Dienstag, 1. Januar 2013

Bildertanz - ein Blick zurück nach vorn (3)


2013 wird die Idee des Bildertanzes zehn Jahre alt. Grund genug, zur Jahreswende einmal zurückzublicken / Von Raimund Vollmer 

 Am Anfang war Altenburg (TEIL III)

 »Die Phantasie ist ein Platz, in den es hineinregnet.«

Italo Galvino. italienischer Schriftsteller 

Im Frühjahr 2004 bekam ich einen Anruf von einer Mutter, deren Töchter in den evangelischen Kindergarten gingen. Dort habe sie von unserer Idee gehört. Sie erklärte, dass sie gerne mitmachen wolle beim Bildertanz. Das Projekt würde ihr gefallen. Ich war natürlich hocherfreut. Und dann meinte sie, wir könnten uns doch duzen. Sofort ging ich auf Distanz. Ich kannte die Frau überhaupt nicht, sie mich eigentlich auch nicht. Duzerei war mir - ehrlich gesagt - ein Greuel. Ich lehnte erst einmal ab. Das könnten wir doch bei einem persönlichen Treffen vereinbaren, flüchtete ich in eine Ausrede. Soviel spontane Nähe war mir unheimlich. Kurzum: Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wie es in einem Dorf zuging. 

Damals war ich noch so gefangen im Etepetete der Geschäftswelt, dass mir das Du nur sehr schwer über die Lippen ging. Sehr viel später merkte ich, um wie viel einfacher, freundlicher und schöner die Welt wird, wenn man Menschen um sich herum hat, mit denen man auf Du-und-Du steht. Überhaupt hat der Bildertanz mein Verhältnis zu Menschen dramatisch verändert. Der Bildertanz lebt so stark von Zuneigung und Vertrauen, dass ich es inzwischen als unerträglich empfinde, wenn ich Menschen siezen soll, die mir ganz einfach sympathisch sind und die mich vorbehaltlos unterstützen. Eine Zeitlang war ich - als Reingeschmeckter - sogar ein wenig neidisch auf all die Menschen, die sich ein Leben lang kannten und soviel gemeinsame Geschichte hatten. Ich hatte - wie viele Familienväter auch - meinen Bekanntenkreis rund um meine Familie, Kindergarten, Schule und meine unmittelbaren Nachbarn herum aufgebaut. Identifikation mit dem Ort, mit den Menschen im Dorf, mit Festen außerhalb von Kindergarten und Schule hatte ich keine. Da ich der katholischen Kirche angehöre, sah ich mich auch nicht an die protestantische Kirchengemeinde gebunden. Für mich war Altenburg einfach nur ein Wohnort. Mein Geld verdiente ich mit Kunden, die weder in Altenburg noch in Reutlingen ihren Sitz hatten. Ich hatte zwar hier mein Büro, aber das war es auch schon. Die Leute, mit denen wir befreundet waren, hatten wir durch unsere Kinder kennengelernt. 
Mit dem Bildertanz sollte sich dies alles radikal ändern. Plötzlich interessierte ich mich für die Menschen hier, ihre Geschichten und Geschichte. Aber ich erinnere mich sehr genau an die Zeit, in der mir das alles egal gewesen ist. Und ich habe großes Verständnis für alle Leute, denen das Dorfleben letztlich gleichgültig ist. Denn ich weiß: ich war kein bißchen anders.
Die Mutter, die mich damals anrief, war ebenfalls eine Reingeschmeckte. Sie kam nicht aus Altenburg, aber sie lebte mitten im Dorf und war mit einem echten Altenburger verheiratet. Sie hieß Tanja Wack. Sie wurde die Dritte im Bunde, sie war unser "Organisationskomitee". Ihre zupackende Art trug entscheidend dazu bei, dass wir den Dorfabend im November 2004 tatsächlich auf und über die Bühne brachten. 
Tanja Wack mit Mathias und Töchter, 2004

Wir waren nicht viele, die damals eine Digitalkamera hatten. Aber die, die eine hatten, machten mit. Da war Hermann Kurtz, da kam Achim Schäfer dazu, Vittorio entdeckte Willy Kappel, ein Multitalent. Willy ist leider 2012 völlig überraschend verstorben. Und da war plötzlich auch ein leibhaftiger Oberstudienrat namens Jürgen Reich, der heute Vorsitzender des Altenburger Geschichts- und Heimatvereins ist, des einzigen Geschichtsvereins in einem Reutlinger Teilort. Übrigens ist der AGHV ein Kind des Bildertanzes. Doch davon später mehr. Auch über Jürgen, der bis heute die Fahne des Bildertanzes nicht nur in Altenburg hochhält. 
 

Landwirt Josef Walz war einer der ersten, der sich für den Bildertanz fotografieren ließ und uns auch die ersten Bilder aus seinem Privatbesitz gab.
An mehreren Wochenende trafen wir uns und pilgerten durch die Straßen von Altenburg, klingelten an den Haustüren und fragten, ob wir die Bewohner fotografieren dürften. Selten wurden wir abgewiesen. Auf Menschen zuzugehen, war für mich zwar auch nicht gerade Alltagsgeschäft, aber ich war durch meinen Beruf darauf besser vorbereitet als meine Mitstreiter. Ich kannte auch diese "Schwellenangst" und habe meine Freunde bewundert, wie sie - ohne irgendeine Erfahrung - ihre Hemmungen überwanden und Klinken putzten. 



Immer mehr Bilder kamen zusammen, am Ende waren wir das meist fotografierte Dorf der Welt: 10.000 Bilder hatten wir gesammelt. "Der BILDERTANZ ist ein Projekt von Altenburgern für Altenburger", erklärten wir den Leuten. Viele waren natürlich auch skeptisch und hielten sich zurück. Später erfuhr ich, dass sie vor allem befürchteten, dass ich die Bilder nur sammeln würde, um damit ein Geld zu machen. Schade, dass mir keiner verriet, wie ich dies hätte anstellen können.
Gerhard Fingerle
Ein besonderer Glücksfall war es, dass es zwischen 1925 und 1951 in Altenburg einen Lehrer namens Friedrich Fingerle gegeben hatte. Er besaß einen Fotoapparat, und den benutzte er ausgiebig. Sein Sohn Gerhard stellte uns die Alben zur Verfügung. So hatten wir einen Fundus an Bildern, um den uns bis heute die Nachbarorte beneiden. Und Gerhard Fingerle kennt auch noch die Hintergründe zu vielen Fotos. 
Bürgermeister Rolf Nedele
Altenburgs Bürgermeister war zu jener Zeit Rolf Nedele. Wir brauchten seine Hilfe - aus drei Gründen: Erstens war er der Hüter unseres "Gemeindeboten", des Dorfblättchens, in dem wir für unsere Idee und unsere Veranstaltung Werbung machen wollten. Zweitens war er der Mann, der uns die Tür zur Festhalle öffnen konnte, in der wir den Bildertanz aufführen wollten. Drittens wollten wir ihn natürlich auch als Redner gewinnen, als obersten Repräsentanten unseres Dorfes. Und er half uns, wo er nur konnte. Ja, er übergab uns sogar einen Satz wunderbarer Dias aus der Nachkriegszeit. 


Ein Freund von mir, er wohnt in Ulm, besaß einen Plotter, also einen Drucker für besonders große Abbildungen. Ihn fragte ich, ob er uns Plakate drucken könne. Er tat dies. Unentgeltlich. (Dabei kostete dies allein an Material 60 Euro. Pro Plakat. Damals.)
So konnten wir in den lokalen Medien auf unsere Aktionen hinweisen.

Wir nahmen zudem Kontakt mit der Presseabteilung der Stadt Reutlingen auf. Wir wollten die Stadtverwaltung ja ebenfalls auf unserer Seite haben. Man signalisierte uns, dass man dort dem Projekt wohlwollend gegenüber stünde, und wir präsentierten dann wiederholt den Fortschritt unserer Arbeiten. Natürlich hatten wir im Hinterkopf, dass die neue Chefin der Stadt, Oberbürgermeisterin Barbara Bosch, zu unserer Welturaufführung nach Altenburg kommen würde. Um sie dafür zu gewinnen, baten wir bei der "Presse" um einen Termin, bei der wir ihr auch unsere Idee und deren Verwirklichung präsentieren wollten. Doch dies wurde über Dritte mit der Aussage abgelehnt, dass Frau Bosch schon genügend Multimediashows in ihrem Leben gesehen habe. 
Vittorio & Barbara: Bei einer Jubiläumsveranstaltung des Ausländerbeirats der Stadt Reutlingen im Mai 2004 im Spitalhof, bei der Vittorio Albano aufspielte. 
 

Ich war damals sehr verwundert (und auch verstimmt). Meinen Freunden ging es ähnlich. Dabei war es doch ganz einfach naiv von uns zu glauben, dass nur deshalb, weil etwas eine Welturaufführung sein würde, dies auch wirklich schon als bedeutend angesehen wurde. Wir waren ein Nichts, ein Niemand. Reutlingen interessierte sich ganz einfach nicht sonderlich für uns. Wahrscheinlich hatte ich das Ganze auch falsch aufgezogen, ich war von dieser - ein wenig schnodderig vorgebrachten Ablehnung - eingeschüchtert. 
Der Bau eines Hühnerhofs an der Gemarkungsgrenze zu Altenburg erhitzte 2004 die Gemüter

Hinzu kam, dass justament die Bezirksgemeinde Altenburg wegen des Baus eines Hühnerhofes am Rande der Gemarkungsgrenze von Sickenhausen mit unserem Nachbardorf hoffnungslos zerstritten war. Und auf Reutlingen war man ebenfalls stinksauer. Unsere OB, die gerade erst im Amt war, musste wohl befürchten, dass sie in Altenburg auf ein hochemotionales Thema angesprochen worden wäre, ein Thema, das sie selbst gar nicht angestoßen hatte, noch aus der Zeit ihres Vorgängers stammte. Nebenbei: Der Name "Chickenhausen", der sehr bald die Runde machte, ist eine Bildertanz-Schöpfung. Erfunden hatte ich ihn bei einem Stammtisch in Sickenhausen, zu dem Stadtrat und Landtagsabgeordneter Hagen Kluck in den Gasthof Adler eingeladen hatte. Ich ahnte damals nicht, dass Vater und Sohn Zeeb, die beiden Hühnerfarmer, ebenfalls am Tisch saßen. Ich hatte den Namen "Chickenhausen" auf einem Zettel notiert und Hagen Kluck - wie in der Schule - zusammengefaltet hinübergeschoben. Er las die Botschaft und lachte. Bald machte der Zettel die Runde. Und die Zeebs nahmen es mit Humor - ein Element, das in dem damaligen Kampf um die Eier fehlte. Da war nur noch Gift. Die Stimmung war so aufgeladen, dass es vielleicht ganz gut war, wenn die OB nicht kam. Dann wäre aus dem Bildertanz-Abend eine Politveranstaltung geworden.

Egal, wir hatten es auf jeden Fall versucht. Und zur Welturaufführung im November 2012 kam dann ein anderer "Neuling": Verwaltungsbürgermeister Robert Hahn. Allerdings unsere Bitte, ein paar Begrüßungsworte an das Publikum zu richten, lehnte er ab. Er sei heute privat hier. 
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