Als jetzt der Stuttgarter Verfassungsrechtler Christofer Lenz sein Gutachten zum Reutlinger Auskreisungsbegehren vorlegte, hat er
- so das Zitat im Reutlinger General-Anzeiger und in der Südwestpresse - die Stadt
einen "rechtlichen Habenichts" genannt. Denkt man diesen Ansatz zu
Ende, dann muss man sich fragen, auf welcher verfassungsrechtlichen Grundlage
die kommunale Gebiets- und Verwaltungsreform der siebziger Jahre stattgefunden
hat?
Das Denkmodell des Gutachtens, das der Landkreis unter der
Führung des Landrats Thomas Reumann beim Professor aus Stuttgart in Auftrag
gegeben hat, basiert auf der Annahme, dass das grundgesetzlich garantierte Recht
auf Selbstverwaltung kein "Angriffsmittel" sei, man könne daraus
"kein Recht auf mehr" ableiten.
Mein lieber Herr Professor! Was war dann die kommunale
Gebiets- und Verwaltungsreform? Das war ein Angriffsmittel par excellence auf
die Existenz von Tausenden von Kommunen in Deutschland. Zu diesem
Angriffsmittel gehörte sogar als ultima ratio die Zwangseingemeindung, die sich dabei über plebiszitäre Voten hinwegsetze. "Aus den Gemeinden Pliezhausen
und Rübgarten wird die neue Gemeinde Pliezhausen gebildet", heißt es zum
Beispiel lapidar in dem Abschlussgesetz 1976 in Baden-Württemberg. Dass dem ein massiver Widerstand
der Gemeinde Rübgarten vorausging, ist übrigens im sonst so allwissenden Internet
nicht recherchierbar. "Rechtliche Habenichtse" waren damals die
Gemeinden, die eingemeindet werden sollten. Die Demütigungen sind noch längst
nicht überwunden. Fragt nach in Rommelsbach, das sich mit aller Macht gegen die
Eingemeindung wehrte und dessen Bürgermeister stolz sich weigerte, selbst seine
Unterschrift unter den Vertrag zu setzen. Das überließ er seinem
Stellvertreter.
Wie erbärmlich war das in einem Land, das seine Existenz 1952 einer plebiszitären Entscheidung zu verdanken hat, die es sich sogar in den siebziger Jahren nochmals vom Bürger hat bestätigen lassen!
Lieber Herr Professor, wenn Sie da nicht alte Wunden
aufreißen?
Aber auch aus erweiterter historischer Sicht betrachtet ist
dieses Gutachten in seiner Inszenierung nichts anderes als der plumpe Versuch, die
Gegenseite zu demütigen.
Die Stadt Reutlingen hat ihren Status dem Staufer-Kaiser Friedrich
II. zu verdanken. So erzählen es uns mehr oder minder direkt die Geschichtsbücher,
auch wenn da die Urkundenlage nicht vollends befriedigt. Tatsache ist, dass
der Kaiser, der aus Sizilien stammte und wahrscheinlich kein Wort Deutsch
beherrschte, damals die Städte brauchte,
um ein Gegengewicht zu den Herzögen zu haben. Denn deren Macht, so bekamen es
auch die Nachfolger zu spüren, war weitaus größer als zum Beispiel in
Frankreich. Sie waren es, die die Lehen vergaben, über die Grafschaften
herrschten, die indes selbst keine Lehen vergeben durften.
Reichsstädte wie Reutlingen waren - wie der Begriff sagt -
reichsunmittelbar. Sie standen in der Nomenklatur des Mittelalters über der
Grafschaft, die - man möchte sie vergleichen mit einer Kreisverwaltung - nicht
direkt dem Kaiser oder König unterstanden, sondern dem Herzog. Sie waren
mediatisiert, Reichsstädte hingegen waren frei. Der Herzog, mochte er noch so
mächtig sein, hatte hier nichts zu sagen.
Aus der Geschichte der Stadt wissen wir, dass dies zumindest
Herzog Ulrich vor bald 500 Jahren nicht daran gehindert hat, sehr aggressiv seine
Hand nach dieser Stadt auszustrecken und sie zu besetzen.
Es war ein nicht ganz
fairer Deal im Umfeld der napoleonischen Kriege, der Reutlingen 1802 den Status
der freien Reichsstadt wegnahm und nach Württemberg eingliederte. Das wurde 1806,
also vor 210 Jahren, Königreich, und Reutlingen war nur noch Oberamt - eine schwere Schmach für diese stolze Stadt.
Sie war württembergisch geworden - in den Worten des Herrn Professors war sie "ein
rechtlicher Habenichts".
Wie tief dieser Fall ist, mag man ermessen, dass in der
Nomenklatur des Mittelalters dem Begriff Staat etwa das Wort Land entsprach. Das
Reich war der Verbund vieler "Länder", vieler Staaten. Die historische
Bedeutung des Wortes "Land" schimmert wohl auch durch, wenn der Chef
einer Kreisverwaltung Landrat genannt wird und seine Behörde - in
Baden-Württemberg zumindest - Landratsamt. Auch die Tatsache, dass dieser
Landrat hierzulande nicht direkt gewählt wird, sondern vom Kreistag bestimmt wird, macht ihn
mehr zu einem Staatsmeister als zu einem Bürgermeister. Der Landrat ist
institutionell viel stärker obrigkeitlich eingebunden als zum Beispiel die
Position des Oberbürgermeisters, dessen Herrschaft auf der unmittelbaren Zustimmung durch die
Beherrschten basiert. Der Oberbürgermeister operiert mit weitaus mehr natürlicher
Autorität als der Landrat, der seine Stellung eher einer rein formalen
Autorität zu verdanken hat.
Vor diesem Hintergrund mutet die Inszenierung des Gutachtens
schon seltsam an.
"Rechtliche Habenichtse" ist eine
ziemlich vernichtende Aussage. Sie stammt nicht von Thomas Reumann, dem
Landrat. Es ist die Aussage eines Professors, eines Gutachters.
Der darf das sagen, weil er nicht das Sagen hat.
Der darf das sagen, weil er nicht das Sagen hat.
Übrigens: Reutlingen hat den Antrag auf Ausgliederung
gestellt. Auf der Basis eines Beschlusses seines Gemeinderates. Mehr nicht. Sie hat nicht verlangt, dass Land und Kreis einen Vertrag
unterschreiben, der die Ausgliederung regelt. Das gehört zum weiteren
Prozedere. So war es bei den Eingemeindungen und Neuregelungen während der
Gebiets- und Verwaltungsreform auch.Zuerst kam die Entscheidung der Gemeinde und dann begannen die Verhandlungen. Am Ende stand ein Vertrag.
Ziel der Inszenierung dieses Gutachtens war es einzig und
allein, die Stadt zu demütigen. Aber das reicht nicht, das schafft nur böses Blut. Und souverän ist etwas anderes.
Raimund Vollmer
1 Kommentar:
Wenn Reutlingen das Landvolk nicht nötig hat-
auf nach Metzingen!
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