Montag, 8. April 2013

1929: Das Schulwesen der Stadt Reutlingen

Die Pomologie 1909 
Bildertanz-Quelle: Sammlung Fritz Haux


Bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein war nach Ostern der Beginn des neuen Schuljahres. Grund genug sich einmal die Entwicklung der Schulen in Reutlingen anzuschauen. Aus der Sicht des Jahres 1929.

Von Schulamtmann Kissling
»In Reutlingen, der gewerbsamen Freien Reichsstadt, der Stadt der Gerber und Färber, war die Bürgerschaft schon im frühen Mittelalter darauf angewiesen, mit der engeren und weiteren Nachbarschaft in Verkehr zu treten, namentlich nach Frankfurt a.M., nach der Schweiz, Italien und Frankreich reichten damals schon die Handelsbeziehungen und deshalb waren sie auch schon zu jener Zeit darauf bedacht, neben einer tüchtigen Fachausbildung eine gediegene Allgemeinbildung sich anzueignen.
Latein, welches damals die Sprache der oberen Stände bildete, war deshalb auch für die hiesige Bürgerschaft ein Bedürfnis und so finden wir schon im Jahre 1273 die Anwesenheit eines lateinischen Schulmeisters, eines Scolaris, hier bezeugt. Aber auch das deutsche Schulwesen wurde trotz der spärlichen Mittel, welche dem kjleinen Gemeinwesen zur Verfügung standen, nicht vernachlässigt, denn kurz nach der in Württemberg im Jahre 1559 in Leben gerufenen Volksschulordnung finden wir auch hier eine Schulordnung vom Jahre 1565 und ein Scholarchal "Kollegium". Sehr gefördert wurde das hiesige Bildungsbedürfnis durch das gute Beispiel, die Herzoge Eberhard im Bart und Christof von Württemberg gaben. Den eigentlichen Aufstieg zur Schulstadt, wie sich Reutlingen gern bezeichnet, bekam sie aber erst nach ihrer Einverleibung in Württemberg, denn nun fielen die lästigen Zollschranken und nun konnte die fleißige und sparsame Bürgerschaft, die sich vorher nur eines bescheidenen Wohlstandes erfreute, ihre Tatkraft voll entfalten und sich von der Handwerkerschaft in einer der größten Industriestädte des Landes umstellen. Mit dem Wachsen des Wohlstandes und steigen der Steuerkraft stieg auch das Bedürfnis für Hebung des Schulwesen und so wurde schon im Jahre 1886 das frühere Lyzeum in ein Gymnasium, jetzt Gymnasium mit neun Klassen und angegliedertem Realgymnasium mit vier Klassen und 17 Lehrern umgewandelt. Eine Oberrealschule mit neuen Klassen und 25 Lehrern entstand aus der im Jahre 1810 gegründeten Realschule. Im Jahre 1842 wurde eine private Töchterschule gegründet, welche im Jahre 1859 von der Stadt übernommen wurde und heute als eine 7-klassige Mädchenrealschule mit aufgebauten Frauenschulklasse weitergeführt wird. 
Auch das gewerbliche Fachbildungswesen wurde hier nicht vernachlässigt, im Jahre 1856 wurde die in der ganze Welt bekannte Webschule, jetzt Technikum für Textilindustrie, im Jahre 1859 das leider jetzt eingegangene pomologische Institut, im Jahre 1868 die lange Zeit eine führende Stelle in der Ausbildung von Arbeitslehrerinnen einnehmende Frauenarbeitsschule gegründet. Durch die Errichtung von Frauenarbeitsschulen in fast allen größeren Gemeinden ist der Besuch dieser Schule etwas zurückgegangen, sie ist aber auch heute noch auf der Höhe und hat stattliche Schülerinnenzahl und zehn Lehrerinnen. 
Seit dem Jahre 1920 ist auch eine Koch- und Haushaltungsschule in dem Frauenschulgebäude eingerichtet, welche sich steigender Beliebtheit erfreut. Aber auch das sonstige Fachbildungswesen erfreute sich fortwährender Fürsorge der Stadtverwaltung. 
Im Jahre 1854 wurde hier eine gewerbliche und kaufmännische Fortbildungsschule ins Leben gerufen, welche nun in Folge des Gesetzes vom 22. Juli 1906 seit 1909 in eine Gewerbeschule mit 15 Lehrern und eine Handelsschule seit 1926 mit angegliederter Höherer Handelsschule und 12 Lehrern umgewandelt ist.
Volksschulkomplexe sind hier 7, eine Mädchenmittelschule, eine Jos.-Weiß-Schule, eine Gartentorschule, eine Hermann-Kurz-Schule, eine Hilfsschule, eine Betzinger Volksschule und eine katholische Volksschule mit zusammen 83 Lehrkräften vorhanden.
Die Volksschule ist eine Haushaltungsschule, in welcher den schulentlassenen Mädchen in zweijährigen Lehrgängen von drei Lehrerinnen theoretische und praktische hauswirtschaftliche Kenntnisse beigebracht werden, angegliedert. Ferner unterhält die Gustav-Werner-Stiftung eine Volksschule mit zwei Lehrern und für die Lehrlinge ihrer Fabriken eine Fortbildungsschule, auch besteht seit 1852 eine Privat-Handelsschule zu fachmännischer Ausbildung junger Handlungsbeflissener. 
Eine landwirtschaftliche Winterschule wurde im Jahre 1871 errichtetund wird heute von dem bäuerlichen Nachwuchs der Umgegend gerne besucht. Auch die früher in Rottweil befindliche Bauhandwerkerschule wurde im Jahre 1921 hierher verlegt, so dass nun so ziemlich sämtliche Schulgattungen hier vertreten sind. Von denselben kann erfreulicher Weise gesagt werden, dass sie sich in fortschreitender Entwicklung befinden.«

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