen, machten es möglich. Dann wollten wir aus den Fotos einen Dorfabend machen. In der Turn- und Festhalle. Es sollte an diesem Abend unsere Halle für alle werden. Für alle Generationen. Für alle Altenburger. Eine Multimedia-Show durch unser Dorf und dessen Geschichte, unterlegt mit der Musik von Vittorio, mit seinen Kompositionen. So etwas - da waren wir beide uns sicher - hatte es noch nie gegeben. Weder in Altenburg, noch weltweit. 


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