Mittwoch, 8. Februar 2017

Rommelsbach und andere "Bergdörfer"...



 Ein 3D-Bild der Neuen Ortsmitte in Rommelsbach...
 ... wurde aufmerksam studiert...
 und diskutiert...


Von Raimund Vollmer 

Es nennt sich Planungswerkstatt. Letzte Woche war so etwas in Altenburg, gestern in Rommelsbach. Beides sind "Stadtbezirke" Reutlingens, Altenburg selbst würde sich als Dorf bezeichnen, Rommelsbach - so wurde deutlich - ist weder Dorf noch Stadt. Auf jeden Fall wird es nun in freier Interpretation der gestern vorgestellten Ortsentwicklungskonzeptionen eine vierte Ortsmitte bekommen, die heilen soll, was seit der Eingemeindung 1974 verunglückt ist. Sie liegt im vierten Quadranten des Ortes, der sich durch einen Kreisverkehr ein etwas seltsames Zentrum gegeben hat.
 Topographisch und historisch sei es ein "Bergdorf", meinte mit viel Humor der Stadtplaner Beuninger, wohin es unterwegs sei, dafür fehlte ihm allerdings der Begriff. Ja, die Stadtplaner haben auch ihre Probleme mit der Urbanität des 21. Jahrhunderts.
Sie taumeln zwischen Bewahren und Bebauen, zwischen den Plätzen der Freizeit und denen der Arbeit, des Vergnügens und des Verkehrslärms. Die Architekten ahnen, dass das, was ungeplant entstanden ist, weitaus emptionaler ist als das, was sie mit ihren Linealen schaffen. Sie wissen nicht, ob ihr Geschäft das der Kosmetik ist oder das der Schaffung neuer Kosmologien. Eine gewisse Hilflosigkeit schimmert durch - und das ist vielleicht sogar ihre größte Stärke: das Technische wirkt dadurch emotionaler. Sie werden zu natürlichen Autoritäten, die zuhören und aufnehmen können. So gewinnen und genießen sie die Sympathie und den Respekt der Bevölkerung. So war es in Altenburg, so war es in Rommelsbach.
Hier waren es geschätzt rund 150 Bürger, die kamen, im weitaus kleineren Altenburg waren es sogar um die 200. Es geht jeweils um Ortsentwicklung. Eingeladen hat beide Male die Stadt Reutlingen, der örtliche Bezirksbürgermeister darf mit vorne sitzen, begrüßen und verabschieden, die Bezirksgemeinderäte dürfen bestuhlen und entstuhlen, ansonsten verblassen sie im Publikum, wahrscheinlich haben sie auch die Beköstigung arrangiert. 
Das Regiment und die Regie haben die Stadt und deren von ihr ausgesuchten Berater. Durch den Abend führt ein Moderator, der jedem das Gefühl gibt, gehört und gemocht zu werden. Es ist eine soziale Veranstaltung. Alles sehr gepflegt, angenehm - und wir, die Bürger, sind ja auch pflegeleicht. Alles ist gut geplant - und ein bisschen Werkstatt ist auch.
Sozialpädagogen hätten ihre schiere Freude dran. Das Formale besiegt endgültig das Inhaltliche. Form follows function. Was ein Leitsatz der Architektur und des Designs ist, bei Bürgerveranstaltungen gilt es genau umgekehrt - vor allem dann, wenn es um Architektur und Design geht. Da möchte man die Kräfte bändigen. 
Alles wirkt sehr professionell, bestens vorbereitet - und in Altenburg hatte man sogar das Gefühl, dass die Punkte möglicher Kritik vorher geplant worden waren und wir auch prompt darauf reinfielen. In Rommelsbach imponierten die Berater mit dreidimensionalen Zukunfts-Projektionen des Ortes. Es waren sogar die Bürger selbst, die in einer Zwischenrunde an fünf Schau-Plätzen die Anregungen des Publikums metaplanmäßig erfassten und anschließend im Plenum präsentierten. 
Da war das in Altenburg etwas anders. Hier gab es zwar auch Schautafeln, an denen die Bürger mitdiskutieren durften, aber es waren die Profis der Stadt, die hinterher das Ergebnis resümierten. Egal, hier wir dort hatte die Stadt alles unter Kontrolle. Besser kann man es nicht machen. Und darin liegt das Problem.
Zuerst einmal ist die Vorgehensweise verständlich. Denn man möchte sich nicht mehr in die bereits angemachte Suppe spucken lassen. "Was sollen wir eigentlich noch hier? Es steht doch schon alles", sprachen die Bürgern unter sich, wenn die Stadt nicht dabei war. Es war ein Kritikpunkt in Altenburg, der den Oberen wahrscheinlich nicht zu Gehör kam. Auch wurde das Treffen "eine Alibiveranstaltung" genannt. Das war nicht ganz fair - und wurde auch prompt zurückgenommen. Denn beide Veranstaltungen können als gelungen bezeichnet werden - aus sozialpädagogischer Sicht. 

Die Pläne zu der neuen Ortsmitte, um die es übrigens in Rommelsbach ja auch ging, waren in etlichen Sitzungen des Altenburger Bezirksgemeinderates in Zusammenarbeit mit der Stadt über viele Jahre hinweg entwickelt worden. Und vieles, was in Rommelsbach erstellt wurde, kam auch aus den Kreisen des Bezirksgemeinderates. 
Doch in Rommelsbach wie in Altenburg wirkten die Bezirksgemeinderäte ruhig gestellt. Irgendwie geduldet, noch nicht ganz nützliche Idioten, aber Randfiguren. Sie sind die Kulissenschieber. Die Helden sind die Bürger und die Experten, die Profis. 
Ist das Strategie oder Zufall? Etwas, das man vor zwei Jahren auf unangenehme Weise spüren musste, als bei einer Informationsveranstaltung der Stadt zum Thema Flüchtlingsheim in Oferdingen der Verwaltungsbürgermeister Hahn den Bezirksgemeinderäten das Rederecht nehmen wollte - und auf massiven Protest in der Bevölkerung stieß. Soll da unterschwellig suggeriert werden, dass man in der Kommunikation zwischen Bürgern und Stadt dieses Gremium nicht mehr braucht? Wer weiß. 

Nehmen wir als Beipsiel die Bürgerversammlung. Hier haben die von den Bürgern direkt gewählten Bezirksgemeinderäte noch nicht einmal das Recht, eine solche Versammlung einzuberufen. So wird es jedenfalls aus dem Weißen Rathaus am Marktplatz kolportiert In Altenburg war dies sogar ein Grund, dass demnächst eine Info-Veranstaltung zum Thema Gewerbegebiet von einer Bürgerinitiative verantwortet wird, obwohl es der Ortschaftsrat war, der sich hier engagierte - und am liebsten dazu eine Bürgerversammlung machen möchte. Denn es ist vor allem sein Thema.
Als 2012 die Altenburger wider besseren Wissens und besten Glaubens eine Bürgerversammlung einberiefen, die bestimmt nicht so professionell lief wie die vergangener Woche (bei einem 100-Euro-Etat kein Wunder), aber einen hohen emotionalen Wert besaß, wurde dies von der Stadt großzügig geduldet. So wurde dies vermittelt. Doch das Heft will man sich fortan nicht mehr aus der Hand nehmen lassen. Es ist die Stadt, die einlädt.Nur die Stadt. So heißt es.
Schaut man nun ins Internet und informiert sich über die Rechtslage, dann findet man unter der Homepage "Beteiligungsportal" des Landes Baden-Württemberg die Bemerkung. Da wird interpretiert: "Der Gemeinderat soll in der Regel einmal im Jahr oder nach Bedarf eine Einwohnerversammlung anberaumen. Die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister lädt dazu ein." 
Demnach sind es also unsere Stadträte, die über eine "Einwohnerversammlung" bestimmen. Gehen wir ins Original, also in die Gemeindeordnung, da wird das aber deutlich ergänzt. Diese bestimmt nämlich auch etwas, was offensichtlich in der Stadt Reutlingen nicht bekannt ist und im Beteiligungsportal unterschlagen wird:. "In Ortschaften können Einwohnerversammlungen auch vom Ortschaftsrat anberaumt werden..."
Bürgerversammlungen sind also vor allem Sache der Gemeinde- und der Ortschaftsräte, ja, sogar die Bürger selbst können eine solche Versammlung einberufen lassen.
Zugegeben: Beide Veranstaltungen waren keine Bürgerversammlungen, sondern schlichtweg "Planungswerkstätten", die allerdings wie eine Bürgerversammlung aussahen. Wie diese demnächst aussehen werden, können wir uns vorstellen: als ein Stück Sozialpadagogik. Und der Bezirksbürgermeister ist dann der Ortsmoderator.
Es wird Zeit, dass wir uns in unsere Bergdörfer zurückziehen.
Raimund Vollmer
Bildertanz-Quelle:(RV)

Keine Kommentare: