Eine kleine Anmerkung zu meinem Zeitzeugen-Film
Rolf Miccolo: Hat er Wein in Blut verwandelt? Noch heute kämpft er gegen das Trauma von 1945, als er zwölf Jahre alt war und in Reutlingen der Feuerwehr helfen musste
Es geht um meinen Film "ZEITZEUGEN 1945". Hier
äußert sich Rolf Milocco. wie er als damals noch zwölfjähriger Bube nach einem
Bombenangriff auf den Reutlinger Hauptbahnhof und den Listplatz der Feuerwehr
bei den Löscharbeiten helfen musste. Ein Bunker war zerstört und ein riesiges
Wasserloch war entstanden, da durch den Bunker Wasserleitungen gingen. Rolf
hatte die Aufgabe, die Pumpen, mit denen die Feuerwehr Löschwasser aus dem
Teich absaugte, von Leichteilen zu befreien und auf einem gesonderten Platz zu
stapeln. Er erzählt, dass das Wasser blutrot gewesen sei. In zwei Leserbriefen
an den GEA wurde dies nun bezweifelt. Die Farbe sei vielmehr durch Rotwein
entstanden, der in einem ebenfalls von dem Kriegsgeschehen zerstörten Keller
hierher geflossen sei. Die Menschen in dem Bunker seien allenfalls ertrunken,
aber nicht zerfetzt worden. In ihren Ausführungen beziehen sich beide auf den
Artikel über meinen Film im Reutlinger Generalanzeiger. Sie haben diese in dem
Artikel nur angerissene Zeitzeugenaussage offensichtlich nicht selbst gesehen.
Ich möchte dies einmal als Anlass nehmen, um grundsätzlich Stellung
zu beziehen. Mir geht es mit dieser Dokumentation allein um die Menschen, um
die durchaus traumatischen Erlebnisse, mit denen sie damals zu kämpfen hatten
und mit denen sie allein fertigwerden mussten. Rolf war zwölf Jahre alt,
niemand hat ihm damals die Situation erklärt, kein Historiker, die ohnehin selten
dabei sind, wenn etwas passiert, kein Psychologe oder Psychiater, kein
Feuerwehrmann, niemand. Und wie sehr ihm dies 75 Jahre später noch nachging,
kann man ihm, der heute in den USA lebt,
deutlich ansehen. Für ihn musste der Teich blutrot sein. Ich hätte in der
Situation auch keine andere Erklärung gehabt - und das Wegnehmen der Leichenteile
ist ganz bestimmt nicht etwas, was man erfindet. Man kann in dem Film seiner
Mimik deutlich ansehen, wie in ihm diese ganze Schreckensszene wieder auflebt.
Ähnlich ging es dem 16jährigen Rudolf Walz aus Betzingen, dem mit Erschießen gedroht
worden war.
Was Kinder und Jugendliche damals erlebt haben, das ist eigentlich
der Schwerpunkt dieses Zeitzeugenfilms. Ich habe zu keinem Zeitpunkt versucht,
die Aussagen der Interviewpartner in irgendeine Richtung zu lenken. Mir ging es
wirklich allein darum, die Erlebnisse so darzustellen, wie die Betroffenen sie
selbst empfunden haben - auch noch ein Lebensalter später. Wie sehr sich die
Menschen zurückversetzt wurden in eine Zeit, von der sie glaubten, dass sie
diese vergessen hätten, merkt man auch an ihrer Sprache. Sie sprechen nicht von
Befreiern und Befreiung, sie sprechen vom Feind, sie sprechen vom Umsturz. Sie
sind wieder im Jahr 1945. Ich glaube, das ist es dann auch, was den Zuschauer
in diese Geschichten hineinzieht: dieser absolut subjektive Bezug zu den dokumentierten
Ereignissen, die erst aus den persönlichen Erzählungen vorstellbar werden.
Viele der inzwischen 44 Gesprächspartner, die ich in den
letzten elf Jahren habe interviewen dürfen, sind leider bereits verstorben. Ich
bin sehr froh darüber, dass ich deren Erlebnisse habe festhalten können - für
uns Menschen heute und für zukünftige Generationen. Vielleicht ist es Mahnung,
mit unserer Demokratie sehr sorgfältig umzugehen - und zwar auf allen Ebenen.
Bestürzend für mich ist (und ich habe bis heute auch keine
Antwort darauf gefunden), dass aus all diesen Erzählungen, und ich könnte
daraus ohne Probleme einen Vierstundenfilm machen, eins ganz deutlich wird, wie
sehr der Mensch in absoluten existentiellen Situationen vor allem Mensch ist.
Ich wünschte mir manchmal, auch von mir selbst, dass wir dieses Grundgefühl stärker
in unseren Alltag mitnehmen. Vieles, was uns wichtig erscheint, würde sich dann
relativieren.
Ich glaube, dies ist die Botschaft der Zeitzeugen, die sich
mit all ihrer Authentizität der Kamera gestellt haben - sie erzählen es so, wie
sie es erlebt haben. Näher kommt man als Journalist nicht ran. Und das macht
mich natürlich auch stolz.
Am Freitag, 27. März 2020 ist die nächste Gelegenheit, den
Film in Gemeindesaal der evangelischen Auferstehungskirche zu sehen. Ein
weiterer Termin ist Sonntagnachmittag, 19. April 2020 im Gemeindesaal der
Katholischen Kirche Sankt Andreas in Orschel-Hagen. Eine dritte Möglichkeit
besteht am Montag, 20. April im Gemeindesaal der Evangelischen Kirche in
Altenburg. Eine weitere Gelegenheit wird es im Kolpinghaus in der Stadtmitte
geben und in Zusammenarbeit mit dem Bezirksgemeinderat in Betzingen und
Oberbürgermeister Thomas Keck. Da warte ich noch auf Terminvorschläge.
Natürlich bin ich jederzeit bereit, den Film auch bei
anderen Gelegenheiten zu zeigen. Meine Adresse: raivollmer@aol.com
Raimund Vollmer
Bildertanz-Quelle: RV