Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer
Wenn das unsere Stadträte läsen, was heute in der FAZ steht, dann würden sie
vielleicht über manche Entscheidung in den letzten Jahren noch einmal
nachdenken und vielleicht sogar über sich selbst den Kopf schütteln. Aber selbst wenn
sie es lesen würden, würden sie hoffen, dass es sonst keiner liest. Denn
irgendwie müsste es sie peinlich berühren. Mit Blick auf das, was kommt und für das sie im Ansehen der Bürger stehen...
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die mit ihrem
Wirtschaftsteil fest auf dem Boden der Marktwirtschaft steht,
veröffentlicht heute in ihrem nicht minder charakterfesten Feuilleton eine ziemlich scharf formulierte
Kritik an der Stadtplanung - und nimmt als Beispiel die Stadt Frankfurt, die
sich völlig dem Diktat des Marktes hingegeben hat. Aber es hätte auch fast jede
andere Stadt sein können. Denn an Frankfurt zeigt sich, "wie das
Zivilisationsmodell Stadt versenkt wird", heißt es im Vorspann des
Artikels von Niklas Maak.sein (Im Internet ist
der Artikel nur kostenpflichtig zu lesen.)
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Das Beispiel: Frankfurt. Die Unstadt
Das Beispiel: Frankfurt. Die Unstadt
Hoch hinaus...
Alles nur Fassade, die aussehen wie "überdimensionierte Abluftgitter" (Maak)
Auch Rundungen durchbrechen die Eintönigkeit kaum...
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Der Autor, der Kunstgeschichte und Architektur studiert hat,
meint mit Blick auf Frankfurt (und man denkt zugleich an das Reutlingen der
Zukunft): "Das, was die alte europäische Stadt ausmacht, kann sich so gut
wie keine der Bevölkerungsgruppen, die das Leben in ihr einst prägte, mehr
leisten."
Noch scheint es in Reutlingen nicht so weit zu sein. Wer
sich aber bei jungen Leuten umhört, die eine Familie gründen wollen, die
vielleicht sogar die Stadtnähe suchen, wird feststellen, dass inzwischen die
Mietpreise inklusive der Nebenkosten nur noch durch Doppelverdienen zu bezahlen
sind - und das Urlaubsbudget Richtung Tagesausflüge schrumpfen lässt.
Aber im Unterschied zu anderen Städten (wie zum Beispiel
Stuttgart) geht's uns ja noch gut, möchte man sagen. Deshalb vergleicht sich
Reutlingen gerne mit jemandem, der wie Frankfurt an der Spitze der Wohnpreise
liegt. Aber es muss nicht einmal Frankfurt sein: Im Vergleich zu dem nahen Stuttgart
ist Reutlingen in der Tat konkurrenzlos billig. Und so drängen die verdrängten Hauptstädter
zu uns und machen damit - nolens, volens - den Einheimischen hier Konkurrenz
beim Marktwettbewerb um Wohnraum. Reutlingen wird zu einem Vorort Stuttgart,
was sich auch darin zeigt, dass man bei uns mehr wohnt als arbeitet.
Natürlich wissen das unsere Stadträte auch. Dazu müssen sie
nicht die FAZ lesen. In dem Artikel wird indes noch etwas ganz anderes
kritisiert: der erneuerte Trend zu Wohngebieten, die als "Schlafstädte,
ach was, Schlafställe für den bürgerlichen Mittelstand" dienen. "Ein
Drittel aller Neubauten in Frankfurt waren Hochhäuser", offenbart uns der
Autor. In Reutlingen gelten Hochhäuser ebenfalls als Allheilmittel. Und es sind
damit keine Bürogebäude gemeint, sondern Wohnkomplexe, die da errichtet werden
wollen. Die Investoren seien zur Schaffung sozialverträglicher Wohnungen
verpflichtet worden, werden wir beruhigt. Aber die Flächen werden eben an
Investoren vergeben - und nicht, wie Maak einen "alten Slogan der
Stadtsoziologie" zitiert, "in Bürgerhand". Was langfristig aus
diesen Wohnungen wird, wer weiß? Vielleicht geben die Investoren dann die
Wohnungen "in Bürgerhand", natürlich als teure Eigentumswohnungen. Sie
werden so etwas schon im Hinterkopf haben, wenn sie sich auf solche
Vereinbarungen einlassen. (Oder was ist in der Vergangenheit mit den
Sozialwohnungen der Nachkriegszeit passiert?)
Die Städte sind zum Wohnen da, die Vororte zum Arbeiten. Das
ist die komplette Umkehrung des Trends der Nachkriegszeit. Und so ist die Zeit
abzusehen, in der die Gewerbeflächen rund um Stuttgart zusammenwachsen mit
denen der umliegenden Städte. Jeden Morgen nicht in die Stadt, sondern aus der
Stadt - das ist die langfristige Perspektive. Das lässt sich einfach planen,
das macht auch das Investieren so leicht. Teures Wohnen, billiges Arbeiten -
was die Fläche anbelangt. Es ist also hochgradig lukrativ, in die Stadt zu
investieren. Und da dürfen die Stadträte nicht mit anderen Plänen stören.
"Die Kommunen können Neubau- und Verdichtungsareale seit
kurzem als 'urbane Gebiete' ausweisen und so Wohnen und Gewerbe viel intensiver
zusammenbringen", schreibt Maak. Seltsamerweise hatte zum Beispiel der
Bezirksgemeinderat des Reutlinger Vororts Altenburg genau dies bei der
Schaffung von Gewerbefläche vorgeschlagen. Aber das Konzept wurde nicht einmal
gedanklich übernommen, die dafür von den Dorfräten aufgezeigte, alternative
Fläche nicht einmal in den Prüfungsauftrag an die Ersteller des
Flächennutzungsplan eingebracht, sondern man hielt stur daran fest, die
Monostruktur der bestehenden Gewerbefläche ganz einfach zu verdoppeln. Im Sinne
der Gesamtstadt, mit der sich die Stadträte gegenüber den Dorfräten mit ihren
Partikularinteressen differenzieren.
Aber umgekehrt wird ein Schuh daraus. Denn dieses
"Gesamtinteresse" dient vor allem der Zweiteilung von "Stadt = Wohnung" und
"Land = Arbeit". Die Landgemeinde Altenburg liegt im nördlichsten Zipfel zum Arbeits-Großraum
Stuttgart, verkehrstechnisch am engsten damit verbunden. Das muss man nutzen, sagen die Entscheider - im
Sinne der Wohnstadt, die im Kopf der Stadträte am Ende doch nur aus der
Kernstadt besteht. Denn da wird künftig vor allem gewohnt. (Keine Frage. Aber von wem? Von denen, die das
bezahlen können. Der Rest kann sehen, wo er bleibt)
Das klingt polemisch, ist aber eigentlich anders gemeint, nämlich
als eine Mahnung an die Stadträte, sich ihrer eigenen, ihrer ureigenen Macht
bewusst zu sein, der Macht, die ihnen der Souverän, der Wähler, verliehen hat. Sonst
ergeht es ihnen, wie einem Bürger, der mir kürlich gestand, dass er bei der
letzten Kommunalwahl niemanden gewählt hat, der bereits im Stadtrat ist. Er
rollte die Liste der Vorschläge von hinten auf. Eine Alternative, die keine Petry-Partei
braucht.
Dabei wäre es doch ganz einfach für das Establishment, wieder zu punkten: "Die Lokalpolitik ist im
Jahr 2017 viel weniger, als es oft behauptet wird, das Opfer eines Marktes, der
alles diktiert. Sie kann viel besser als früher eine Idee dessen vorgeben, was
Stadt ist. und Regeln, nach denen gebaut wird", schreibt ihnen Maak ins
Stammbuch. Denn die Stadträte haben ein Argument auf ihrer Seite, das jeden Investor
weich werden lässt. Es gibt so viel Geld zu verdienen mit dem "Wohnen in
der Stadt", dass sie gar nicht anders können. Noch mehr Geld aber - möchte man hinzufügen - können die Menschen verdienen mit dem "Arbeiten in
der Stadt". Die Arbeit ist jedoch dabei vor allem in der "Bürgerhand".
Bildertanz-Quelle:Raimund Vollmer (Text und Fotos)
1 Kommentar:
Die Stadtplanung in Deutschland seit etwa 1950 ist eine einzige Katastrophe.
Die einzigen Stadtplanungen, die hochwertig geworden sind, sind die, in denen der historische Altbau miteinbezogen wurde. Siehe Französisches Viertel in Tübingen.
Deshalb leben Menschen ja auch so gerne in Altstädten, oder barockeN Städten, z.B. Dresden. Warium? Weil der Altbau schön ist und ästhetisch, weil die Materialien wertig sind.
Die meisten Bürgermeister und Gemeinderäte haben kein Bewusstsein, dass Bauen ästhetisch sein muss, aber was solls.
Da Stadtplanung und Architektur Menschen beeinflussen, besonders bezüglich Wohlfühlen und Sein, tragen diese Personen (Planer, Behördenmitglieder Bau etc.) Schuld daran, was teils gesellschaftlich so passiert, in hässlichen Ghettosiedlungen z.B.
Kastastrophal auch K 8 iN REUTLINGEN: Mehrere Gebäude beokmmen die selben Fenster, Billig Simse aus Alu, Standardputze etc. Die Stadt Reutlingen hat keine Ahnung von Gestaltungssatzungen, wie sie in jeder Kleinstadt in MEcklenburg Vorpommern angewandt werden.
Hauptsache der Rubel rollt und die Wirtschaft.
Die Leute sind da unwesentlich.
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