Freitag, 30. November 2018
Donnerstag, 29. November 2018
Sonntag, 25. November 2018
Freitag, 16. November 2018
OB-Wahl: Der falsche Wahlkampf
Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer
Wie dicht und eng und wie hoch und wo wollen wir wohnen? |
Hätte er jetzt nicht doch durchhalten müssen, dieser
Philipp, der uns, vor allem den Alten unter uns, zeigen sollte, was
Digitalisierung bedeutet, in welchen Höhen sich die Stadtentwicklung aufmacht,
wie er mit der Stadt-Partei Deutschlands, der SPD, im Rücken die Zukunft gestaltet?
Irgendwie ist es schade, dass er sich nun seiner Kandidatur nicht stellt. Dann
hätten wir nämlich erfahren können, wie sich die junge Generation die Zukunft
vorstellt. Dass es ein Jung gegen Alt werden würde, hatte die
Findungskommission, dieses Häuflein um (Helmut) Treutlein irgendwie auf der
Wahlkampfagenda. Und die Reutlinger hätten schon gerne erfahren, was die jungen
Leute unter neuen Ideen verstehen.
Nun wird es wohl vor allem eine Entscheidung zwischen
Kandidaten werden, die in der zweiten Hälfte ihres Lebens stehen. So war es eigentlich
immer. Reutlingen hatte zudem nach dem Krieg noch nie einen dreisilbigen
Oberbürgermeister. Riethmüller geht einfach nicht. Nun steht der Einsilber
gegen den Zweisilber: (Thomas) Keck versus (Christian) Schneider. Was sonst
noch kommt, wissen wir nicht, aber bei den Grünen wird entweder die Silbe
"Berg" vorne stehen oder hinten: (Holger) Bergmann oder (Cindy) Holmberg.
Er, ein Fünfziger, sie, eine Vierzigerin. Aber auch beide kommen über zwei
Silben nicht hinaus.
Vielleicht erscheint ja noch ein Weißer Ritter, der uns aus
dem Patt in der Stadt befreit. Aber damit rechnen sollten wir nicht. Wir werden
uns entscheiden müssen zwischen Kandidaten, die sich an der Frage werden messen
lassen, wie sie aus der der zweiten Hälfte ihres Lebens heraus die Zukunft
dieser Stadt sehen - hoffentlich jenseits aller Plattitüden, die momentan noch
herumgeistern, aber nicht unbedingt begeistern.
Da wird zum Beispiel immer wieder erzählt, dass Reutlingen
um 1000 Einwohner pro Jahr wachse. Das stimmt definitiv nicht. Es sind im
Mittel eher 500 Einwohner. Was ist denn nun realistisch für die kommenden acht
Jahre? In Bezug auf Wohnungsnot, Kaufkraft,
Arbeitsplätze, Kitas, Kindis, Schulen etc.? Wo sollen denn die neuen Wohnungen
entstehen - im Zentrum oder in der Peripherie? Mit welchen Wohnungsgrößen wird
denn gerechnet? In den letzten Jahren hat sich die Wohngröße gemessen an den
Neubaugenehmigungen halbiert. Ist das ein nachhaltiger Trend? Was haben wir
daraus zu lernen? Ist die Nachverdichtung in der Kernstadt und deren nähere
Umgebung das Ziel oder sind es gar die Grüngürtel der Stadtbezirke, die
dereinst selbständige Dörfer waren?
Ist der Bau einer Stadtbahn, wie sie momentan angedacht
wird, wirklich noch zeitgemäß? Unterschätzen wir da nicht den technologischen
Wandel, der durch Elektromobilität und Selbstfahrer uns in eine ganz andere
Richtung lenkt? Investieren wir nicht in eine über kurz oder lang veraltete
Infrastruktur? Sind solche Ideen unrealistisch oder fehlt uns und unseren
Kandidaten ganz einfach die Phantasie?
Was ist, wenn die sogenannte Digitalisierung (die weitaus
mehr ist als nur ein schnelles Netz) unsere Lebensräume weiter virtualisiert?
Wir sehen überall - in den Netzen - die Selbstinszenierung des Individuums, während
die Vereine das persönliche Engagement für die Gemeinschaft vermissen. Ist die
Steigerung des Egos unsere Zukunft? Brauchen wir nicht dringend eine
gesellschaftspolitische Diskussion, die über das rein Funktionale einer Stadt,
der Versorgung, hinausgeht, die das Gemeinschaftliche, das Bürgerliche, wieder
in den Mittelpunkt rückt?
Die Stadt und ihre Verwaltung nicht nur als einen reinen Reparaturbetrieb
zu betrachten, sondern ihre Kompetenz zu erkunden, auch einmal "out of the
box" zu denken, wäre ein Ansatz, der uns Bürger schon interessieren sollte
- vor allem die junge Generation erwartet hier Antworten, muss sie sogar selbst
liefern. Insofern war der Gedanke, eine jungen Mann als Kandidaten aufzustellen,
gar nicht so falsch. Wichtiger, viel, viel wichtiger ist es aber, dass sich
diese Generation nun als Wähler in diesen Wahlkampf um den Posten des Oberbürgermeisters
einbringt und auch tatsächlich wählen geht.
Die SPD wollte da ein Signal setzen. Vielleicht war die
OB-Wahl das falsche Terrain. Die Kommunalwahl, die ja auch im kommenden Jahr stattfindet,
ist da ein weitaus lohnenderes Terrain.
Dienstag, 13. November 2018
Thomas Keck und die Bürgerstadt
Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer
Nur vor der Geschichte geht Thomas Keck in die Knie |
Er ist verbrannt, bevor er sich überhaupt präsentiert hat.
Und er kann jetzt gar nicht mehr anders, als den Kampf gegen seinen
parteiinternen Freund anzutreten. Philipp Riethmüller, 36 Jahre jung und damit
fast 20 Jahre jünger als sein Gegner Thomas Keck (55). Beide gehören zur SPD,
der Partei, die sich nicht nur überall schwertut, sondern es sich auch noch obendrein
schwermacht.
Mit der Unterstützung der parteilosen Barbara Bosch als Kandidatin
und späteren Oberbürgermeisterin erlebte sie ihre letzten großen Triumphe in
Reutlingen. Acht Sitze hatte die SPD bei der letzten Kommunalwahl 2014
ergattert, in der davor waren es neun Sitze, so auch 2004, 1999 und 1994.
Prozentual lavierte diese große alte Partei immer zwischen 20 und 21 Prozent. Sehr
stabil, wohl auch aufgrund der sehr treuen Wähler in dem ohnehin eher
sozialdemokratisch grundgestimmten Reutlingen, auch wenn die CDU in den letzten
Jahrzehnten stets die meisten Wähler auf sich zog. So der erste Schein.
Dennoch hat es zwischen 1984 und 2014, der letzten
Kommunalwahl, einen dramatischen Wandel gegeben, auf den beide Parteien nun eine
Antwort suchen. Beide Parteien waren einstmals die Schwergewichte. Beide haben
aber seit den achtziger Jahren massiv an Zustimmung verloren:
- Die CDU fast zwölf Prozentpunkte, sie hatte 1984 40,3
Prozent der Wähler hinter sich.
- Die SPD gab acht Prozentpunkte im Vergleich zu 1984 ab. Da
hatte sie 28,1 Prozent der Stimmen.
Seit der letzten Kommunalwahl stellen diese beiden Volksparteien
zusammen nicht einmal mehr die Hälfte aller Mandate. Und 2014 gab es noch
nicht die AfD, die mit Sicherheit beim derzeitigen, gefühlten Stand der Wählermeinung
allen Parteien den ein oder anderen Sitz wegnehmen wird.
Im Vorlauf der nächsten Kommunalwahlen im Mai 2019 sucht
Reutlingen in direkter Wahl einen neuen Oberbürgermeister. Die CDU schickte - vorausahnend,
dass Weihnachtszeit, Winter und Fasching das Zeitfenster sehr klein halten
würden - als erste Partei einen Kandidaten ins Rennen: Dr. Christian Schneider,
irgendwie ein Merz-Typ, der versuchen wird, alle Themen auf Bierdeckelformat zu
reduzieren. Ein reinrassiger CDU-Mann, der möglicherweise zu sehr die wirtschaftspolitischen
Themen adressiert und sie in vielleicht etwas angestaubten Kategorien einordnet.
Die SPD wollte nun - mit ein paar Wochen Rückstand - ihren
Kandidaten präsentieren, eben diesen jungen Philipp Riethmüller, Assistent der
mächtigen Baubürgermeisterin Ulrike Hotz. Es gibt nicht wenige Stimmen, die
sagen, dass Frau Hotz seitdem sehr viel moderater in ihrem Führungsstil geworden
sei. Vor allem aber wird die SPD in ihm die neue Generation, die, die seit "1984"
herangewachsen ist, gesehen haben. Er sei jemand, der für die Digitalisierung
stünde, der aktuellen Chiffre für alles Moderne, wozu auch die unter Barbara
Bosch und Ulrike Hotz sehr bewusst angegangene Stadtentwicklung gehört.
Weitere Kandidaten werden nun in den nächsten Tagen folgen -
und wir werden sehen, wohin sich die Wählermeinung wendet. Jeder hat so seinen
Liebling - irgendwie wäre es schon ein offenes Rennen geworden.
Jetzt platzt Thomas Keck mit seiner Nachricht dazwischen,
dass er sich ebenfalls für das Amt des Oberbürgermeisters interessiert. Er
besitzt das, was vielleicht sonst keiner der anderen Kandidaten in diesem hohen
Maße aufweisen kann: Er hat die Sympathie der Menschen - in allen Schichten, in
allen Bezirken, auf allen Ebenen der Politik. Diese Sympathie kann man nicht
wegdigitalisieren, auch nicht weg argumentieren. Das ist ein emotionaler
Faktor, nach dem die Bürger meiner Meinung nach (es gibt dafür keine Statistik) regelrecht
gieren.
Für viele Wähler waren die letzten Jahre eine Zeit schleichender
Entfremdung zwischen dem, was die Zentralstadt tat, und dem, wonach sich die
Bürger sehnten. Natürlich ist dies nur ein persönlicher Eindruck, aber in den
bald 15 Jahren "Bildertanz" hat sich dieser Eindruck immer wieder bestätigt.
Keck will nun ein Mitgliedervotum. Er will, dass die Basis
entscheidet. So ist ja auch seine Politik als Stadtrat und als
Bezirksbürgermeister: nah an den Menschen, souverän gegenüber den
Institutionen.
Wenn in den vergangenen Wochen immer wieder in kleinen
Zirkeln der Name Keck als möglicher OB-Kandidat fiel, gab es einige, die sagten: Stimmt
alles, er wäre ein OB zum Anpacken, aber kann er auch zupacken? Kann er eine
große Verwaltung managen? Diese Frage richtet sich indes an alle
Kandidaten, egal, wer da noch kommen mag.
Eigentlich ist diese Frage nicht ganz fair. Denn sie wird in
hohem Maße dadurch beantwortet, wer dem zukünftigen OB als Dezernent
beigeordnet ist. Da muss der Oberbürgermeister der kommenden Wahl mit den
Persönlichkeiten zusammenarbeiten, die während der Bosch-Ära nicht vom Wähler,
sondern vom Stadtrat zur Seite gestellt wurden. Werden sie bleiben? Werden ihre
Verträge erneuert? Wie werden sie mit ihrem künftigen "Boss" umgehen?
Wer kann am besten eine solche "Elefantenrunde" managen? Wie setzt
sich der Stadtrat im kommenden Jahr zusammen? Mit wie viel Opposition hat der Chef
zu rechnen? Wie wird sich überhaupt die politische Kultur in unserer Stadt
weiterentwickeln?
Es sind - nach meiner Auffassung - weniger technische, auch
nicht verwaltungstechnische Fragen, die die nächste Wahlperiode bestimmen
werden. Alle Themen, die jetzt schon auf dem Tisch sind, werden uns auch in den
kommenden Jahren beschäftigen, sogar sehr intensiv. Doch auf dem Weg zu
Lösungen wird entscheidend sein, wie sie herbeigeführt werden. Nicht nur in der
vermeintlich sachlichen Art, wie sie Experten meinen uns vorzugeben, sondern
auch in der emotionalen Befindlichkeit von uns, den Regierten. Wir brauchen
keine Expertenstadt, wir brauchen eine Bürgerstadt.
Vielleicht haben wir zum ersten Mal in der
Nachkriegsgeschichte die Chance, dies aus unserem Reutlingen zu machen: eine
Bürgerstadt. Wer in Betzingen lebt, weiß, dass Keck zumindest dies schon einmal
für dieses einstige Industriedorf geschafft hat. Er hat dieses
Zugehörigkeitsgefühl, diesen stillen Stolz auf alles, wie es ist und wird,
nicht erzeugt, das müssen wir schon selbst tun, aber er hat es intensiv unterstützt.
Nicht umsonst bewundern ihn deswegen die anderen Bezirksbürgermeister. Er hat
den strategischen Wettbewerbsvorteil, dass er seine Fähigkeit als Integrator
vor Ort bereits bewiesen hat. Das soll nicht heißen, dass die anderen das nicht
auch können. Aber diese Integrationsaufgabe ist unser Thema, nicht die Digitalisierung. Und
Wohnungspolitik, dem brennendsten Problem unserer Zeit (momentan!), sollten wir
jemanden, der sich von Berufswegen damit beschäftigt, auch zutrauen.
Die SPD ist sehr gut damit beraten, ganz schnell ein
Mitgliedervotum herbeizuführen. In acht Jahren ist ein Philipp Riethmüller in
dem Alter, um dieses mehr auf Weisheit als auf Wissen basierende Amt wunderbar
zu erfüllen. Ich bin mir sicher, ein Thomas Keck als OB (was ja noch lange
nicht entschieden ist) würde alles tun, um einen möglichen Nachfolger bestens
auf das wirklich schwierige Amt vorzubereiten.
Natürlich ist all dies nur meine ganz persönliche Meinung -
als Bürger dieser bei aller Kritik faszinierenden Stadt auf ihrem Weg ins und
durchs 21. Jahrhundert.
Freitag, 9. November 2018
Ein unfairer Stadtvergleich
Eine unzeitgemäße Betrachtung von Raimund Vollmer
Der Karlsplatz - irgendwie bürgerlich behäbig, idyllisch - vor mehr als 100 Jahren
Die Stadt ist mit 81.000 Einwohnern schon ein Stück kleiner
als Reutlingen. Mit 2801 Einwohnern pro
Quadratkilometer ist sie mehr als doppelt so hoch "verdichtet". Bei
uns leben 1330 Einwohner auf einem Quadratkilometer. Ansonsten liegt diese
Stadt auch am Rande eines Gebirges, das in seiner aufscheinenden Silhouette an
den Scheibengipfel und die Achalm erinnert. Jedenfalls mit ein wenig Phantasie.
Insgesamt liegt diese Stadt 100 mehr höher als unser Reutlingen.
Die Stadt, mit der wir hier RT vergleichen, ist Luzern, etwa
auch gleich alt wie Reutlingen. Aus geschäftlichem Anlass war ich diese Woche
dort, hatte abends Zeit, mir die Altstadt anzusehen und war schwer beeindruckt,
weniger von den unglaublich vielen kleinen, eigentümergeführten Luxusläden,
sondern von der inneren Urbanität, die diese Stadt ausstrahlte. Lange her, dass
ich so viele O-Busse sah. Überall Fahrräder, überall Hochschul-Jugend, überall
Tourismus - vor allem aus dem asiatischen Raum. Ich ahnte, dass es unfair wäre,
Reutlingen mit dieser Hauptstadt des Kantons Luzern zu vergleichen.
Eine Gasse in Luzern |
Denn Luzern hat das große Glück, vom 2. Weltkrieg verschont geblieben
zu sein. Natürlich ist diese Schweizer Gemeinde touristisch verwöhnt durch den
Vierwaldstättersee und die Nähe zu den Alpen. Natürlich ist und wirkt Luzern
sehr, sehr viel reicher als unsere alte Reichsstadt, die - um weltweit touristisch
auf sich aufmerksam zu machen - dazu neigt, auf mehr oder minder versteckte
Weise eine Anleihe bei ihrer Nachbargemeinde Lichtenstein zu nehmen.
Reutlingen - Friedhof : Unter den Linden |
Der Vergleich ist auch deshalb unfair, weil das Wachstum
dieser Stadt nicht auf Eingemeindungen beruht. Im Gegenteil: Luzern musste
erleben, wie es zwischen 1975 und 2000 ein Drittel seiner Bevölkerung durch
Wegzug in die Vororte verlor. Diesen Verlust konnte die Stadt kaum durch
Eingemeindungen ausgleichen. Versuche, andere Orte zu gewinnen, scheiterten am
Veto der Bürger. Es gab dort keine zwanghafte Kommunal -und Gebietsreform wie
bei uns bundesweit in den siebziger Jahren. Dennoch kam 2010 der Ort Littau
dazu auf der Basis einer denkbar knappen Bürgerentscheidung. Flächenmäßig ist
Luzern mit seinen 29 Quadratkilometern ein gutes Drittel von Reutlingen (87
Quadratkilometer).
Reutlingen: Alles verschwunden: nur die Straße "Unter den Linden" blieb, die Brücke und die Bahngleise
Reutlingen: Alles verschwunden: nur die Straße "Unter den Linden" blieb, die Brücke und die Bahngleise
Seit der Jahrtausendwende wächst Luzern wieder, weil die Menschen zurückdrängen in die Kernstadt. Die Folge ist eine starke Gentrifizierung. Wer bei der Wikipedia nachschaut, erfährt auch die Gründe: "Beweggründe sind das größere Angebote an Kinderhorten, das Nachtleben, die Nähe zur Uni und der sehr gute Öffentliche Verkehr (= Verzicht auf ein Auto). Studenten wohnen oft in WG's (=geringer Mietanteil), junge Paare sind oft Doppelverdiener und bei den jungen Familien, die in die Stadt ziehen, handelt es meist um Haushalte mit hohem Einkommen. Dagegen ziehen Einzelverdiener mit kleinem Verdienst, Rentner mit geringer Rente und Familien mit geringem Einkommen ins Umland, wo Miete und Krankenkasse günstiger sind."
Da gewinnt man den Eindruck, dass in Luzern die Entwicklung
vorweggenommen wurde, vor der Reutlingen steht - und die unsere Stadt mit ihrer
Politik der letzten zehn Jahre auch eingeleitet hat. Inwieweit diese
Entwicklung politisch gewollt ist, inwieweit sie durch die individuellen
Entscheidungen der Menschen herbeigeführt wird, ist sicherlich nicht so einfach
nachzuvollziehen.
Wenn am Ende eine vergleichbare Urbanität herauskäme wie in Luzern, dann wäre dies mit Sicherheit zum Wohle der Stadt. Ob man dies durch den Bau von Hochhäusern erreicht oder durch andere Formen der Verdichtung, die man in Luzern beim Gang durch die Straßen durchaus erahnen kann, gehört zu den Themen, die wir - als Bürger dieser Stadt - intensiv diskutieren möchten.
Reutlingen: Klein-Venedig, heute vielleicht Teil einer Gentrifizierung? |
Wenn am Ende eine vergleichbare Urbanität herauskäme wie in Luzern, dann wäre dies mit Sicherheit zum Wohle der Stadt. Ob man dies durch den Bau von Hochhäusern erreicht oder durch andere Formen der Verdichtung, die man in Luzern beim Gang durch die Straßen durchaus erahnen kann, gehört zu den Themen, die wir - als Bürger dieser Stadt - intensiv diskutieren möchten.
Reutlingen war einmal, gemessen an den alten Fotos, durchaus
eine Stadt mit einem gewissen mondänen Anstrich. Und ich hätte mir vorstellen
können, dass von dieser bürgerlichen Form der Urbanität noch sehr viel mehr
erhalten wäre, wenn es nicht den 2. Weltkrieg gegeben hätte.
Luzern - vom Krieg verschont, immer wieder verschönt |
So aber erlebte unsere Stadt einen gewaltigen Bruch mit
seiner Geschichte. Oberbügermeister
Oskar Kalbfell, dessen 40. Todestag wir im kommenden Jahr begehen, folgte mit
seiner ganzen Stadtentwicklung nach dem Krieg mehr den nüchternen, klaren
Konzepten, die durch das Bauhaus inspiriert waren. Davon hat sich unsere Stadt
bis heute nicht wirklich getrennt.
Hochhäuser findet man im Zentrum von Luzern kaum - oder sind eher unauffällig |
Eine Diskussion wäre es allemal wert - und auch die Frage an
die nachfolgende Generation: Welche Art von Stadt wollt Ihr eigentlich sein? Diese
Frage sollte nicht von den Profis allein entschieden werden, sondern so wie es
immer war: von den Bürgern. Die schönsten Rathäuser stehen zum Beispiel in den
Städten, in denen die Bürger ihren Stolz auf ihre Heimat zeigen konnten - und
nicht eine Verwaltung den Stolz auf sich selbst.
Die Wilhelmstraße 1926 - der sichtbar gewordene Bürgerstolz |
In diesem Zusammenhang kommt immer wieder das Argument, dass
wir, die Laien, gefühlsmäßig über etwas entscheiden, ohne dass wir die
Wirtschaftlichkeit und Machbarkeit beurteilen können. Unter diesen Aspekten
wurde uns vor bald 50 Jahren die kommunale Gebiets- und Verwaltungsreform
verkauft. Wir haben uns dann auch letzten Endes überzeugen lassen - vor allem,
wenn hinter den Argumenten auch noch Belohnungen des Staates standen.
Der Listplatz in den 20er Jahren - Unser Fritz stand endlich im Zentrum,heute eher am Rande |
Bei meinem Besuch in der Schweiz kam ich - durch Zufall - mit
einem Herrn zusammen, der in einer kleinen Gemeinde das dortige Parlament leitet,
in der Form eines Aufsichtsrates. Seine Ortschaft liegt in der Nähe von Bern. Und
dann sagte er, mehr beiläufig als bewusst: "Studien haben bei uns ergeben,
dass die kommunalen Zusammenschlüsse wirtschaftlich überhaupt nichts gebracht
haben."
Reutlingen vor mehr als 100 Jahren: Das Nikolaihaus und zwei Stockwerke Schaufenster |
Wo Reutlingen heute wohl stünde, wenn es nicht in den siebziger
Jahren Ortschaften wie Altenburg, Bronnweiler, Oferdingen, Gönningen,
Degerschlacht, Rommelsbach etc. eingemeindet hätte?
Dass dies eine rein rhetorische Frage bleibt, dafür hat die
Politik gesorgt, indem sie in den siebziger Jahren die Reform knüppelhart
bundesweit durchführte. Vergleichsmöglichkeiten haben wir dadurch nicht
bekommen - wie in der Schweiz, in der das immer wieder ein regional
aufflackerndes Thema ist. Da kann man dann tatsächlich das Vorher/Nachher
miteinander vergleichen. Aber diese Art der Fairness ist uns leider nicht
vergönnt. Deswegen wird uns auch die Gründung eines eigenen Stadtkreises
verwehrt werden. Man könnte ja dann Reutlingen mit Reutlingen vergleichen.
Bildertanz-Quelle: Raimund Vollmer/Fritz Haux (Sammlung)
Donnerstag, 8. November 2018
Samstag, 3. November 2018
Der Schulstreik - Erinnerungen an "1968"
Von Raimund Vollmer
Ich war damals Schüler. 16 Jahre alt, ging in Düsseldorf zur Schule. Die Landeshauptstadt von NRW war keine Hochburg der Studentendemonstrationen, aber über das Fernsehen kamen sie damals überallhin. Da war es egal, ob man in Düsseldorf oder in Reutlingen wohnte. Ich erinnere mich, dass ich mit meinem Vater über die Forderungen der Studenten diskutierte. Er war treues CDU-Mitglied, konservativ durch und durch, und ich hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit, dass er volles Verständnis für den Protest der Studenten hatte. Die Szene werde ich mein Lebtag nicht vergessen, wie ich im Türrahmen zum Wohnzimmer stand und mein Vater auf dem Sofa saß, um mir seine Ansicht zu schildern. Er, der uns strikt verboten hatte, "Scheiße" zu sagen, ein Ausdruck, der damals aufkam und der ihm dann nicht viel später selbst fluchend entfuhr.
Ich war damals Schüler. 16 Jahre alt, ging in Düsseldorf zur Schule. Die Landeshauptstadt von NRW war keine Hochburg der Studentendemonstrationen, aber über das Fernsehen kamen sie damals überallhin. Da war es egal, ob man in Düsseldorf oder in Reutlingen wohnte. Ich erinnere mich, dass ich mit meinem Vater über die Forderungen der Studenten diskutierte. Er war treues CDU-Mitglied, konservativ durch und durch, und ich hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit, dass er volles Verständnis für den Protest der Studenten hatte. Die Szene werde ich mein Lebtag nicht vergessen, wie ich im Türrahmen zum Wohnzimmer stand und mein Vater auf dem Sofa saß, um mir seine Ansicht zu schildern. Er, der uns strikt verboten hatte, "Scheiße" zu sagen, ein Ausdruck, der damals aufkam und der ihm dann nicht viel später selbst fluchend entfuhr.
Was haben wir damals alles diskutiert! Mit den Eltern, mit
den Lehrern, mit den Pfarrern und Religionslehrern - vor allem aber natürlich
untereinander. Wenn Rudi Dutschke mit schneidender Stimme im Fernsehen auftrat,
habe ich ihm zwar zugehört, aber verstanden haben ich ihn nicht. Ich wusste
nur, dass er etwas Wichtiges sagte - und ihm ein gewisser Franz-Josef Strauß
antwortete. Das waren die beiden Pole, zwischen denen sich in der (guten) alten
Bundesrepublik alles Ideologische abspielte. Ideologie war überhaupt wichtig,
auch "die Gesellschaft". Und unsere Hohepriester waren die
Soziologen, die alles wissenschaftlich erklärten, verklärten und wohl auch verkehrten, was
damals irgendwie nach Protest roch. Achja, "der Verfassungsschutz"
spielte auch immer irgendwie eine Rolle. Er stand für die Angst des Staates vor
uns, die außer Diskutieren und Phrasendreschen sowie Haarewachsenlassen gar
nichts tat.
Einmal habe ich auf Drängen eines Freundes an einer Demo
teilgenommen. Ich glaube, es ging um Nix - "In der Rüstung sindse fix, für
die Bildung tunse nix". Als wir über die "Kö" marschierten, habe
ich mich verabschiedet. Ich kam mir blöd vor. Das war zu einem Zeitpunkt, als die Zahl 1968 nicht mehr für ein Kalenderjahr stand, sondern für eine Aufbruchstimmung, von der ich genau so erfasst war wie die meisten meiner Freunde. Der Geist von "1968" hat uns, die Babyboomer, irgendwie alle erfasst. Und ohne ihn wäre das, was ich zu erzählen habe, nie geschehen.
Bein einem Schulstreik
mitzumachen, das hat mir zum Beispiel sehr gefallen und mich viel gelehrt - über sogenannte Autoritäten. Und das kam so:
Wir hatten einen Mathelehrer, der nach einem Autounfall irgendwie
nicht mehr ganz richtig tickte. Ich sag das so, wie wir es damals empfunden
haben. Wir hatten schon Mitleid mit ihm, aber wir drifteten auch Richtung Abitur.
Und sein Unterricht wurde unerträglich. Wir haben dann einen Studenten
angeheuert, auch bezahlt, der uns Matheunterricht nach Schulschluss gab. War
doch eigentlich eine gute Sache, oder?
Ich war auf einem reinen Jungengymnasium, das heute nicht
mehr existiert, sondern eine Gesamtschule wurde, die den Namen des Düsseldorfer
Dichters Heinrich Heine trägt. Ob dieser unruhige Geist mit diesem alles
vereinenden Schulkonzept einverstanden gewesen wäre, weiß ich nicht, glaube ich
aber nicht, wir, die pubertierenden "Jung-68er" waren es bestimmt
nicht. Wir wollten eine Oberstufenreform, dafür kämpften wir, wir wollten mehr
Auswahl in den Hauptfächern und dabei neue Angebote. Und wir wollten die
Schülerselbstverwaltung mit Raucherzimmer, die ganz schnell in
Schülermitverwaltung umgewandelt wurde und das Rauchen auf eine Ecke auf dem
Schulhof verbannt wurde.
Jedenfalls ließen wir uns von den Lehrern nicht mehr gerne
irgendetwas vorschreiben, ohne dass wir nicht vorher dazu in irgendeiner Form
gefragt wurden. Dass wir schulische Leistung erbringen mussten, habe wir schon
eingesehen, aber uns - wie alle Schüler vor und nach uns - gefragt, ob das, was
wir lernten, wirklich wichtig fürs Leben war. (War es natürlich doch, aber das
erkennt man erst sehr viel später.)
Völlig überkreuz mit der Schulleitung und dessen Kollegium
kamen wir, als man uns den Klassenlehrerin wegnehmen wollte, weil wir mit dem
Mathelehrer nicht mehr klarkamen. Es war ohnehin schon sensationell, dass wir
als reine Jungenklasse eine Klassenlehrerin hatten, die sich - selbst noch sehr
jung -unglaublich tapfer ihrer Aufgabe stellte. Manchmal glaube ich, dass die
wirklich guten Lehrer nie mitbekommen, wie sehr wir, die Schüler, sie schätzen.
Man spürt einfach, dass sie es ehrlich mit uns meinen. Mehr Pädagogik braucht
man eigentlich nicht. Und wenn das Thema nicht so heiß wäre, würde ich sagen,
dass die viele Reformpädagogik, die dann in den siebziger Jahren über die
Schulen hinweg donnerte, eigentlich nur dazu diente, die anderen Lehrern zu unterstützen.
Aber das ist natürlich eine sehr gewagte Theorie, die - sollte sie angefeindet werden
- natürlich komplett missverstanden wurde. Das ist die Natur der Schule, hier
gibt es immer Missverständnisse.
Und ein Missverständnis war es, dass man uns die
Klassenlehrerin wegnahm, weil wir mit dem Mathelehrer (der von uns übrigens nie
gemobbt wurde) nicht klarkamen. Nach dem pädagogischen Übermotto, dass nicht
sein kann, was nicht sein darf, war aber der studentische Nachhilfeunterricht,
der ja mehr ein Ersatzunterricht war, ein Angriff auf das "Lehrmonopol"
des Staates. (Das gibt's natürlich nur unterschwellig.) So meinte man, dass
unsere Klassenlehrerin uns nicht im Griff hatte. Sie müsse weg.
Da wurden wir aber richtig sauer. Kurzerhand trommelten wir
die gesamte Schülerschaft nach der vierten Stunde in die Aula zusammen (wie wir
das geschafft haben, ist mir bis heute ein Rätsel) und spielten Rudi Dutschke.
Die Bild-Zeitung kam, die Rheinische Post, die Westdeutsche Zeitung. Sogar die in Düsseldorf erscheinende
"Deutsche Volkszeitung", ein prominentes kommunistisches Blatt, kam,
um zu erfahren, was uns plagte.
Im Allerheiligsten, dem Lehrerzimmer, das zu betreten uns
bei Todesstrafe verboten war, soll es mucksmäuschenstill gewesen sein. Das war
Revolution. Die Klasse 11b - sollte exkommuniziert werden. Man drohte mit
Schulverweis. Ja, man beschloss ihn.
So wurden wir wenige Tage später aufgefordert, uns dem
höchsten Gericht, dem Lehrerkollegium zu stellen. Was wurden wir niedergemacht!
Die ganze Autorität, die eine Schule formal besaß, wurde gegen uns aufgefahren.
So ging das eine ewige Stunde lang. Bis schließlich unser Deutschlehrer, den
wir sehr schätzten, auch wenn gesagt wurde, dass er Parteimitglied gewesen sei,
seine Stimme erhob und seine Kollegen fragte: "Wenn wir diese Jungen
wirklich von der Schule verweisen, dann blamieren wir uns in der Öffentlichkeit
bis auf die Knochen. Wollen Sie das?" Plötzlich war Ruhe im Karton. An den
PR-Effekt hatte keiner seiner Kollegen gedacht. Unsere Klassenlehrerin, die
übrigens Jahre später völlig frustriert für immer den Schuldienst quittierte, hatte
sich mächtig für uns eingesetzt. Immer sachlich. Nur als einer der älteren Kollegen
sie gönnerisch "Uschi" nannte, was ihr Vorname war, wurde sie richtig
stinkig. Sie habe nichts dagegen, wenn wir, die Schüler, ihren Vornamen als
Spitznamen nehmen würde, aber für die Kollegen sein sie immer noch mit dem
Nachnamen anzusprechen oder zu benennen. Die Frau war einfach super.
Das Ergebnis war übrigens, dass man uns den Mathelehrer
wegnahm, der Direktor der Schule selbst den Unterricht übernahm und uns ein
neuer Klassenlehrer präsentiert wurde, dem eine weitere Karriere versprochen
worden war, wenn es ihm gelingen würde, uns in den Griff zu bekommen.
Ich gebe zu: er hat uns geschafft. Ob mit fairen Mitteln
oder nicht, möchte ich nicht beurteilen (obwohl es mich schon juckt). Auf jeden
Fall hat er uns ein halbes Jahr vor dem Abi verlassen. Seine Karriere forderte
dies.
Bildertanz-Quelle:
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