Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer
Sie ist zwar klein, aber deswegen will sie noch lange nicht
klein beigeben: Die WIR-Fraktion im Stadtrat Reutlingens besteht darauf, dass
die Verwaltung sich um die Organisation eines Bürgerentscheids zum Thema
"Parkhotel" bemüht. Nun hat der Landtag bei der Bauleitplanung, die
bis 2015 grundsätzlich von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden ausgenommen
war, zugestimmt, dass zumindest bei der Einleitung die Bürger mitreden dürfen,
aber im Fall des Hotels ist das Genehmigungsverfahren wahrscheinlich schon zu
weit fortgeschritten, um noch den Bürgern zur Entscheidung vorgelegt werden zu
können. Nach dem der Aufstellungsbeschluss am 17.Mai 2018 dem Rat zur
Entscheidung vorgelegt und beschieden wurde, bleiben Bürgerbegehren und Bürgerentscheid außen
vor. Zwar heißt es in der Beschlussvorlage: "Die Öffentlichkeitsbeteiligung
wird in Form einer einmonatigen Auslegung des Vorentwurfs durchgeführt." Die
Reaktion in der Bürgerschaft war - um es mal ganz vorsichtig auszudrücken -
nicht gerade von Begeisterung geprägt. Dabei waren zwei Themen miteinander
verquickt:
- Erstens die Optik, die Architektur, für die Max Dudler verantwortlich ist, der Mann also, der auch das Nebengebäude, "die Stadthalle für alle", entworfen und gebaut hatte.
- Zweitens die Höhe des Hotelturms, die mit rund 50 Metern wie das Stuttgarter Tor helfen soll, die "großstädtische Silhouette" Reutlingens zu prägen.
Gegner und Befürworter vermengen gerne in ihrer Argumentation
beide Themen - so dass die Grundsatzfrage überdeckt wird. Sie lässt sich
reduzieren auf eine einzige Frage: Welche Stadt wollen wir? Bis heute gibt es
darauf keine klare Antwort, sondern nur sogenannte
"Motherhood-Statements" wie "weltoffen und modern". Unter solchen
Aussagen versteht man in dem sich gerne in Unverständlichkeit verkapselnden
Marketing-Jargon Behauptungen, denen man nicht widersprechen kann, ohne sich
selbst als "weltfremd" und "altmodisch" zu klassifizieren.
Der Begriff "Motherhood" (Mutterschaft) wird deshalb verwandt, weil
ein typisches Beispiel dafür die Aussage "Ich liebe meine Mutter" ist.
Das ist eine Selbstverständlichkeit, das Gegenteil fast schon eine Ungeheuerlichkeit.
Wer also gegen das Hotel in seiner Darstellungsform und in
seiner Ausprägung als Hochhaus ist, gilt - unausgesprochen - als
rückwärtsgewandt, ist alles andere als weltoffen. Und wenn das nicht hilft, den anderen plump zu diskreditieren,
greift man in die unterste Schublade der Argumentationskiste und behauptet,
dass ja die Investoren nicht gerade Schlange standen, um ein solches Projekt zu
verwirklichen. Spätestens jetzt müsste man hellhörig werden. Wenn
diese Stadt, die uns am 18. Juli die Ergebnisse der Bürgerbefragung (zu der
10.000 Fragebögen ausgefüllt wurden) präsentieren will, tatsächlich so
attraktiv wäre, wie das Marketing und dessen Protagonisten behaupten, dann
könnte die Verwaltung doch tatsächlich die Bedingungen diktieren, unter denen
ein Investor bereit wäre, sich zu engagieren. Beim ersten Entwurf hatte
Großmeister Max Dudler noch seiner Stadthalle allen Respekt gezollt und einen
Flachbau vorgestellt, der nicht die Höhe Stadthalle überragte. Was dann daraus
wurde, als ein auswärtiger Investor auftrat, ist vor diesem Hintergrund höchst
erstaunlich. Plötzlich wuchs das Hotel auf ungeahnte Höhen und bekam eine Architektur, die seit zwanzig, dreißig Jahren als modern gilt.
Unmut machte sich breit, ob er mehrheitsfähig ist, könnte nur ein Bürgerentscheid
zeigen, doch den Weg dazu hat uns der Stadtrat mit dem Aufstellungsbeschluss
verbaut. Ist das ein Beweis für "Weltoffenheit" und "Fortschrittlichkeit",
wenn man den Bürgern keine Chance zu echter Beteiligung lässt?
James A. Buchanan, ein Wirtschaftsnobelpreisträger, hat mal zu
Anfang dieses Jahrhunderts gesagt, dass er nicht mehr wisse, was
"Fortschritt" eigentlich sei. Alles sei viel zu widersprüchlich. Und Meinhard Miegel, ebenfalls ein prominenter
Ökonom, meinte schon 1990 nicht minder kritisch, dass wir alles zu sehr dem
Wirtschaftlichkeitsgedanken unterwerfen, er nannte uns -vor allem die Menschen im Südwesten Deutschlands -die
"merkantilistisch Veranlagten", die eigentlich in der Bundesrepublik und im Rest der Welt eine
Minderheit darstellten. Miegel: "Ob Religion oder Wissenschaft, Kunst oder
Philosophie - früher oder später steht bei ihnen alles im Dienste nur des
einen: des wirtschaftlichen Erfolges."
Unterwerfen wir das Projekt "Hotel" einmal einem
merkantilistischen Gedankengang!
Wie weltoffen und fortschrittlich waren da
nach dem Krieg unsere hiesigen Unternehmer, als sie eine Aktiengesellschaft
gründeten, um direkt am Bahnhof ein Parkhotel zu errichten. Sie wollten ihren
Geschäftsfreunden, die aus aller Welt kamen, eine ordentliche, fast schon für
die damaligen Verhältnisse luxuriöse Unterkunft bieten. Und so entstand das
wahre "Parkhotel", in dem Hochzeiten und Konfirmationen stattfanden, in dem Vereine ihre Feste feierten, in dem das Leben pulsierte. Die Zeit hat es dann überrollt, es entsprach nicht
mehr dem Fortschritt, es wurde abgerissen. Ein neues Hotel entstand nicht. Bis
heute haben sich die Geschäftsleute dieser Region nicht entschließen können,
gemeinschaftlich ein neues Luxushotel zu bauen - obwohl sie ungleich wohlhabender sind als die
der Nachkriegszeit. Und auch sonst fand sich in ganz Reutlingen und dessen
Landkreis niemanden, der bereit war, im Namen von Weltoffenheit und Fortschritt
im Zentrum der Stadt ein solches "Hotel neben der Stadthalle für
alle" zu errichten. Ob ein lokaler Investor auch diese weltoffenen und
modernen Konditionen bekommen hätte, wie sie nun dem auswärtigen Investor
zugestanden wurden?
Nun werden die im Rat versammelten Parteien darüber nachdenken
müssen, wie sie aus ihrer selbstverschuldeten Vollmündigkeit herauskommen. Wenn
sie clever sind, wenn sie Courage haben, wenn sie also Tapferkeit vor dem
Freund, den Bürgern, zeigen wollen, dann nutzen sie die Zeit des Wahlkampfes
ums Amt des Oberbürgermeisters oder der Oberbürgermeisterin und um die
Kommunalwahlen im kommenden Jahr und gehen in eine intensive, weltoffene und moderne Diskussion mit den
Bürgern.Auf Augenhöhe und ohne parteisches Gezänke, mit einer Fröhlichkeit und Offenheit, wie sie diese Stadt verdient.
Sie werden sich wundern, was sie da für moderne und weltoffene
Ideen zu hören und zu sehen bekommen. 10.000 ausgefüllte Fragebögen, hinter
denen hoffentlich auch ebenso viele Bürger standen, lassen doch darauf
schließen, dass die Menschen sehr an ihrer Stadt interessiert sind - und das
gilt nicht nur dem "wirtschaftlichen Erfolg".
Jedenfalls ist dies zu
erwarten in einer Stadt, die weltoffen und modern ist. Sonst läuft sie tatsächlich der Zeit hinterher...
Friedrich List: Schau auf diese Stadt!Bildertanz-Quelle: Michael Thiel
1 Kommentar:
Großstädtische Silhouette ist gut...soll keiner denken wir währen provinziell hier ;-)
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